Der Marburger Bund (MB) protestiert gegen den Beschluss der Arbeitsrechtlichen Kommission des Deutschen Caritas-Verbandes vom 18. Juni 2020 zu den Gehältern aller rund 30.000 Ärzte in 400 Krankenhäusern der Caritas. Zwar saß der MB mit am Tisch der Kommission, konnte sich aber nicht durchsetzen [1].
Hintergrund des Streites ist der „3. Weg“, den Kirchen bei Gehaltsverhandlungen beschreiten. Dabei handeln Dienstgeber und Dienstnehmer die Gehälter von Ärzten aus; Streiks und Aussperrungen sind verboten. Was bei Kirchen als ethische Verpflichtung gilt, bedeutet für den MB schlicht eine Umgehung der Tarife.
„Die Ärztinnen und Ärzte in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes bleiben weiterhin von der Tarifentwicklung in den Ärztetarifverträgen abgehängt“, moniert denn auch der MB nach dem Beschluss der Kommission. Der übernehme zwar Teile der Tarifeinigung zum TV-Ärzte/VKA, die der MB rückwirkend zum 1. Januar 2019 für rund 55.000 Ärztinnen und Ärzte in kommunalen Kliniken abgeschlossen hat. Aber er bleibe in anderen Teilen hinter dem MB-Abschluss zurück, so der MB.
Caritas-Verband fordert Sonderregelungen
Tatsächlich dreht es sich in beiden Einigungen zwar um ein Gehalts-Plus von 6,64%. Aber der MB hat die Erhöhung in 3 Schritten beginnend rückwirkend zum 1. Januar 2019 abgeschlossen. Die Arbeitsrechtliche Kommission beginnt mit dem vollen Betrag erst rückwirkend zum 1. Januar 2020.
Auch die Zuschläge zum Bereitschaftsdienstentgelt von 15% fließen beim MB-Abschluss ab Juli 2019, aber bei der Arbeitsrechtlichen Kommission erst ab April 2020. Die entstehende Gehaltslücke im Vergleich zur Tarifeinigung des MB verkleinert der Caritas-Verband mit einer Einmalzahlung von 700 Euro im Januar 2021.
Ähnlich sieht es bei den Arbeitszeiten aus. Diese standen beim MB im Zentrum der Verhandlungen. Beide Abschlüsse sehen vor, dass Ärzte pro Halbjahr an durchschnittlich 2 Wochenenden im Monat keine Bereitschaftsdienste und keine Rufbereitschaft haben – es sei denn, es droht eine Gefährdung der Patientensicherheit. Aber auch diese Regelung tritt laut Beschluss der Kommission erst am 1. Januar 2021 in Kraft und damit ein Jahr später als im MB-Beschluss vorgesehen.
Noch ein Blick auf die Einschränkung verlängerter Dienste oder Erleichterungen in „Sandwichdiensten“, in denen ein Bereitschaftsdient direkt zwischen 2 Arbeitsschichten lag: Im MB-Beschluss greifen die Änderungen rückwirkend zum 1. Januar 2020, während sich die Kommission auf den 1. Januar 2021 festgelegt hat.
„Mit einer Inkraftsetzung der maßgeblichen Regelungen zum 1. Januar 2021 haben sich die katholischen Arbeitgeber faktisch eine Nullrunde zu Lasten ihrer Ärzte gesichert“, kritisiert Dr. Andreas Botzlar, 2. Vorsitzender des MB. „Die Arbeitgeber der Caritas nehmen dabei für sich ein anachronistisches Privileg in Anspruch, um sich gegenüber anderen Krankenhausträgern einen vermeintlichen Wettbewerbsvorteil zu sichern; letztlich aber ist das eine Entscheidung gegen die Ärzteschaft.“
Der MB kritisiert dabei das „völlige Fehlen wirksamer Konfliktlösungsmechanismen“. So konnten die Arbeitgeber letztlich nicht nur schlechtere Bedingungen durchsetzen, sondern auch noch erzwingen, dass diese deutlich später als im maßgeblichen Tarifvertrag des Marburger Bundes für die kommunalen Kliniken in Kraft treten, so der MB.
Caritas: „Keine Nullrunde“
Der Marburger Bund verdrehe die Tatsachen, kontert Norbert Altmann, Sprecher der Dienstgeberseite der Caritas. „Da die Einigung erst in 2020 erfolgte, gehen die linearen Vergütungserhöhungen auf den frühestmöglichen, wirtschaftlich machbaren Zeitpunkt – Januar 2020 – zurück.“ Zudem lägen sie mit 6,6% in 2020 sogar 2% über denen des TV Ärzte/VKA und im Jahr 2021 flössen außerdem 700 Euro extra.
„Der Abschluss sieht zudem für die organisatorischen Herausforderungen ein gutes halbes Jahr an Vorbereitungszeit vor“, so Altmann. „Eine so genannte Rückwirkung wäre hier überhaupt nicht möglich – dies ist auch dem Marburger Bund bewusst. Von einer „Null-Runde“ kann also keine Rede sein!“
Der Caritas Verband argumentiert mit dem „Leitbild der christlichen Dienstgemeinschaft“, das bei den Tarifverhandlungen nicht antagonistisch arbeite wie anderenorts Gewerkschaften und Arbeitgeber, sondern in einem eigenen System: Auf dem so genannten 3. Weg verhandeln die paritätisch besetzten Arbeitsrechtlichen Kommissionen die Arbeitsbedingungen. Der wesentliche Unterschied zu normalen Tarifverhandlungen, nämlich das Werkzeug der Streikandrohung, steht der Arbeitnehmerseite nicht zur Verfügung.
„Die Grundlagen des 3. Wegs sind das partnerschaftliche Miteinander von Arbeitnehmern und von Arbeitgebern, die gleichberechtigte und gleichgewichtige Interessenvertretung in den arbeitsrechtlichen Kommissionen, die faire Konfliktlösung ohne Arbeitskampf und das Prinzip der Lohngerechtigkeit“, schreibt dazu die Deutsche Bischofskonferenz.
Das Bundesarbeitsgericht hat 2017 beschlossen, dass die Arbeitsrechtlichen Kommissionen den „3. Weg“ weitergehen können, wenn sie den Gewerkschaften Plätze in der Kommission einräumen. Ver.di hat sich gegen die Teilnahme entschieden, der MB verhandelte mit.
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Diesen Artikel so zitieren: Nullrunde zu Lasten von Ärzten? Caritas-Verband setzt tarifliche Verbesserungen im eigenen Bereich verzögert um - Medscape - 7. Jul 2020.
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