MEINUNG

Insulin löst nicht alle Probleme bei Typ-1-Diabetes: Welche adjuvanten Therapien könnten eingesetzt werden?

Jeremy Pettus, Mark Harmel

Interessenkonflikte

13. Juli 2020

Was erwarten wir wirklich von einer adjuvanten Therapie beim Typ-1-Diabetes?

Diese Frage stellte sich Dr. Jeremy Pettus. Er ist Endokrinologe im kalifornischen La Jolla und hat sich auf die Diabetestherapie spezialisiert. Bei ihm selbst wurde im Alter von 15 Jahren ein Typ-1-Diabetes diagnostiziert. Er forscht über neue Ansätze zum Management der Erkrankung und ist der Meinung, dass nach wie vor ein großer Bedarf an Begleittherapien beim Typ-1-Diabetes beseht. Dieser Forschungszweig sei von großer Relevanz. Es gehe darum, wie man endlich entscheidende Fortschritte machen könne.

Im folgenden übersetzten Transkripts seines Video-Kommentars auf Medscape USA, das er zum diesjährigen Kongress der American Diabetes  Association (ADA) aufgenommen hat, erläutert er seine Vorstellungen von einer modernen Therapie des Diabetes-Typ-1.

Transkript des Videos von Dr. Jeremy Pettus:

Wir müssen einen Moment innehalten und uns noch einmal die Probleme vergegenwärtigen, die wir lösen sollten. Welche metabolischen Folgen versuchen wir zu handhaben? Ich finde, für diese Fragen lohnt zuerst mal ein Blick in die Leitlinien zum Typ-2-Diabetes.

Wenn wir über den Typ-2-Diabetes sprechen, geht es auch um das „unheilvolle Oktett“ („ominous octet“). Haben wir einen Typ-2-Diabetiker vor uns, denken wir stets an Kombinationstherapien. Uns wurde immer wieder eingetrichtert, dass wir dieses Medikament einsetzen, um diesen Stoffwechselweg zu behandeln, und jenes für einen anderen Stoffwechselweg. Auf diese Weise erzielen wir auch bessere klinische Ergebnisse. Der HbA1c fällt niedriger aus, und auch das kardiovaskuläre Risiko wird gesenkt.

Wenn wir dagegen an den Typ-1-Diabetes denken, drehen sich unsere Gedanken ausschließlich um Insulin, Insulin und noch mal Insulin. Wir müssen uns bewusst machen, dass all die gleichen abnormen Wege, die beim Typ-2-Diabetes auftreten, im Grunde auch beim Typ 1 vorhanden sind.

Natürlich, beim Typ-1-Diabetes haben wir keine Insulinsekretion.  Aber wir wissen, dass die Alpha-Zellen stark fehlreguliert sind. Als Reaktion auf eine Hypoglykämie wird kein Glukagon ausgeschüttet, und bei einer Hyperglykämie wird es übermäßig sezerniert – also es fehlt, wenn es benötigt wird, und ist da, wenn es keiner braucht.

Wir wissen, dass es einen kompletten Amylinmangel gibt. Wir kennen die Insulinresistenz auf der Ebene der Muskulatur, des Fettgewebes und der Leber. Und wir sehen eine anormale Glukoseresorption in den Nieren. All diese wissenschaftlich gut erforschten Stoffwechselbesonderheiten ignorieren wir jedoch völlig, wenn es um den Typ-1-Diabetes geht.

Wenn es uns gelingt, Therapien zu entwickeln, die auf diese Merkmale einwirken, könnten wir Dinge erreichen, die eine Insulingabe nicht vermag. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir endlich das perfekte künstliche Pankreas-System hätten, mit dem man in 90% bis 100% der Zeit den Glukosespiegel in einem angemessenen Bereich hält, wäre das großartig. Der Blutzuckerspiegel wäre fantastisch. Wahrscheinlich käme es zu keiner Mikroangiopathie mit all ihren Folgen.

Trotzdem gäbe es immer noch ein sehr hohes kardiovaskuläres Risiko. Wir wissen, dass selbst Patienten mit einem gut eingestellten Typ-1-Diabetes und einem HbA1c-Wert von 7% oder darunter immer noch ein 2- bis 4-fach erhöhtes kardiovaskuläres Risiko haben. Dieses Problem kann also offenbar nicht durch Insulin gelöst werden.

Ich glaube, dass dies eine Folge der Insulinresistenz ist, die beim Typ-1-Diabetes durch die hohen Insulingaben entsteht. Durch eine Bekämpfung der Hyperinsulinämie, einer Verbesserung der Insulinresistenz und vielleicht auch durch Wiederherstellung der normalen Glukagon-Physiologie könnte ein besseres Outcome beim Typ-1-Diabetes erreicht werden. Und es ließen sich wirklich Interventionen für diese Bereiche entwickeln.

Wenn ich jetzt einen Diabetiker vor mir habe, schaue ich mir natürlich die Werte seiner kontinuierlichen Blutzuckermessung, die Pumpendaten und all diese Dinge an. Aber mir schwirrt immer noch das Stichwort „adjuvante Therapie“ im Kopf herum. Hat der Patient mit hohen HbA1c-Werten zu kämpfen, und ist das Körpergewicht für diese Person ein großes Thema? Gibt es kardiovaskuläre Probleme? Bei diesen Menschen arbeiten wir ja bereits an adjuvanten Therapien in Form von GLP-1- und SGLT2-Hemmern.

Ich hoffe, dass sich aus damit gemachten Erfahrungen weitere Alternativen ergeben, die wir in diesem Bereich nutzen können. Es hat ja aus meiner Sicht leider einige Enttäuschungen gegeben. GLP-1-Inhibitoren sind gegenwärtig nicht zugelassen. Ich verordne sie jedoch bei den geeigneten Patienten im Off-label-Use. SGLT2-Inhibitoren sind zwar jetzt in Europa zugelassen, aber wegen des Risikos einer diabetischen Ketoazidose nicht in den USA.

Ich denke, wir können aus diesen „Misserfolgen“ etwas lernen. Wir pushen diese Medikamente in die Therapieprotokolle beim Typ-2-Diabetes, verordnen sie den Patienten und schauen, was mit ihrem HbA1c passiert. Dann sagen wir: „Oh, nur um 0,3% verbessert. Am besten vergessen wir den Stoff wieder.“

Wir müssen uns klarmachen, dass wir eine bessere Kontrolle des Blutzuckerspiegels wollen. Aber es sind tatsächlich diese anderen Aspekte, nach denen wir suchen, die das Insulin nicht leisten kann. Wir müssen uns wirklich genau überlegen, wonach wir in diesem Bereich suchen. Wenn wir das neu definiert haben, werden wir nach meiner Überzeugung auch Erfolge erzielen.

Dieses Videotransskript wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
 

Kommentar

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