Misstrauen nimmt zu: Immer weniger Menschen wollen sich gegen das Corona-Virus impfen lassen – warum nicht?

Christian Beneker

Interessenkonflikte

15. Juli 2020

Weltweit arbeiten Labore daran, einen Impfstoff gegen die Corona-Infektion zu entwickeln. Vorläufige Ergebnisse einer Phase-1-Studie zeigen zum Beispiel, dass zwar ein mRNA-Impfstoff sicher war und bei allen 45 Teilnehmern eine Antikörper-Antwort auslöste, wie die Forscher um im New England Journal of Medicine berichteten. Doch liegt ein wirksamer, einsetzbarer Impfstoff noch in weiter Ferne.

Nun zeigt sich: Die Impfbereitschaft gegen das Corona-Virus in Europa ist in den vergangenen Monaten gesunken, besonders in Deutschland – und zwar von 70 auf 61%. Das ergibt eine repräsentative Studie des Hamburg Center for Health Economics (HCHE) der Universität Hamburg [1]. Würde also ein Impfstoff torpediert, weil der Widerstand gegen eine Impfung wächst?

Die Studienautoren befragten jeweils im April und Juni 2020 online mehr als 7.000 Menschen in Deutschland, Dänemark, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Portugal und dem Vereinigten Königreich.

Das Ergebnis: Insgesamt sank die Impfbereitschaft in diesen Ländern von 74% im April auf 68% nur 2 Monate später, die Ablehner-Quote stieg in diesem Zeitraum von 7% auf 13%. Nur in Portugal stieg die Impf-Bereitschaft von 75% auf 76%.

Risikogruppen haben mehr Vertrauen in die Impfung

Offenbar sind die Menschen in Italien und Deutschland am misstrauischsten: In Italien sank die Zustimmung um 12% von 76% auf 64% und in Deutschland von 70% auf 61% und damit um 9%– eine Verdoppelung der Misstrauischen. Im Süden und Westen Deutschlands (22% und 20%) ist die Ablehnung der Impfung deutlicher als im Norden und Osten (16% und 14%).

Die stärkste Ablehnung der Impfung im Juni findet sich mit 20% in Frankreich. Hier ist auch die Zahl der Unentschlossenen im Juni am höchsten: 24%. Die Gruppe derer, die unsicher sind, ob sie sich impfen lassen sollen, blieb in Europa konstant bei 19%.

Risikogruppen oder solche Menschen, die mit anderen aus einer Risikogruppe zusammenleben, zeigen größere Zustimmung zur Impfung. So zeigen Männer ab 55 Jahren und Menschen, die mit einer Person zusammenleben, die chronisch vorerkrankt sind, in allen Ländern die höchste Zustimmungsrate. Dagegen zeigt sich besonders in Deutschland, dass Familien und Haushalte mit körperlich oder geistig behinderten Menschen die geringste Impfbereitschaft unter allen Haushaltskonstellationen haben, erklärt Prof. Dr. Jonas Schreyögg, wissenschaftlicher Direktor des HCHE.

 
Bedenklich ist, dass zunehmend mehr Menschen eine Impfung gegen COVID-19 ablehnen, und dies sind weit mehr Menschen als die, die grundsätzlich Impfungen ablehnen. Prof. Dr. Jonas Schreyögg
 

„Bedenklich ist, dass zunehmend mehr Menschen eine Impfung gegen COVID-19 ablehnen, und dies sind weit mehr Menschen als die, die grundsätzlich Impfungen ablehnen“, so Schreyögg. Tatsächlich ist die Zustimmung zum Impfen allgemein in Europa höher als die Zustimmung zu Corona-Impfungen nach der Hamburger Studie. 83,6% der Europäer stimmen jedenfalls der Aussage zu, dass Impfstoffe allgemein sicher sind, so die Zahlen des Vaccine Confidence Projekts.

Zu Begründung ihrer Skepsis geben die Befragten vor allem die Angst vor Nebenwirkungen an und die Sorge, die Impfung könne ihre Wirksamkeit verlieren. 45% der Menschen, die eine Impfung ablehnen, und 61% derjenigen, die unsicher sind, nennen dies als die wichtigsten Gründe. Und jeder 7. Impfgegner glaubt nicht, dass das Virus gefährlich für die eigene Gesundheit ist.

Nicht nur die Impfbereitschaft entscheidet über die Impfrate

Und wenn ein Impfstoff gefunden ist, dann sollte er nach dem Willen der Befragten in Europa und Deutschland vor allem durch Krankenhäuser und Ärzte (61%, in Deutschland 54%) verteilt werden oder vom Gesundheitsministerium (55%, in Deutschland 47%) oder durch ein nationales Expertenteam (54%, in Deutschland 46%).

 
Um eine Europa-weite Herdenimmunität zu erzielen, bräuchte es eine Impfrate von 71 bis 74 Prozent. Sebastian Neumann-Böhme
 

Aber die Entscheidung darüber dem Pharmaunternehmen zu überlassen, das den Impfstoff auf den Markt bringt, lehnt die Bevölkerung in allen befragten Ländern mehrheitlich ab (über alle Länder 55%, in Deutschland 61%), ebenso wie eine Volksabstimmung (56%, in Deutschland 54%) oder eine Verlosung (67%, in Deutschland 71%), so die Uni Hamburg.

Klar ist, dass die Impfbereitschaft nicht das einzige Kriterium für die Impfrate ist. „Um eine Europa-weite Herdenimmunität zu erzielen, bräuchte es eine Impfrate von 71 bis 74 Prozent“, sagt Sebastian Neumann-Böhme vom HCHE. Dabei spielen auch andere Dinge eine Rolle: „Zum Beispiel die Frage, wie leicht der Zugang zur Impfung ist“, so Neumann-Böhme. „Auch wenn eine 2. Impfung notwendig sein sollte, kann die Impfbereitschaft sinken.“

 
Politik und Wissenschaft sollten daher über mögliche Nebenwirkungen sowie die Wirksamkeit eines Impfstoffes sehr transparent kommunizieren und für das Vertrauen der Bürger werben. Prof. Dr. Jonas Schreyögg
 

Die Studie zeigt schließlich auch: Wer den Informationen von Regierungen, der EU und der Weltgesundheitsorganisation vertraut, steht Impfungen aufgeschlossener gegenüber. „Politik und Wissenschaft sollten daher über mögliche Nebenwirkungen sowie die Wirksamkeit eines Impfstoffes sehr transparent kommunizieren und für das Vertrauen der Bürger werben“, empfiehlt Schreyögg.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....