Vom Typ 2-Diabetes geheilt durch Ernährung, das geht! Experten diskutieren das Wie – Kohlenhydrate sind der Schlüssel

Heike Dierbach

Interessenkonflikte

6. Juli 2020

Gewichtsabnahme spielt bei der Therapie von Typ-2-Diabetes eine entscheidende Rolle. Doch welche Ernährung ist die beste? Und warum fällt es vielen Patienten so schwer, sich umzustellen? Mit diesen Fragen beschäftigte sich das Panel „Wie kommen wir von der Therapie des Diabetes zur Heilung?“ auf dem „Food for Thought“-Kongress 2020, online organisiert vom British Medical Journal und dem Swiss Re Institut [1].

Prof. Dr. Sarah Hallberg, Medizinische Direktorin der Indiana University Health Arnett, stellte klar: „Heilung ist möglich.“

Warum nehmen Typ-2-Diabetiker so schwer ab?

Dass Übergewicht einer der Hauptrisikofaktoren für Typ-2-Diabetes ist, steht heute außer Frage. Warum aber genau, ist nach wie vor nicht vollständig geklärt. Prof. Dr. Roy Taylor, Direktor des Newcastle Magnetic Resonance Centre an der Universität Newcastle, vermutet, dass sich durch die überschüssigen Kalorien Fettablagerungen in Leber und Pankreas bilden. Wenn diese durch eine kalorienarme Diät abgebaut werden, bilde sich oft auch der Diabetes zurück. „Wenn Patienten aber dann erneut zunehmen, können wir genau beobachten, wie auch der Stoffwechsel wieder aus dem Gleichgewicht gerät.“

Doch vielen Menschen mit Adipositas und Typ 2-Diabetes fällt es sehr schwer abzunehmen. Möglicherweise gibt es dafür auch metabolische Gründe. Prof. Dr. Arne Astrup, Leiter der Abteilung Ernährung, Bewegung und Sport an der Universität Kopenhagen, führt es auf eine veränderte Glukoseaufnahme im Gehirn zurück. Dadurch sei das Sättigungsgefühl gestört.

In einem Experiment wurde der Glukosegehalt im Gehirn nach der Aufnahme einer Glukoselösung gemessen – bei normalgewichtigen Patienten und solchen mit Adipositas und mit Typ-2-Diabetes. Bei den Normalgewichtigen stieg der Gehalt auf 1,46 mmol Glukose pro Liter. Bei den Adipösen waren es nur 1,06 mmol, bei den Diabetikern sogar nur 0,71 mmol. „Den Betroffenen fehlt also nach der Aufnahme von Kohlenhydraten das Sättigungsgefühl“, sagt Astrup.

 
Den Betroffenen fehlt also nach der Aufnahme von Kohlenhydraten das Sättigungsgefühl. Prof. Dr. Arne Astrup
 

Eine Studie von 2017 habe auch gezeigt, dass Diabetiker besser abnehmen durch eine Diät mit wenig Kohlenhydraten und viel Fett als mit viel Kohlenhydraten und wenig Fett.

Je weniger Kohlenhydrate, desto besser

Patienten bräuchten Wahlmöglichkeiten, wie sie eine Gewichtsabnahme erreichen können, betont Hallberg. Für eine kalorien- oder kohlenhydratarme Diät und operative Verfahren sei die Evidenz bereits gut. „Ich hoffe, dass wir in naher Zukunft auch Nachweise haben, dass Intervallfasten wirkt. Je mehr Optionen Patienten haben, desto höher sind ihre Chancen, es auch zu schaffen.“

 
Je mehr Optionen Patienten haben, desto höher sind ihre Chancen, es auch zu schaffen. Prof. Dr. Sarah Hallberg
 

Hallberg selbst ist spezialisiert auf kohlenhydratarme Ernährung. Nach der Definition stammen dabei weniger als 25% der Kalorien aus Kohlenhydraten.

„Noch besser wirkt allerdings eine sehr kohlenhydratarme Ernährung“, sagt die Expertin – also weniger als 10% der Kalorien aus Kohlehydraten.

Nach auf dem Panel präsentierten unveröffentlichten Daten nahmen Patienten dadurch erst gut ab, dann zwar wieder etwas zu – doch nach 2 Jahren wogen sie immerhin noch um die 10 Kilogramm weniger als vorher. Bei 45% hatte sich der Diabetes zurückgebildet (hier waren Patienten unter Metformin eingeschlossen, ohne dieses Medikament waren es 22%). „Es ist also eine nachhaltige Methode“, sagt Hallberg.

Es braucht nicht viel Zeit und Geld

„Wir haben durch unsere Form des Essens die Diabetes-Epidemie herbeigeführt“, sagt Dr. David Unwin, Hausarzt vom Royal College of General Practitioners in Großbritannien, „also können wir sie auch über das Essen wieder beenden.“

 
Wir haben durch unsere Form des Essens die Diabetes-Epidemie herbeigeführt, also können wir sie auch über das Essen wieder beenden. Dr. David Unwin
 

Bis 2012 hatte er keinen einzigen Patienten, bei dem sich der Diabetes zurückbildete. „Alles was ich tun konnte, war, mehr Medikamente zu verschreiben, während meine Patienten weiter zunahmen.“ Dann begann Unwin, eine kohlenhydratarme Diät zu empfehlen. Bis heute sind 82 seiner Diabetes-Patienten komplett genesen. „Und das im unterfinanzierten National Health Service mit 10 Minuten Sprechzeit pro Patient!“

Unwin illustrierte mit Videoaufnahmen, was es für Patienten bedeutet, ihren Diabetes selbst heilen zu können. „Es ist einfach fantastisch“, sagt eine Patientin, die nach 16 Jahren nun kein Insulin mehr braucht: „Ich bin jetzt voller Energie. Alles ist viel leichter als früher.“

Allerdings fehlt es bisher an randomisiert-kontrollierten Studien zu kohlenhydratarmen Diäten. Viele untersuchen nur Patienten, die sich selbst für das Programm melden. „Es ist allerdings in der Praxis auch fragwürdig, dem Patienten eine bestimmte Ernährung zuzuweisen“, sagt Hallberg, „die Selbstbestimmung ist ja gerade eine Erfolgsfaktor für die Therapie.“

 
Die Selbstbestimmung ist ja gerade eine Erfolgsfaktor für die Therapie. Prof. Dr. Sarah Hallberg
 

Auch gehe es gerade nicht um eine „One size fits all“-Lösung. Deshalb könne man die Ergebnisse von randomisiert-kontrollierten Studien auch nur bedingt generalisieren. „Es geht darum, für jeden den richtigen Ansatz zu finden.“

Alle Panels des Kongresses wurden aufgezeichnet und sind online frei verfügbar.

 

Kommentar

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