RECOVERY-Studie: Wieder 2 Hoffnungsträger weniger bei schwerem COVID-19-Verlauf; Überraschendes zu Hydroxychloroquin

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

2. Juli 2020

Remdesivir steht zur Therapie von COVID-19 in den Startlöchern; eine Zulassung in Europa ist zum Greifen nah (wie Medscape berichtete ). Und das Karussell mit neuen Substanzen dreht sich immer schneller.

 
Für Patienten mit COVID-19, die nicht an einem Beatmungsgerät stationär behandelt werden, ist Lopinavir-Ritonavir keine wirksame Behandlung. Prof. Dr. Peter Horby
 

Allerdings kommen nun wieder negative Nachrichten: Bei hospitalisierten COVID-19-Patienten bringt die Behandlung mit Lopinavir plus Ritonavir versus Placebo keinen erkennbaren Nutzen. Das geht aus einer geplanten Zwischenauswertung der RECOVERY-Studie der University of Oxford hervor [1].

„Für Patienten mit COVID-19, die nicht an einem Beatmungsgerät stationär behandelt werden, ist Lopinavir-Ritonavir keine wirksame Behandlung“, fasst Prof. Dr. Peter Horby vom Nuffield Department of Medicine der University of Oxford zusammen. Dies sei bereits die 3. Veröffentlichung aufgrund von RECOVERY. Zuvor habe man gezeigt, dass Hydroxychloroquin die Überlebenschancen nicht verbessere, während Dexamethason Leben retten könne.

 
Das sind klare Ergebnisse; diese unterstreichen einmal mehr den Wert großer randomisierter klinischer Studien. Prof. Dr. Martin Landray
 

„Das sind klare Ergebnisse; diese unterstreichen einmal mehr den Wert großer randomisierter klinischer Studien zur Differenzierung von Medikamenten, von denen wir hoffen, dass sie wirken“, fasst Prof. Dr. Martin Landray zusammen. Er forscht am Nuffield Department of Population Health der University of Oxford. Landray jedenfalls fordert, Behandlungsalgorithmen in Klinken anzupassen, falls diese Lopinavir-Ritonavir als Therapie empfehlen.

Design der RECOVERY-Studie

Zum Hintergrund: Die RECOVERY-Studie („Randomised Evaluation of COVid-19 thERapY“) ist die weltweit größte randomisierte, Placebo-kontrollierte Studie mit dem Ziel, Therapieoptionen bei stationären Patienten mit COVID-19 zu untersuchen. Mehr als 11.800 Patienten wurden nach dem Zufallsprinzip diversen Studienarmen zugewiesen:

  • Lopinavir-Ritonavir (aufgrund ihrer Wirkung als Protease-Inhibitoren),

  • niedrig dosiertes Dexamethason (aufgrund seiner antiinflammatorischen Wirkung),

  • Hydroxychloroquin (aufgrund von Hinweisen aus In-vitro-Studien),

  • Azithromycin (aufgrund seiner antibiotischen Wirkung bei Sekundärinfektionen),

  • Tocilizumab (aufgrund seiner antiinflammatorischen Effekte),

  • Rekonvaleszenten-Plasma (gesammelt von Spendern, die sich von COVID-19 erholt haben und deren Blut Antikörper gegen SARS-CoV-2-Virus enthält).

In den letzten Wochen hat RECOVERY Ergebnisse für 2 dieser Behandlungen geliefert. Sie zeigte keinen Nutzen von Hydroxychloroquin in dieser Population. Dieser Studienarm wurde daraufhin eingestellt.

Niedrig dosiertes Dexamethason wiederum verringerte das Mortalitätsrisiko bei Patienten unter mechanischer Beatmung um ein Drittel und bei Patienten unter Sauerstoffgabe um ein Fünftel ( Medscape hat berichtet ). Personen ohne Atemunterstützung profitierten aber nicht von Dexamethason. Auch dieser Studienarm gilt als abgeschlossen; ein Preprint wurde auf medRxiv veröffentlicht.

RECOVERY rekrutiert weiterhin Patienten, um die Untersuchung von Azithromycin, Tocilizumab und Rekonvaleszenten-Plasma fortzusetzen.

Lopinavir-Ritonavir ohne Benefit

Im Studienarm mit Lopinavir-Ritonavir wurden 1.596 Patienten nach dem Zufallsprinzip mit Verum behandelt. Zum Vergleich zogen die Forscher Daten von 3.376 Patienten heran, die neben Placebo nur die bestmögliche Versorgung erhalten hatten.

Von allen Patienten erhielten zu Studienbeginn 4% eine invasive mechanische Beatmung, 70% bekamen Sauerstoff über eine Atemmaske, und 26% benötigten keine respiratorische Unterstützung. Signifikante Unterschiede im primären Endpunkt, nämlich der 28-Tage-Mortalität, suchten die Forscher vergebens. Als Wert geben sie 22,1% unter Lopinavir-Ritonavir an versus 21,3% bei üblicher Behandlung (Odds Ratio 1,04, 95% Konfidenzintervall 0,91 bis 1,18, p=0,58).

Die Ergebnisse waren in verschiedenen Subgruppen von Patienten konsistent. Es gab auch keine Hinweise auf positive Auswirkungen auf das Risiko der Progression zur mechanischen Beatmung oder die Dauer des Krankenhausaufenthalts. „Diese Daten schließen überzeugend jeglichen signifikanten Nutzen von Lopinavir-Ritonavir für die Mortalität bei den von uns untersuchten COVID-19-Patienten im Krankenhaus aus“, lautet dementsprechend ihr Fazit.

Deshalb kam der Lenkungsausschuss der Studie zum Ergebnis, dass es keinen positiven Effekt von Lopinavir-Ritonavir bei Patienten gibt, die mit COVID-19 stationär behandelt werden und bei denen die Randomisierung für diesen Behandlungsarm abgeschlossen ist. Der Studienarm wurde dementsprechend abgebrochen.

„Wir waren nicht in der Lage, eine große Anzahl von Patienten mit invasiver mechanischer Beatmung zu untersuchen, da die Verabreichung des Medikaments an Patienten mit Beatmungsgeräten schwierig war“, heißt es in der Pressemeldung. „Daher können wir keine Aussagen über die Wirksamkeit bei mechanisch beatmeten Patienten machen.“ Die vollständigen Ergebnisse würden bald zur Verfügung gestellt.

Erkenntnisse zu Tocilizumab

Aus RECOVERY gibt es derzeit noch keine Informationen über den Benefit von Tocilizumab; der Studienarm läuft. Doch Prof. Dr. Giovanni Guaraldi von der Azienda Ospedaliero-Universitaria Policlinico of Modena hat dazu aktuell aber zusammen mit Kollegen Ergebnisse aus eigenen Untersuchungen vorgelegt.

Von 1.351 stationär behandelten Patienten hatten 544 (40%) eine schwere COVID-19-Pneumonie und wurden in die Studie aufgenommen. 57 (16%) von 365 Patienten in der Standardversorgungsgruppe benötigten eine künstliche Beatmung, verglichen mit 33 (18%) von 179 in der Tocilizumab-Gruppe. 73 (20%) aller Patienten in der Standardversorgungsgruppe starben, verglichen mit 13 (7%), die mit Tocilizumab behandelt wurden.

 
Die … Verabreichung von Tocilizumab kann das Risiko einer invasiven mechanischen Beatmung oder des Todes bei Patienten mit schwerer COVID-19-Pneumonie verringern. Prof. Dr. Giovanni Guaraldi
 

Nach Anpassung an Geschlecht, Alter, Rekrutierungszentrum, Dauer der Symptome und SOFA-Score war Tocilizumab mit einem verringerten Risiko für invasive mechanische Beatmung oder Tod verbunden (adjustierte Hazard Ratio 0,61, 95% KI 0,40 bis 0,92, p=0,020).

„Die intravenöse oder subkutane Verabreichung von Tocilizumab kann das Risiko einer invasiven mechanischen Beatmung oder des Todes bei Patienten mit schwerer COVID-19-Pneumonie verringern“, schreiben Guaraldi und Kollegen. Jetzt wartet man gespannt auf Ergebnisse der RECOVERY-Studie.

Chloroquin/Hydroxychloroquin: Überraschende Wendung

Beim Hydroxychloroquin dagegen gibt es überraschende wissenschaftliche Entscheidungen. Denn nach den Ergebnissen aus RECOVERY und dem Fazit der Oxford-Wissenschaftler sowie aus anderen Studien spielt der Wirkstoff keine Rolle mehr bei der Therapie von COVID-19.

Aber, so berichtet die New York Times, es werde nun ein Neustart der sogenannten COPCOV-Studie erwogen. Diese soll zeigen, ob sich Hydroxychloroquin eventuell zur Prävention von SARS-CoV-2-Infektionen eignet – bekanntlich hatte US-Präsident Donald Trump immer wieder diese Hoffnung geäußert. In die randomisierte, Placebo-kontrollierte Studie sollen 40.000 Beschäftigte im Gesundheitswesen und andere gefährdete Personengruppen weltweit aufgenommen werden. Auf die Ergebnisse darf man gespannt sein.

 

Kommentar

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