Gerade in der heißen Jahreszeit behaupten manche Patienten, aufgrund von Atemproblemen keine Masken tragen zu können. Manche kontaktieren dann ihre Ärzte, um sich eine Ausnahme-Erlaubnis attestieren zu lassen.

Dr Albert Rizzo
Laut Recherchen von Report Mainz soll zum Beispiel die Initiative „Ärzte für Aufklärung“ solche Bescheinigungen recht großzügig ausstellen, teilweise ohne Untersuchung von Patienten oder Kenntnisse zu deren medizinischer Vorgeschichte.
Über die medizinischen Für und Wider der Masken für Lungenkranke sprach Medscape mit dem Chief Medical Officer der American Lung Association, Dr. Albert Rizzo.
Medscape: In den Empfehlungen der US Centers of Disease Control and Prevention zum Tragen von Masken heißt es: „Kleinkindern unter 2 Jahren und Personen, die Atembeschwerden haben, bewusstlos, behindert oder anderweitig nicht in der Lage sind, die Maske ohne Hilfe abzunehmen, sollte kein textiler Mund-Nasen-Schutz angelegt werden.“ Sollten diese Patienten tatsächlich keine Masken verwenden?
Rizzo: Manchmal ist es wirklich so, dass Menschen mit einer Lungenkrankheit es nicht ertragen, wenn etwas ihr Gesicht verdeckt. Viele dieser Patienten fühlen sich besser, wenn Luft über ihr Gesicht bläst – sie werden selbst mitten im Winter einen Ventilator nutzen, weil sie sich dann wohler fühlen.
Ich will nicht sagen, dass sich alles nur in ihren Köpfen abspielt, aber manchmal geht es darum, sich selbst gegen das Tragen einer Maske zu desensibilisieren. Ich vergleiche das mit Menschen, die Schlafapnoe haben. Wir müssen sie oft davon überzeugen, eine Maske beim Schlafen zu tragen. Wir sagen ihnen, sie sollen diese schon mal probeweise aufsetzen, etwa während sie fernsehen. So gewöhnen sie sich daran, etwas im Gesicht zu haben.
Ähnliche gehe ich bei meinen Patienten im Moment bei COVID-19 vor. Ich erkläre ihnen: Setzen Sie sich die Maske auf und spüren Sie, wie sie sich anfühlt. Wenn Ihnen das Atmen dann unangenehm wird, nehmen Sie sie ab. Aber vielleicht können Sie sie eine halbe Stunde oder 45 Minuten lang tragen. Finden Sie so heraus, wie viel Zeit Sie beispielsweise für den Besuch eines Lebensmittelgeschäfts brauchen.
Es geht darum, Patienten zu schulen, ihnen Möglichkeiten zu geben, heruaszufinden, wie sie sich damit wohlfühlen. Wir als Ärzte sollten ihnen dann klarzumachen, dass sie die Vorteile und Risiken des Tragens einer Maske und ihrer möglichen Atemnot gegenüber einer möglichen Exposition mit dem Coronavirus abwägen müssen.
Ein Grund, warum manche Menschen Probleme mit einer Maske haben, ist, dass sie nicht den richtigen Maskenstil ausprobiert haben. Damit meine ich, wie eng eine Maske anliegt und aus welchem Material sie besteht.
Natürlich gilt: Jeder, der eine Maske trägt und sich unwohl fühlt, kann die Maske abnehmen.
Ich habe vielen meiner Hochrisikopatienten auch Folgendes gesagt: Die beste Möglichkeit, COVID-19 zu vermeiden, besteht darin, zu Hause zu bleiben und sich von kranken Menschen fernzuhalten. Insbesondere dann, wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie keine Maske oder keine andere Gesichtsbedeckung tragen können.
Medscape: Sie erwähnten verschiedene Arten des Mund-Nasen-Schutzes. Gibt es eine Art von Maske, die typischerweise atmungsaktiver ist und die Ärzte Patienten mit Lungenerkrankungen empfehlen können?
Rizzo: Zunächst erinnere ich Patienten, die glauben, dass sie mit einer Maske Schwierigkeiten beim Atmen haben, daran, dass eine Maske nicht so sehr zum Schutz ihrer selbst dient. Um das Virus herauszufiltern, bräuchte man dafür eine N95-Maske.
Die anderen Masken werden getragen, um zu verhindern, dass feinste Atemtröpfchen in die Umwelt gelangen. Selbst wenn wir sprechen, können diese leicht bis zu 1,5 Meter weit transportiert werden – durch Husten oder Niesen noch weiter. Mit Gesichtsbedeckungen versuchen wir, zu verhindern, dass diese Tröpfchen nach außen dringen und andere infizieren.
Wenn Sie sich also für einen Mund-Nasen-Schutz entscheiden, müssen Sie sich nicht so sehr um eine eng anliegende Maske sorgen. Ich empfehle eine locker sitzende Maske, die Nase und Mund bedeckt und nicht herunterfällt, die aber um Ohren und Hals nicht so eng sitzt, dass sie sich unangenehm anfühlt. Auch wenn sie den Träger nicht wirklich schützt, werden zumindest weniger Tröpfchen eingeatmet. Das ist besser als nichts.
Medscape: Ist ein Gesichtsschutz aus Plexiglas eine vernünftige Alternative für jemanden, der das Gefühl hat, mit einer Maske nicht atmen zu können?
Rizzo: Ja. Ich bin überrascht, dass Gesichtsschutz-Schilde nicht mehr Aufmerksamkeit erhalten. Ich habe sie ausprobiert, und sie sind tatsächlich bequemer als Masken. Sie verhindern, dass Tröpfchen freigesetzt werden, aber sie liegen nicht so eng am Gesicht an wie eine Maske. Um andere Menschen zu schützen, sollte der Gesichtsschutz ausreichend sein. Er verhindert aber nicht so gut, dass Sie Viruspartikel einatmen.
Medscape: Einige Menschen haben behauptet, dass sie durch das Tragen einer Maske hyperventilieren, das Gefühl haben, ohnmächtig zu werden – oder dass sie in eine Hypoxie geraten. Sind diese Bedenken gerechtfertigt?
Rizzo: Wir bekommen immer wieder 2 Fragen von Patienten gestellt, die das Gefühl haben, kurzatmig zu werden, oder die Angst haben, eine Maske zu tragen.
Die eine ist, ob ihr Sauerstoffgehalt sinkt. Normalerweise ist das nicht der Fall. In der Regel liegt es daran, dass sie das Gefühl haben, dass die Maske ein Hindernis für die Luftzufuhr darstellt. Ihr Sauerstoffgehalt im Blut ist dennoch stabil.
Die andere Frage ist, ob die Maske eine Abgabe von Kohlendioxid erschwert. Um ausgeatmetes Kohlendioxid wieder einzuatmen, müsste die Maske ziemlich eng anliegen. Bei der Art von Masken, die wir Patienten vorschlagen, ist dies sehr unwahrscheinlich.
Medscape: Was können Ärzte tun, um Patienten mit Lungenkrankheiten zu überzeugen, dass sie Masken ohne Bedenken tragen können?
Rizzo: Es gibt ein paar Dinge, die Ärzte direkt in ihrer Praxis tun können. Lassen Sie Patienten die Maske für ein paar Minuten aufsetzen und stellen Sie sicher, dass sie sich damit wohl fühlen. Mit der Pulsoxymetrie können die Patienten sehen, dass sich ihr Sauerstoffgehalt nicht verändert, wenn sie eine Zeit lang durch die Maske atmen.
So einfach lässt sich eine mögliche Anreicherung von Kohlendioxid nicht messen, aber die meisten Patienten mit chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung oder Lungenfibrose haben zu Beginn keine erhöhten CO2-Werte. Etwas mehr Aufklärung ist hilfreich. In den meisten Fällen werden sie nicht genug CO2 akkumulieren, um Probleme mit dem Tragen einer Maske zu haben.
Nur ein kleiner Prozentsatz aller Patienten mit Lungenerkrankungen haben eine Kohlendioxid-Retention, und viele dieser Patienten werden von Lungenspezialisten behandelt. Das sind die Patienten, bei denen Sie vorsichtiger sein sollten, um sicherzustellen, dass sie nichts tragen, was eng anliegt oder das Atmen erschwert. Es ist nicht so, dass die Maske selbst dazu führt, aber die erhöhte Atemarbeit kann es schwieriger machen, das CO2 auszuatmen.
Medscape: Beeinträchtigt eine Maske zusätzliche Sauerstoff-Gaben in irgendeiner Weise?
Rizzo: Zusätzlicher Sauerstoff wird in der Regel mit einer Nasenkanüle verabreicht, so dass immer noch genug Sauerstoff in die Nasenwege gelangt, so dass Masken kein Problem darstellen sollten.
Medscape: Ein Teil des Widerstands gegen das Tragen von Masken kommt von Menschen mit Asthma. Ist der Mund-Nasen-Schutz für diese Patienten sicher oder sollten sie davon besser befreit werden?
Rizzo: Im Allgemeinen sollte die Atmung von Menschen mit leichtem Asthma, sowohl von jungen als auch von älteren Menschen, nicht durch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes beeinträchtigt werden. Die Bedenken bezüglich des Sauerstoffs und des Kohlendioxids bei Patienten mit schwereren Lungenerkrankungen sollten bei Asthma keine Rolle spielen.
Da jüngere Erwachsene mit COVID-19 weniger oder keine Symptome zu haben scheinen und das Virus möglicherweise unwissentlich in sich tragen, sollten sie die wichtigste Zielgruppe sein, um eine Übertragung auf andere zu verhindern.
Von Ausnahmen für das Tragen einer Maske bei leichtem Asthma sollte abgeraten werden; das sind aber immer Einzelfallentscheidungen.
Medscape: Wie reagieren Sie, wenn ein Patient Sie um ein Attest bittet, damit er keine Maske tragen muss?
Rizzo: Wir wurden schon oft gebeten, solche Atteste für Patienten zu schreiben, die wieder zur Arbeit gehen, und wir haben uns auch mit der Frage des Tragens von Masken befasst. Die Diskussion dreht sich in der Regel darum, zu vermeiden, dass Sie irgendwo hingehen, wo Sie eine Maske tragen müssten, wenn Sie sich dabei unwohl fühlen.
Ich empfehle nicht, Personen automatisch von der Verpflichtung zu befreien, auch nicht viele meiner Lungenpatienten. Denn sie müssen ein Verständnis für den Zweck der Maske und den allgemeinen Rat entwickeln, sich aus Situationen herauszuhalten, in denen keine soziale Distanzierung möglich ist.
Wenn Sie sich die Zeit nehmen können, mit ihnen die genannten Optionen zu besprechen, also Maskenstile, Desensibilisierung usw., verstehen Patienten in der Regel den Zweck der Maske und werden auch versuchen, diese zu tragen.
In Einzelfällen kann es vorkommen, dass Personen freigestellt werden müssen, aber ich denke, dies ist nur eine kleine Zahl. Ich ziehe es vor, dass meine Hochrisikopatienten (ältere, chronisch kranke Menschen usw.) alles tun, um eine Infektion zu vermeiden, nämlich Händewaschen, einen Mund-Nasen-Schutz anlegen und soziale Distanzierung.
Patienten sollten auch erkennen, dass ihnen ein Attest nicht hilft, wenn sie mitten im Lebensmittelgeschäft stehen und jemand sie damit konfrontiert, dass sie keine Maske tragen. Das geht allenfalls, wenn jemand zur Kontrolle an der Tür steht. Aber ich bin mir nicht sicher, in welchen Situationen das Attest hilfreich sein könnte, wenn es zu Konfrontationen kommt.
Patienten fragen auch, wie sicher es für sie ist, wieder zur Arbeit zu gehen und sich in der Öffentlichkeit aufzuhalten. Ich sage ihnen, dass nichts zu 100% sicher ist. So lange wir keinen wirksamen Impfstoff haben, werden wir alle die potenziellen Risiken abwägen müssen, die damit verbunden sind, sich in Bereichen aufzuhalten, in denen es keine soziale Distanzierung gibt, Menschen keine Masken tragen und man sich nicht so oft die Hände waschen kann, wie man möchte. Das wird für uns alle ein Kampf sein, wieder in Situationen zu gelangen, in denen Menschen sozial interagieren.
Dr. Albert A. Rizzo Chief Medical Officer der American Lung Association, Leiter der Sektion für Lungen- und Intensivmedizin am Christiana Care Health System in Newark, Delaware, und Mitglied der Christiana Care Pulmonary Associates. Er ist zertifiziert in Innerer Medizin, Lungenheilkunde, Intensivmedizin und Schlafmedizin und ist klinischer Assistenzprofessor für Medizin an der Thomas Jefferson University Medical School.
Das Interview ist bei medscape.com erschienen. Es wurde von Michael van den Heuvel übersetzt und adaptiert.
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Hitze, Atemnot – weg mit der Maske: Sollen Ärzte Patienten mit Attest von der Maskenpflicht befreien? Was ein Pneumologe rät … - Medscape - 15. Jul 2020.
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