Kontinuierliche Glukosemessung über Sensor am Oberarm senkt das Risiko für Diabetes-bedingte Klinikaufenthalte

Miriam E. Tucker

Interessenkonflikte

26. Juni 2020

Das Glukose-Messsystem „FreeStyle Libre“ von Abbott senkt signifikant das Risiko von Diabetikern für Krankenhaus-Einweisungen aufgrund einer diabetischen Ketoazidose (DKA), eines Diabetes-bedingten Notfalls oder aus irgendwelchen anderen Gründen. So das Resultat von 2 neuen Studien, die gerade auf dem virtuell abgehaltenen 80. Jahreskongress der American Diabetes Association (ADA) vorgestellt worden sind [1].

Das Libre-System misst den Blutzuckerspiegel über einen Sensor, der bis zu 14 Tage am dorsalen Oberarm getragen wird. Der Nutzer schwenkt zum Ablesen des Wertes lediglich einen kleinen Scanner über den Sensor.

In einer großen französischen Datenbank-Analyse waren die Krankenhaus-Einweisungen wegen einer diabetischen Ketoazidose halbiert, wenn Typ-1- oder Typ-2-Diabetiker das System verwendeten.

 
Es erscheint logisch, dass sich mit dem FreeStyle Libre-System eine längere Hyperglykämie mit nachfolgender Ketoazidose erkennen und begrenzen lässt. Dr. Ronan Roussel
 

Bei der anderen Studie handelte es sich um eine retrospektive Analyse der Daten von über 1.200 insulinpflichtigen Typ-2-Diabetikern in den USA. Dabei wurde die Verwendung des FreeStyle Libre ebenfalls mit einem signifikanten Rückgang der Krankenhauseinweisungen in Verbindung gebracht. Die Endpunkte waren hier akute Diabetes-bedingte Notfälle sowie Klinikeinweisungen aus jeglicher Ursache.

Dr. Nicholas Argento, Leiter der Abteilung Diabetes-Technologie bei Maryland Endocrine and Diabetes in Columbia, kommentiert gegenüber Medscape: „Eines der größten Probleme bei der kontinuierlichen Glukosemessung (Continuous Glucose Monitoring, CGM) sind die Kosten. Es gibt jedoch Einsparmöglichkeiten, durch welche die Kosten für diese Geräte im Griff gehalten werden können. Ich halte diese beiden Studien auch aus diesem Grund für wichtig.“

Argento sprach sich jedoch dafür aus, mit Blick auf Typ-1-Diabetiker eher das kontinuierliche Glukosemess-System der Firma Dexcom zu verwenden statt des Libre. Trotz der höheren Anschaffungskosten zeichne es sich gegenüber dem Libre durch eine Alarmfunktion aus und liefere zudem im hypoglykämischen Bereich genauere Werte. (Das Freestyle Libre 2 bietet übrigens auch die Möglichkeit eines Glukosealarms und ist in verschiedenen europäischen Ländern auf dem Markt, jedoch nicht in den USA.)

Große französische Studie: Libre senkt Einweisungen wegen DKA um 50%

Die Krankenkassen in Frankreich übernehmen seit dem 1. Juni 2017 die Kosten für das FreeStyle Libre-System bei Patienten über 4 Jahre mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes, die mindestens 3 Insulin-Injektionen pro Tag benötigen oder eine Insulinpumpe verwenden.

Die Ergebnisse der französischen Studie stellte Dr. Ronan Roussel, Leiter der Abteilung für Endokrinologie, Diabetes und Ernährung am Hôpital Bichat in Paris, vor.

Seine Daten zu den Klinikeinweisungen wegen diabetischer Ketoazidosen waren Teil einer größeren retrospektiven Längsschnitt-Kohortenstudie. Darin ging es um die ambulante Verordnungs- und Nutzungspraxis des Libre-Systems in Frankreich sowie um die Folgen für die Gesundheitsversorgung und die damit verbundenen Kosten für das Gesundheitssystem. Die Daten stammten aus einer großen landesweiten Schadensfall-Datenbank zu den Gesundheitsausgaben von über 66 Millionen Menschen.

In der aktuellen Studie wurden die Daten von 74.076 Personen seit 2017 berücksichtigt, die über mindestens ein Jahr nachbeobachtet worden waren. Stichtag war das Datum der ersten Kostenerstattung für das FreeStyle-Libre-System. Von diesen Patienten hatten 44,8% (33.203) einen Typ-1-Diabetes und 55,2% (40.955) einen Typ-2-Diabetes.

Vor Beginn der Nutzung des Libre-Systems verwendeten etwa 25% der Personen jeder Gruppe keine Blutzucker-Teststreifen, 19% der Typ-1-Diabetiker und 28% der Typ-2- Diabetiker verwendeten 1 bis 3 Streifen täglich und etwa die Hälfte beider Gruppen 4 oder mehr Streifen.

Im Vergleich zum Jahr vor dem Datum der ersten Kostenerstattung für das Libre-System sank die Zahl der Krankenhaus-Einweisungen wegen einer diabetischen Ketoazidose um 52% bei den Typ-1-Diabetikern (von 5,46 auf 2,59/100 Patientenjahre) und um 47% in der Gruppe der Typ-2-Diabetiker (von 1,70 auf 0,90).

 
Wir stellen zwar einen Wiederanstieg bestimmter Komplikationen über die Zeit fest, doch all diese Werte waren in den 6 Monaten nach Beginn der Libre-Anwendung zurückgegangen. Dr. Richard M. Bergenstal
 

Die Auswirkungen waren am augenfälligsten unter denjenigen, die bis dahin gar keine Teststreifen benutzt hatten. Für sie gingen die Klinikaufenthalte in der Gruppe der Typ-1-Diabetiker um 60% zurück (von 8,31 auf 3,31/100 Patientenjahre) und für Typ-2-Diabetiker um 51% (von 2,51 auf 1,23).

Interessanterweise wurde der zweithöchste Wert bei denjenigen registriert, die über 5 Teststreifen pro Tag verwendet hatten: 59% Rückgang bei Typ-1-Diabetikern (von 5,55 auf 2,26) und 52% bei Typ-2-Diabetikern (von 1,88 auf 0,90).

Dieser Befund sei für die USA bedeutsam, so Argento, da manche Versicherer wie etwa Medicare verlangten, dass der Patient mindestens 4 Teststreifen-Messungen pro Tag durchführe, um die Kostenübernahme für ein Libre- oder ein anderes CGM-System beantragen zu können.

„Man sollte von den Patienten nicht zuerst einen Nachweis der regelmäßigen und häufigen Blutzucker-Messung verlangen, bevor sie die Geräte erhalten können“, sagte Argento.

Interessant sei auch der hohe Nutzen für die Gruppe, die viele Teststreifen verbrauche, so Argento weiter. „Es ist eine ganz andere Patientengruppe. Sie kümmern sich stärker um ihre Blutzuckerwerte … Der U-förmige Kurvenverlauf in dieser Gruppe ist faszinierend.“

Der Rückgang der DKA-bedingten Klinikaufenthalte sei ähnlich gewesen, egal ob die Patienten Insulinpumpen benutzten oder mehrmals täglich Insulin injizierten, berichtete Roussel.

„Es erscheint logisch, dass sich mit dem FreeStyle Libre-System eine längere Hyperglykämie mit nachfolgender Ketoazidose erkennen und begrenzen lässt“, sagte Roussel. „Diese Analyse hat erhebliche Folgen für die patientenzentrierte klinische Versorgung von Diabetikern und auch für die Diabetes-bedingten langfristigen Kosten für das Gesundheitssystem.“

US-Studie: Zahl der Klinikeinweisungen bei Typ-2-Diabetes sinkt mit Libre-System um 30%

Dr. Richard M. Bergenstal, Leiter des Internationalen Diabeteszentrums in Park Nicollet in Minneapolis, stellte die Ergebnisse der US-Studie vor. Die Daten dazu stammten aus der IBM Watson Health MarketScan-Datenbank, in der Zusatzversicherungsansprüche für über 30 Millionen US-Amerikaner registriert sind.

Die Studienpopulation umfasste 2.463 Typ-2-Diabetiker, die tägliche Basal- und Bolus-Insulininjektionen benötigten. Sie sollten zudem zuvor weder Libre noch eine andere Form des CGM verwendet haben. Schließlich mussten zu diesen Personen auch Daten aus den 6 Monaten vor und nach Beginn der Libre-Anwendung vorliegen.

Im Vergleich zu den 6 Monaten vor der Libre-Anwendung sank die Zahl der akuten Diabetes-bedingten Ereignisse – Hyperglykämie, Hypoglykämie, diabetische Ketoazidose, hypoglykämisches Koma und Hyperosmolarität – in den 6 Folgemonaten um 60% (von 0,180 auf 0,072 Ereignisse pro Patientenjahr; p<0,001).

Der Rückgang war ähnlich signifikant bei Männern und Frauen sowie bei Personen über oder unter 50 Jahren.

 
Unabhängig von der Art der Infektion zeigen erkrankte Patienten, deren Blutzuckerwerte sich rapide verschlechtern, mit sehr viel höherer Wahrscheinlichkeit ein schlechtes Outcome. Dr. Nicholas Argento
 

Auch die Gesamtzahl der Krankenhaus-Einweisungen ging signifikant um 33% zurück (von 0,420 auf 0,283 Ereignisse pro Patientenjahr; p<0,001). Bei den Diagnosecodes für die Krankenhaus-Aufenthalte lagen die kardiovaskulären Erkrankungen in beiden Zeiträumen an der Spitze, wobei es nur geringfügige Unterschiede vor und nach der Libre-Anwendung gab.

Die Codes für „Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten“ als Einweisungsdiagnose fielen jedoch von der 2. Position vor der Anwendung (6,4 Ereignisse/100 Patientenjahre) auf Platz 5 zurück (2,6 Ereignisse/100 Patientenjahre).

Zu den weiteren wichtigen diagnostischen Kategorien, die ebenfalls rückläufig waren, gehörten laut Bergenstal Atemwegserkrankungen (von 3,5 auf 2,1 Ereignisse/100 Patientenjahre), Nieren- und Harnwegserkrankungen (von 3,3 auf 1,7 Ereignisse/100 Patientenjahre) sowie hepatobiliäre und Pankreas-Erkrankungen (von 2,4 auf 1,4 Ereignisse/100 Patientenjahre).

„Wir stellen zwar einen Wiederanstieg bestimmter Komplikationen über die Zeit fest, doch all diese Werte waren in den 6 Monaten nach Beginn der Libre-Anwendung zurückgegangen“, so Bergenstal.

Und passend zur aktuellen COVID-19-Situation gingen auch die Kodierungen für „infektiöse und parasitäre Krankheiten“ von 4,8 auf 2,8 pro 100 Patientenjahre zurück.

Dazu sagte Argento: „Die Tatsache, dass die Infektionen zurückgegangen sind, spricht für etwas, das gerade aktuell von Bedeutung ist: Eine Hyperglykämie beeinträchtigt die Funktion des Immunsystems nicht nur chronisch, sondern auch akut … Unabhängig von der Art der Infektion zeigen erkrankte Patienten, deren Blutzuckerwerte sich rapide verschlechtern, mit sehr viel höherer Wahrscheinlichkeit ein schlechtes Outcome. Inzwischen liegen zu dem Therma auch Daten für COVID-19 vor.“

 
Diese Ergebnisse sprechen in überzeugender Weise für einen Einsatz des Libre-Systems, weil sich nicht nur die klinischen Ergebnisse verbessern lassen, sondern potenziell auch die Kosten für diese Patientengruppe gesenkt werden können. Dr. Richard M. Bergenstal
 

„Diese Ergebnisse sprechen in überzeugender Weise für einen Einsatz des Libre-Systems, weil sich nicht nur die klinischen Ergebnisse verbessern lassen, sondern potenziell auch die Kosten für diese Patientengruppe gesenkt werden können“, schloss Bergenstal.

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
 

Kommentar

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