Seit 1994 rät die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) bei Sechsfach-Impfungen für Säuglinge zum „3+1“-Impfschema. Jetzt wurde dieses bekannte Prinzip aktualisiert. Ab sofort empfiehlt die STIKO ein „2+1“-Schema als Schutz vor Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Poliomyelitis, Haemophilus influenzae Typ b und Hepatitis B. Bei vergleichbarem Schutz ist ein Termin weniger erforderlich als zuvor [1].
„2+1“ bedeutet dabei, 2 Dosen in kürzerem Abstand zu verabreichen, gefolgt von einer Dosis in längerem Abstand. Die Empfehlung gilt für reif geborene Säuglinge. Frühgeborene sollen aufgrund ihres noch nicht ausgereiften Immunsystems weiter nach dem „3+1“-Schema geimpft werden. Und Säuglinge, die bereits die 2. Impfstoffdosis vor dem Alter von 4 Monaten erhalten haben, sollen weiter nach dem „3+1“-Schema geimpft werden.
Den Impfplan vereinfachen
Ziel der Änderung ist, den Impfplan zu vereinfachen und Arzttermine einzusparen. Weniger Besuche beim Pädiater, aber auch weniger Vakzine könnten zudem Geld einsparen; genaue Zahlen dazu kennt man derzeit nicht. Da weniger Vakzine benötigt werden, könnte sich auch die Versorgungssituation entspannen. In den letzten Jahren gab es immer wieder Lieferengpässe.
Für die Sechsfach-Impfung sind in beiden Schemata die Vakzine Hexyon®, Infanrix hexa® und Vaxelis® zugelassen. Säuglinge erhalten Impfdosen künftig im Alter von 2, 4 und 11 Monaten. Die Spritze im Alter von 3 Monaten entfällt.
„Für einen zuverlässigen Langzeitschutz ist es besonders wichtig, zwischen der 2. und 3. Impfstoffdosis einen Abstand von mindestens 6 Monate einzuhalten“, schreibt die STIKO in ihrer Pressemeldung.
Sie rät, die Impfserie zeitlich so einzutakten, dass diese zum 1. Geburtstag bereits abgeschlossen ist, um Kleinkinder auch bei frühem Besuch von Kitas zu schützen. Das ist nicht neu. „Allerdings wurde in Deutschland gesehen, dass nur ein kleiner Anteil der Säuglinge zu den empfohlenen Zeitpunkten geimpft wird“, heißt es weiter.
Woran könnte das liegen? Möglicherweise lassen Eltern ihre Säuglinge aus Sorge vor einer vermeintlichen Überforderung des Immunsystems möglichst spät impfen: eine gefährliche Entscheidung. Denn Infektionen sind in jungen Jahren besonders gefährlich, und Impfungen bieten einen zuverlässigen Schutz. „Es gibt keine Hinweise darauf, dass Mehrfachimpfstoffe die Immunabwehr überlasten“, so die STIKO weiter.
Wissenschaftliche Begründung der neuen Strategie
Zeitgleich berichtet die STIKO im Epidemiologischen Bulletin, wie es zu der neuen Impfstrategie gekommen ist [2]. Sie hat eine Arbeitsgruppe beauftragt, die Wirksamkeit beider Schemata zu vergleichen.
„Die historische Betrachtung zeigt, dass das 3+1-Schema einzig aufgrund der azellulären Pertussis-Komponente eingeführt wurde, während für die anderen Komponenten ein 2+1-Schema als ausreichend wirksam erachtet wurde“, schreiben die Experten.
Deshalb entschlossen sie sich, die wissenschaftliche Literatur speziell zur Frage nach dem Pertussis-Schutz auszuwerten. In Deutschland gibt es etwa 450 Fälle pro Jahr bei ungeimpften oder nicht ausreichend geimpften Säuglingen.
Eingeschlossen wurden randomisierte, kontrollierte Studien und Beobachtungsstudien. Diese mussten untersuchen, wie effizient verschiedene Impfschemata bei Kindern zwischen 6 und 11 Monaten sind. Als Endpunkte definierte man Pertussis jeglicher Schwere, Pertussis-bedinge Hospitalisierungen oder einen Pertussis-bedingten Tod.
2 Fall-Kontroll-Studien und eine Kohortenstudie mit 11.486 Säuglingen, davon hatten 661 Pertussis, und 10.825 Kontrollen, erfüllten die Einschlusskriterien.
Laut den Fall-Kontroll-Studien lag die Vakzine-Effektivität zur Vermeidung einer Infektion nach 2 Impfstoffdosen bei 81% (95% KI 74% bis 86%) und 89% (95% KI 70% bis 96%) und nach 3 Impfstoffdosen bei 84% (95% KI 79% bis 87%) bzw. 99% (95% KI 86% bis 100%).
2 Studien berichten über die Vermeidung Pertussis-bedingter Hospitalisierungen. Hier betrug die Vakzine-Effektivität nach 2 Impfstoffdosen 92% (95% KI 85% bis 96%) und 81% (95 % KI 63 bis 91%), für 3 Impfstoffdosen 100% (95% KI 99% bis 100%) bzw. 85% (95% KI 75% bis 91%).
Dementsprechend muss im Vergleich zum „3+1“-Schema je nach Datenbasis mit maximal einem zusätzlichen hospitalisierten Pertussis-Fall alle 2 Jahre bzw. einem zusätzlichen hospitalisierten Pertussis-Fall pro Jahr gerechnet werden, wenn nach dem „2+1“-Schema geimpft wird.
Nach Information des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) haben derzeit 15 Länder das „2+1“- und 13 Länder das „3+1“-Schema in nationalen Impfplänen. 3 Länder impfen nach anderen Schemata.
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Diesen Artikel so zitieren: „2+1“ statt „3+1“: Neue STIKO-Empfehlung – ein Impftermin kann entfallen, nur Pertussis-Risiko steigt leicht - Medscape - 29. Jun 2020.
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