Dammbruch dank Corona, und nun? Was wir für die digitale Versorgung von Patienten dringend brauchen – 12 Forderungen der BÄK

Christian Beneker

Interessenkonflikte

7. Juli 2020

Derzeit erleben auch Ärzte einen Boom bei Videokonferenzen. Sie telefonieren häufiger mit Patienten, und das Monitoring chronisch Kranker wird besser. Gleichzeitig stehen dieser Entwicklung Pannen beim Versicherten-Stammdaten-Management und ein Flickenteppich bei den Online-Registern gegenüber.

Hat die Corona-Krise nun die digitale Revolution in den Arztpraxen eingeleitet? Nach Ansicht von Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt habe es während des bisherigen Verlaufes der Corona-Pandemie Licht und Schatten gegeben bei der verstärkten Nutzung digitaler Techniken zur Krankenversorgung.

Nun gelte es, die Chancen dieser Techniken für die Patientenversorgung zu wahren. Und was kann man aus den Fehlern lernen? 12 Forderungen hat die BÄK formuliert – ihre Perspektiven zur digitalen Transformation in der Medizin [1].

Stärken und Schwächen moderner Technologien

Grundsätzlich könne man zwar von einem „Mindshift“ bei Ärzten sprechen hin zur Akzeptanz digitaler Ansätze in der Medizin, so Reinhardt. Denn was vor der Pandemie nur unter langwierigen Diskussionen möglich war, etwa die Fernbehandlung, musste und konnte unter dem Druck der Pandemie schnell entschieden und umgesetzt werden.

Aber jetzt heiße es, die Maßnahmen zu sichten und zu beurteilen: „Was haben wir gelernt?“, fragte Reinhard auf einer Online-Pressekonferenz. „Wurden sinnvolle Dinge eingeführt, die auch jenseits der Pandemie nützlich sind? Wo haben wir negative Erfahrungen gemacht?“

 
Wurden sinnvolle Dinge eingeführt, die auch jenseits der Pandemie nützlich sind? Wo haben wir negative Erfahrungen gemacht? Dr. Klaus Reinhardt
 

Wir sehen bisher strukturelle und versorgungstechnische Probleme“, erklärte der Co-Vorsitzende des BÄK-Digitalisierungsausschusses, Dr. Peter Bobbert. So sei immer noch nicht geklärt, wie sich Ärztinnen und Ärzte im Netz sicher identifizieren können. „Bisher kann man im digitalen Raum nicht erkennen, ob ein Arzt auch ein Arzt ist“, so Bobbert. „Da müssen wir besser werden.“

 
Bisher kann man im digitalen Raum nicht erkennen, ob ein Arzt auch ein Arzt ist. Dr. Peter Bobbert
 

Außerdem bräuchten Ärzte einen eigenen, sicheren Messenger-Dienst, auf dem sie medizinische Daten austauschen können. Auch dürften Pflegebedürftige und chronisch Kranke bei der digitalen Versorgung nicht übersehen werden. Der Stresstest für das System sei gut und wichtig gewesen, resümierte Bobbert: „Aber für die Zukunft brauchen wir eine Testregion, in der wir Anwendungen prüfen können, um sie dann schnell auf ganz Deutschland ausrollen zu können.“

12 Forderungen der Digitalisierung

Deshalb hat die BÄK 12 zentrale Thesen für technische Neu- und Weiterentwicklungen formuliert:

  1. Ausbau der Videokonferenzen nach Kriterien des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI): Hier dürften keine öffentlichen Kanäle genutzt werden, sondern nur solche mit entsprechenden Sicherheitszertifikat. „Ein gutes Instrument“, sagte Reinhardt. „Denn die Kommunikation etwa mit Pflegebedürftigen in Heimen fällt so leichter.“ Außerdem sei es auch ökologisch vernünftiger, Autofahrten zum Patienten zu sparen.

  2. Schaffung einer einheitlichen Wissensdatenbank in der alle Forschungsergebnisse dargelegt werden und schnell in der Versorgung ankommen können.

  3. Ausbau von Tele-Konsilien: Dies sei laut BÄK ist ein passendes Mittel, um die Versorgung und das medizinische Knowhow zu den Patienten zu bringen, statt umgekehrt. Nützlich sind Tele-Konzile etwa bei Fragen zur Beatmung von COVID-19-Erkrankten.

  4. Ausbau von Monitoring-Möglichkeiten für ambulante Patienten: Bisher kommen zum Beispiel Diabetes-Patienten in die Praxis und legen ihre Werte vor. Das geht auch direkter, wenn die Daten direkt per Monitoring abgefragt werden.

  5. Die oft noch ungewohnte Technik braucht weitere Qualifizierung der Ärzte, MFAs und der anderen Leistungserbringer, wie Apotheker, Pflegender oder Heilmittelerbringer. Allerdings sind die Schulungen schwer zu integrieren, weil sei bei den Betroffenen auf Widerstand stoßen.

  6. Etablierung eines Identifizierungsdienstes für Ärztinnen und Ärzte in Verantwortung der Bundesärztekammer.

  7. Einführung eines speziellen Messenger-Dienstes per App für Ärzte, damit medizinische Information sicher transportiert werden kann.

  8. Schaffung eines Frühwarnsystems, das rechtzeitig und automatisch etwa über Engpässe bei der Versorgung mit Schutzausrüstungen informiert: Das System muss zugleich die Versorgung mit Ausrüstungen koordinieren können.

  9. Die elektronische Krankschreibung muss verstetigt werden – allerdings nur für Bestandspatienten von Haus- und Kinderärzten. Sie dürfe „nicht in die Hände von Geschäftemachern fallen“, sagte Eric Bodendieck, Co-Vorsitzender des BÄK Ausschusses „Digitalisierung der Gesundheitsversorgung“.

  10.  Schaffung einheitlicher Register etwa für Intensivbetten: Es brauche für Deutschland und Europa ein einheitliches Meldesystem, so die BÄK.

  11.  Medizinische und medizinethische Begleitforschung zur Anwendung digitaler Lösungen im System der medizinischen Versorgung.

  12.  Mehr Kommunikationsmöglichkeiten, etwa für Pflegebedürftige während einer Pandemie, um die Vereinsamung von Senioren zu stoppen.

Trotz neuer Tools die Bodenhaftung nicht verlieren

Bodendieck warf schließlich einen Blick in die Zukunft und betonte die zukünftig große Rolle von Algorithmen oder der Quantencomputer. Reinhardt indessen warnte, dass die Medizin trotz aller Möglichkeiten der Digitalisierung etwa bei der Patientensicherheit oder dem Datenaustausch zwischen Ärzten die Bodenhaftung nicht verlieren dürfe: „Die ärztliche Behandlung muss analog und körperlich bleiben.“

 

Kommentar

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