2 SARS-CoV-2-Impfstoffe auf der Basis von Adeno-assoziierten Virus-Vektoren (AAV) sind wirksam und sicher. Das berichten britische und chinesische Forscher in The Lancet auf der Basis von Phase-1/2-Studien [1,2]. Bei nahezu allen Probanden wurden neutralisierende Antikörper mit einem ausreichend hohem Titer gebildet. Lebensbedrohliche Nebenwirkungen sind nicht aufgetreten. In Folgestudien sollen vor allem ältere Menschen mit einbezogen werden.
„Die Ergebnisse beider Studien verheißen Gutes für Phase-3-Studien, in denen die Impfstoffe an viel größeren Teilnehmerpopulationen getestet werden, um ihre Wirksamkeit und Sicherheit zu beurteilen“, schreibt Prof. Dr. Naor Bar-Zeev zusammen mit einem Kollegen in einem begleitenden Kommentar [3]. Er forscht an der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health, Baltimore, USA. Adenovirus-Vektoren seien ein „innovatives und effizientes Instrument zur Impfstoffentwicklung“, heißt es weiter. „Über diese und andere COVID-19-Impfstoffe, die sich in der Entwicklung befinden, ist noch viel unbekannt, einschließlich der Langlebigkeit der Reaktion und der Immunogenität bei älteren Erwachsenen oder anderen Gruppen, wie z.B. solchen mit Komorbiditäten, die oft von klinischen Studien ausgeschlossen werden, oder ethnischen Gruppen, die stärker von COVID-19 betroffen sind“.
Vorläufige Ergebnisse der britischen Phase-1/2-Studie
Das Team um Pedro M. Folegatti von der University of Oxford berichtet von vorläufigen Ergebnissen einer Phase 1/2-Studie.
Zwischen dem 23. April und dem 21. Mai 2020 wurden 1.077 Teilnehmer in die Studie aufgenommen. Sie waren 18 bis 55 Jahre alt und hatten keine COVID-19 in ihrer Vorgeschichte. Alle Probanden erhielten entweder den AAV-Impfstoff ChAdOx1 nCoV-19 (n = 543) oder als Kontrolle den Meningokokken-Konjugat-Impfstoff MenACWY (n = 534). 113 Teilnehmer (56 mit dem COVID-19-Impfstoff und 57 in der Kontrollgruppe) wurden gebeten, vor und 24 Stunden nach der Impfung Paracetamol einzunehmen, um mögliche Reaktionen zu verringern.
Alle Probanden waren in 4 Gruppen eingeteilt:
In den Gruppen 1, 2 und 4 erhielt die Hälfte aller Teilnehmer den COVID-19-Impfstoff und die Hälfte den Kontrollimpfstoff.
Gruppe 3 (n = 10) erhielt nur den COVID-19-Impfstoff und 28 Tage nach der 1. Dosis eine zusätzliche Impfstoffdosis.
Teilnehmer der Gruppe 1 (n = 88) wurden für den Phase-1-Teil der Studie intensiv medizinisch überwacht. Hier wurden Antikörper- und T-Zell-Reaktionen untersuchen.
In Gruppe 2 (n = 412) wurde zusätzlich zum Serum Vollblut entnommen, um die Antikörper- und T-Zell-Reaktionen zu untersuchen.
In Gruppe 4 (n = 567) wurde nur Serum entnommen, um nur die Antikörperreaktion zu untersuchen.
Die Autoren fanden heraus, dass der Impfstoff starke Antikörper- und T-Zell-Reaktionen auslöste:
T-Zell-Antworten, die auf das SARS-CoV-2-Spike-Protein abzielten, waren bei 43 Teilnehmern der Gruppe 1 deutlich erhöht. Sie erreichten am Tag 14 ihr Maximum, wobei sich der Titer am Tag 56 wieder leicht verringerte. Die T-Zell-Antwort nahm bei einer 2. Dosis des Impfstoffs in Gruppe 3 nicht weiter zu.
Die Antikörper-Antwort erreichte ihr Maximum am Tag 28 und blieb bis zur Messung am Tag 56 der Studie bei Probanden mit einer Impfstoffdosis hoch. Diese Reaktion wurde durch eine weitere Dosis verstärkt.
Nach einer Auffrischungsimpfung (Gruppe 3) hatten alle Teilnehmer neutralisierende Amtikörper gegen SARS-CoV-2.
Paracetamol zeigte keinen negativen Effekt auf die Wirkung der Impfung.
Lokale und systemische Reaktionen traten in der ChAdOx1 nCoV-19-Gruppe häufiger auf, einschließlich Schmerzen, Fieber, Schüttelfrost, Muskelschmerzen, Kopfschmerzen und Unwohlsein. Solche Beschwerden ließen sich gut durch prophylaktische Paracetamol-Gaben verringern. Es kam zu keinen schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen.
„Es gibt noch viel zu tun, bevor wir bestätigen können, ob unser Impfstoff bei der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie helfen wird, aber diese ersten Ergebnisse sind vielversprechend“, so Prof. Dr. Sarah Gilbert von der University of Oxford, UK, in einer Pressemeldung des Journals. Sie ist eine Koautorin der Studie. Gilbert weiter: „Wir müssen unseren Impfstoff nicht nur weiterhin in Phase 3-Studien testen, sondern auch mehr über das Virus erfahren – z.B. wissen wir immer noch nicht, wie stark eine Immunreaktion sein muss, um vor einer SARS-CoV-2-Infektion zu schützen.“
Ergebnisse der chinesischen Phase-2-Impfstudie
Zeitgleich berichten Forscher um Prof. Dr. Feng-Cai Zhu vom Jiangsu Provincial Center of Disease Control and Prevention im chinesischen Nanjing über Resultate einer Phase-2-Studie. Auch sie arbeiteten mit einem Adeno-assoziierten Virus als Vektor. Ergebnisse der Phase 1 sind bereits im Mai 2020 veröffentlicht worden.
In die Phase-2-Studie wurden 508 Personen aufgenommen. Etwa 2 Drittel der Teilnehmer (309; 61%) waren zwischen 18 und 44 Jahre alt, ein Viertel (134; 26%) war zwischen 45 und 54 Jahre alt und 13% (65) waren 55 Jahre oder älter. 253 erhielten eine hohe Dosis des Impfstoffs (1×1011 Viruspartikeln/ml), 129 eine niedrige Dosis (5×1010 Viruspartikeln/ml) und 126 ein Placebo.
Die Studie ergab, dass 95% (241/253) der Teilnehmer in der Gruppe mit hoher Dosis und 91% (118/129) der Empfänger in der Gruppe mit niedriger Dosis am Tag 28 entweder T-Zell- oder Antikörper-Immunreaktionen zeigten.
Der Impfstoff induzierte bis zum 28. Tag neutralisierende Antikörper bei 59% (148/253) und 47% (61/129) der Teilnehmer und bindende Antikörper bei 96% (244/253) und 97% (125/129) der Teilnehmer in der Hoch- bzw. Niedrigdosisgruppe. Nicht jeder bindende Antikörper wirkt aber bekanntlich auch neutralisierend. Probanden der Placebogruppe zeigten keinen Anstieg der Antikörper gegenüber dem Ausgangswert.
Innerhalb von 28 Tagen traten bei 24 (9%) Teilnehmern in der Hochdosisgruppe schwere (Grad 3) Nebenwirkungen auf, die signifikant höher waren als bei denjenigen, die die niedrige Dosis oder das Placebo erhalten hatten (1 Person, 1%, in der Niedrigdosisgruppe und 2 Personen, 2%, in der Placebogruppe). Die häufigste schwere Reaktion war Fieber.
Auch hier bleiben Frage offen. Prof. Dr. Wei Chen vom Beijing Institute of Biotechnology, China, verweist auf ältere Menschen als wichtige Zielgruppe für künftige Impfstoffe. „Es ist möglich, dass eine zusätzliche Dosis erforderlich ist, um eine stärkere Immunreaktion in der älteren Bevölkerung hervorzurufen, aber weitere Forschungsarbeiten sind im Gange, um dies zu evaluieren“, so Chen in einer Pressemeldung des Journals.
Hinweise auf immunologische Kreuzreaktivitäten bei Beta-Coronaviren
Andere Forschergruppen versuchen zu verstehen, wie das menschliche Immunsystem auf Infektionen mit SARS-CoV-2 reagiert. Mitte Juli berichtete Dr. Nina Le Bert zusammen mit Kollegen in Nature über die Immunität durch Beta-Coronaviren [4]. Sie forscht an der Duke-NUS Medical School, Singapur.
Zunächst untersuchten Forscher die T-Zell-Antworten auf verschiedene Regionen von SARS-CoV-2 bei 36 rekonvaleszenten COVID-19-Patienten. In allen konnten sie CD4- und CD8-T-Zellen nachweisen, die mehrere Regionen des NP-Proteins erkennen. Nukleokapsid-Proteine (NP) binden die virale RNA – ein Prinzip, das man etwa von Influenzaviren schon lange kennt.
Le Bert und Kollegen zeigten auch, dass 23 SARS-rekonvaleszente Patienten 17 Jahre nach dem Ausbruch von 2003 immer noch Gedächtnis-T-Zellen besitzen, die auf SARS-NP ansprechen und eine robuste Kreuzreaktivität mit dem NP von SARS-CoV-2 zeigen.
Überraschenderweise entdeckten sie auch SARS-CoV-2-spezifische T-Zellen bei Personen ohne Vorgeschichte von SARS, COVID-19 oder Kontakt mit SARS/COVID-19-Patienten (n = 37). Diese T-Zellen erkannten neben dem NP andere virale Proteine, nämlich NSP7 und NSP13, beim neuartigen Coronavirus.
„Die in Nature veröffentliche Studie von Le Bert hat nunmehr wichtige erste Ergebnisse geliefert und gezeigt, dass es kreuzreagierende T-Zell-Antworten gegen verschiedene Corona-Epitope gibt und – vielleicht viel wichtiger –, dass aus diesem Grund auch Patienten ohne vorherigen Kontakt mit SARS-CoV-2, T-Zell-Antworten gegen dieses Virus aufweisen“, kommentiert Dr. Julian Schulze zur Wiesch gegenüber dem Science Media Center Deutschland.
Epitope sind bekanntlich Abschnitte eines Antigens, die Rezeptoren des Immunsystems erkennen. Schulze zur Wiesch: „Dabei ist völlig unklar, was dies für den relativen Immunschutz, den diese Probanden haben könnten, oder den möglichen Krankheitsverlauf von COVID-19 bedeuten kann.“
SARS-CoV-2-Infektion: Das Immunsystem reagiert unterschiedlich
Welche Zellen des Immunsystems nach einer SARS-CoV-2-Infektion aktiviert werden, untersuchte das Team um Dr. Divij Mathew von der University of Pennsylvania Perelman School of Medicine, Philadelphia, USA [5]. Sie analysierten das Blut von 125 rekonvaleszenten COVID-19-Patienten und verglichen die Ergebnisse mit gesunden Personen. Dabei wurden rund 200 immunologische und 50 klinische Merkmale berücksichtigt.
Bei einer Untergruppe von Patienten war die T-Zell-Aktivierung charakteristisch für eine akute SARS-CoV-2-Virusinfektion. Bei anderen Patienten kam es jedoch zur Aktivierung von Lymphozyten. „Diese Immunotypen können Auswirkungen auf das Design von Therapeutika und Impfstoffen für COVID-19 haben“ vermuten Mathew und Kollegen.
„Die Tatsache, dass die Mehrheit der Patienten im Verlauf der Infektion neutralisierende und nicht-neutralisierende Antikörper entwickelt, die gerade bei Patienten mit sehr schweren und zum Teil tödlichen Verläufen besonders hohe Titer erreichen, lässt befürchten, dass bestimmte Antikörper möglicherweise einen ungünstigen Einfluss auf den Krankheitsverlauf nehmen könnten“, so Prof. Dr. Mascha Binder gegenüber dem Science Media Center Deutschland. Sie ist Direktorin der Klinik für Hämatologie und Onkologie am Universitätsklinikum Halle (Saale).
„Darüber hinaus bestehen Zweifel daran, dass eine solche naive B-Zell-Antwort, wie wir sie bei COVID-19 beobachten, ein langlebiges Immungedächtnis hervorrufen und damit einen Schutz vor einer erneuten Infektion bieten kann.“
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Diesen Artikel so zitieren: SARS-CoV-2-Vakzine: Gute Nachrichten aus UK und China – doch Immunreaktionen geben immer noch Rätsel auf - Medscape - 22. Jul 2020.
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