Gastroenterologen informieren: Was die neue S3-Leitlinie „Reizdarm“ rät; wie Früherkennung von Leberschäden funktioniert

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

25. Juni 2020

Erkrankungen der Leber verlaufen oft schleichend und symptomarm – und es fehlen Früherkennungsprogramme. Die Effektivität einer Früherkennung wird jetzt in einer Studie untersucht, die auf der Jahrespressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) vorgestellt wurde [1]. Zudem wurden die wesentlichen Neuerungen in der aktualisierten S3-Leitlinie „Reizdarm“ präsentiert.

SEAL-Studie untersucht die Effizienz von Leberscreenings

Die Leber leidet stumm: Nur bei jedem 4. Patienten wird eine Leberzirrhose schon im Frühstadium diagnostiziert. Daran erinnerte Prof. Dr. Frank Lammert, Präsident der DGVS, Direktor der Klinik für Innere Medizin II am Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg.

Entwickeln sich Komplikationen wie Bauchwasser oder Krampfadern der Speiseröhre, ist die Erkrankung häufig schon irreversibel. Zurzeit sind in Deutschland 300.000 Zirrhose-Patienten in Behandlung. Ihre durchschnittliche Lebenserwartung ist 10 bis 20 Jahre geringer als die der Gesamtbevölkerung.

Schätzungen gehen davon aus, dass weitere 500.000 Menschen noch nichts von ihrer Lebererkrankung wissen. Dabei wird allein die Prävalenz der Fettleber – je nach Altersgruppe – auf bis zu 40% geschätzt.

Dass Lebererkrankungen selten früh diagnostiziert werden, hat auch mit fehlenden Früherkennungsprogrammen zu tun. Mit der SEAL-Studie (Strukturierte Früh-Erkennung einer Asymptomatischen Leberzirrhose) soll sich das ändern. SEAL prüft in Rheinland-Pfalz und im Saarland an 16.000 Patienten die Effektivität der Früherkennung von Lebererkrankungen.

Die Studie startet mit dem Check-up beim Hausarzt. Bei auffälligen Leberwerten wird der Patient an einen Facharzt überwiesen, der weitere diagnostische Schritte einleiten kann, wie Ultraschall oder die Elastografie, mit der das Fibrosestadium der Leber, also die Steifigkeit, gemessen wird. Ziel der Studie ist, dass das Leberscreening Teil der Regelversorgung wird.

Eine strukturierte Früherkennung hat ein enormes Potenzial, denn es stehen sehr wirksame Präventionsmaßnahmen zur Verfügung, erinnerte Lammert. Die Leberzirrhose im kompensierten Stadium ist meist gut therapierbar. Je nach Ursache können eine Umstellung der Lebensgewohnheiten, mehr Bewegung oder ein Verzicht auf Alkohol schon ausreichen. Durch neue Medikamente ist eine chronische Hepatitis C heilbar.

Ein Leberscreening kann die Krankheitsprogression verhindern und beugt Komplikationen vor, Spätfolgen wie Leberversagen oder Leberkrebs können vermieden werden. Auch Lebertransplantationen können vermieden werden. „Hepatitis C, Hepatitis B und Fettleber – wenn man diese drei frühzeitig erfassen könnte, dann wäre vielen Menschen geholfen“, so Lammert.

 
Hepatitis C, Hepatitis B und Fettleber – wenn man diese drei frühzeitig erfassen könnte, dann wäre vielen Menschen geholfen. Prof. Dr. Frank Lammert
 

S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom: Low-FODMAP zur Therapie empfohlen

Bauchkrämpfe, Blähungen, Durchfall oder Verstopfung – Schätzungen zufolge leiden mehr als 5 Millionen Menschen in Deutschland an einem Reizdarmsyndrom (RDS). Weil der Erkrankung keine organischen Ursachen zugrunde liegen, ist die Behandlung oft komplex und langwierig. Die aktualisierte S3-Leitlinie „Reizdarm“, die in wenigen Wochen publiziert wird und jetzt als Konsultationsfassung online verfügbar ist, weist einige Neuerungen auf.

Wie PD Dr. Viola Andresen, Leiterin des Ernährungsteams am Viszeral-Medizinischen Zentrum Israelitisches Krankenhaus Hamburg und Leitlinien-Koordinatorin berichtete, wird im Kapitel Pathophysiologie die Rolle des Mikrobioms ausführlich thematisiert. Im Kapitel Diagnostik liegt der Schwerpunkt nun auf relevanten Differentialdiagnosen, die ausgeschlossen werden müssen, etwa Ovarialkarzinome oder Zöliakie. Neu hinzu gekommen sind die Themen Gluten-Sensitivität und die Histamin-Intoleranz.

Negative Empfehlungen gibt es für wissenschaftlich nicht etablierte IgG-basierte Tests auf Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten. Gewarnt wird vor unnötigen und problematischen Eliminationsdiäten. Von der Stuhlanalyse auf Dysbiose wird ebenfalls abgeraten.

Der Aspekt Ernährung bekommt in der Therapie des RDS deutlich mehr Aufmerksamkeit. So wird die Low-FODMAP-Diät als mögliche Therapieform empfohlen, auch Präbiotika und Probiotika erhalten eine Empfehlung.

Neu ist zudem die Empfehlung des Antibiotikums Rifaximin in therapie-refraktären Fällen des nicht-obstipierten RDS. Nicht empfohlen wird der fäkale Mikrotransfer. Deutlich umfangreicher geworden ist das Kapitel Komplementäre Therapie.

Auch bei den Symptom-orientierten Therapien gibt es Neues. Zur Therapie des Symptoms Diarrhoe kommen jetzt Colesevelam und Eluxadolin hinzu und für die 5-HT3-Antagonisten gibt es eine stärkere Empfehlung. Bei Obstipation erhält Makrogol eine stärkere Empfehlung, positiv bewertet werden auch Prucaloprid und Linaclotid.

Bei Schmerzen werden Spasmolytika empfohlen, alternativ auch Pfefferminzöl und trizyklische Antidepressiva, während SSRI eher bei psychischer Begleitproblematik infrage kommen. Dem RDS bei Kindern ist jetzt ein eigenes Kapitel gewidmet.

Befragung zeigt: Angst vor COVID-19 hält von Arztbesuchen ab

Mit 2,5 Millionen Behandlungen und 61.000 Todesfällen pro Jahr gehören chronisch-entzündliche und maligne Erkrankungen der Verdauungsorgane zu den Volkskrankheiten. Patienten, die an diesen Erkrankungen leiden, sind durch die COVID-19-Pandemie aber oft sehr verunsichert. Sie vermeiden z.B. Arztbesuche oder neigen dazu, ihre Medikamente abzusetzen – das ergab eine Patientenbefragung, von der Prof. Dr. Andreas Stallmach, Direktor der Klinik für Innere Medizin IV am Universitätsklinikum Jena, berichtete.

Stallmach und Kollegen hatten 365 Patienten, die eine Transplantation erhalten hatten (95% Leber, 5% Pankreas/Niere), 112 Patienten, die auf der Warteliste für eine Transplantation standen, und 394 Haushaltskontakte nach ihren Ängsten und Sorgen im Zusammenhang mit COVID-19 befragt.

Sie fanden heraus, dass viele Patienten aus Angst sich zu infizieren, seltener zum Arzt oder in die Klinik gehen. Die Studienergebnisse zeigen auch, dass Patienten, die Immunsuppressiva einnehmen, dazu tendieren, diese zu reduzieren oder ganz abzusetzen und Arzttermine zu verschieben.

Stallmach betonte, dass alle Vorsorgeuntersuchungen und Behandlungen unter den etablierten Schutzmaßnahmen sicher durchführbar sind, die Gefahr sich zu infizieren, sei im Supermarkt größer. „Bei Patienten mit immunsuppressiver Therapie ist das Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion erhöht. 80 Prozent der Infektionen verlaufen aber leicht bis sehr mild“, so Stallmach.

 
Bei Patienten mit immunsuppressiver Therapie ist das Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion erhöht. 80 Prozent der Infektionen verlaufen aber leicht bis sehr mild. Prof. Dr. Andreas Stallmach
 

Interessanterweise sei das Risiko für einen schweren Verlauf gerade bei Patienten unter Biologika nicht erhöht – eher das Gegenteil ist der Fall. Vielleicht liege das daran, dass im späteren Verlauf nicht mehr die Virusinfektion, sondern die Inflammation die Komplikationen bestimme.

Wie Stallmach berichtete, nutzen die befragten Patienten krankheitsspezifische Informationen von Fachgesellschaften oder Selbsthilfeorganisationen vergleichsweise selten, sie informieren sich eher aus der Presse oder über den Familien- und Freundeskreis.

Deshalb sei die direkte Ansprache durch den behandelnden Arzt womöglich eine sinnvolle Strategie, den Patienten Ängste und Sorgen zu nehmen. „Eine gute Aufklärung und eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung ist auch in Pandemiezeiten die Grundlage für eine möglichst gute Gesundheit“, schloss Stallmach.

 
Eine gute Aufklärung und eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung ist auch in Pandemiezeiten die Grundlage für eine möglichst gute Gesundheit Prof. Dr. Andreas Stallmach
 

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....