Eigentlich sollte die elektronische Patientenakte (ePA) für die 72 Millionen gesetzlich Versicherten in Deutschland im vergangenen Jahr bereits mit dem Digitalen Versorgungsgesetz beschlossen werden. Aber wegen mangelnder Datensicherheit wurde dieser Aspekt ausgekoppelt und vom Bundestag erst jetzt im Rahmen des Patientendaten-Schutz-Gesetzes (PDSG) beschlossen [1,2].
Kritik kommt prompt und von 2 Seiten: von der Opposition im Bundestag, die von der Sicherheit der ePA nicht überzeugt ist, und von der Industrie. Sie moniert, das PDSG torpediere den Wettbewerb.
Das erwartet Ärzte und Apotheker
Ab 2021 müssen gesetzlichen Krankenkassen ihren Kunden die ePA anbieten. Und Patienten werden ein Recht darauf haben, dass Ärzte die Akte auch befüllen. Die zusätzliche Arbeit wird honoriert: Niedergelassene und Krankenhäuser, die erstmals eine ePA für einen Patienten anlegen, erhalten dafür 10 Euro.
Für die Unterstützung der Versicherten bei der weiteren Verwaltung ihrer ePA bekommen Ärzte, Zahnärzte und Apotheker ebenfalls eine Vergütung. Die Höhe wird noch von der Selbstverwaltung festgelegt. Diese Dokumente können in der ePA ab 2022 zusammengeführt werden:
Röntgenbilder
Befunde
Arztberichte
Impfpass
Mutterpass
gelbe U-Heft für Kinder
Zahn-Bonusheft
Auch Facharztüberweisungen lassen sich künftig elektronisch erledigen.
Patienten entscheiden, welcher Arzt welche Dokumente sieht
Die Datenhoheit liegt bei den Patienten. Sie können – allerdings erst ab 2022 – über eine App oder einen Tablet-Computer selbst bestimmen, wer Zugriff erhält und welche Ärzte welche Befunde einsehen dürfen. „Dabei können sich Patienten jederzeit darauf verlassen, dass ihre Daten sicher sind“, sagt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).
Ab 2023 haben Versicherte auch die Möglichkeit, ihre Gesundheitsdaten zu spenden, um „datenschutzkonform der medizinischen Forschung zur Verfügung zu stellen“, so das Bundesgesundheitsministerium.
Die Nutzung der ePA ist freiwillig. Das bedeute, die herkömmliche Patientenakte hat nicht ausgedient. Und Ärzte dürften gerade bei älteren Patienten, die mit digitalen Anwendungen nicht vertraut sind, weiter auf eine papiergebundene Akte setzen.
Zugleich wird das E-Rezept eingeführt. Mit einer entsprechenden App können Versicherte ihre Verschreibungen, die sie auf dem Smartphone haben, in jeder Apotheke einlösen.
Opposition: Viele Schwachpunkte der digitalen Anwendungen
Kritik kommt unter anderem von den Grünen im Bundestag. Die Akte sei immer noch nicht für Heilmittelerbringer offen, kritisierte die gesundheitspolitische Sprecherin der Bündnis-Grünen, Maria Klein-Schmeink, in ihrer Rede vor dem Bundestag zur Debatte des neuen Gesetzes. „Es ist nicht vermittelbar, warum die Pflege so zögerlich einbezogen wird und sie keine Schreibrechte erhält“, so Klein-Schmeink. Auch fehle die systematische Beteiligung der Patienten bei der Entwicklung der Akte, sagt sie.
Detlef Spangenberg von der AfD befürchtet, digitale Anwendungen würden Bürger überfordern. Nicht alle hätten ein Smartphone oder Tablet, sagte Spangenberg.
Man befürworte die Digitalisierung im Gesundheitswesen und auch die Einführung der ePA, betonte dagegen Christine Aschenberg-Dugnus, gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Bundestag. „Aber die Daten-Hoheit gehört in die Hand der Patienten und nirgendwo anders hin!“
Datenschutz und Selbstbestimmung müssten an erster Stelle stehen. Wenn aber der Patient im 1. Jahr nur die ganze Akte freigeben könne oder gar nicht, „dann hat das mit Patientensouveränität nichts zu tun“, so Aschenberg-Dugnus weiter.
Eine Kritik, die auch Dr. Joachim Kessler von der Linken teilt. Zudem sei der ePA-Zugang per Smartphone, nicht sicher genug, ergänzt Kessler. Er fürchtet, das Gesetz solle Patienten daran gewöhnen, dass ihre Daten ausgebeutet würden.
Marktverzerrung „verfassungsrechtlich bedenklich“
Ganz andere Schwächen sieht der Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg) im Gesetz, nämlich eine „bewusste Entscheidung gegen den Wettbewerb“, wie dessen Geschäftsführer Sebastian Zilch sagt.
Dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und den Landes-KVen digitale Innovationen direkt unterstützen und selbst Produkte anbieten dürfen, sei eine unzulässige Kompetenzausweitung mit Geldern der Ärzteschaft, kritisierte Chris Berger vom bvitg, und im Zweifel „verfassungsrechtlich bedenklich“. Marktverzerrung entstehe auch durch das Recht der Kassen, selbst elektronische Patientenakten anbieten zu dürfen.
Das Sicherheitsargument will der bvitg nicht gelten lassen. „Auch Drittanbieter erfüllen die Gematik-Zertifizierung!“, sagt Berger. Der Verband fordert die Marktöffnung und hofft nun auf gesetzlichen Nachbesserungen im Herbst. Berger: „Da könnte der Gesetzgeber den Wettbewerb für die zweite Ausbaustufe der Akte zulassen.“
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Diesen Artikel so zitieren: Endlich wurden alle Weichen für die ePA gestellt – doch es hagelt viel Kritik. Welche Nachbesserungen sind nötig? - Medscape - 15. Jul 2020.
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