Unter entzündlich-rheumatischen Erkrankungen leiden in Deutschland mindestens 1,5 Millionen Menschen. Je schneller eine solche Erkrankung diagnostiziert und therapiert werden kann, desto eher können Schäden vermieden werden und desto besser stehen die Chancen für eine Remission.
Studien zeigen aber, dass aufgrund des Mangels an Rheumatologen nur die Hälfte dieser Patienten angemessen behandelt werden kann. Der Einsatz von rheumatologischen Fachassistenten (RFA) könnte die Situation deutlich verbessern – das zeigt eine noch nicht veröffentlichte Studie, deren erste Ergebnisse Dr. Kirsten Hoeper, Klinik für Rheumatologie und Immunologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), auf dem (virtuellen) Kongress der europäischen Rheumaliga EULAR vorgestellt hat [1].
Um zu prüfen, ob und wie der Einsatz von RFA im deutschen Gesundheitssystem funktioniert, führten Hoeper und ihre Kollegen eine prospektive, randomisierte, kontrollierte und multizentrische Studie durch, die im Dezember 2019 abgeschlossen wurde. Das Ergebnis zeigt, dass die Versorgung von Patienten mit entzündlich-rheumatologischen Erkrankungen durch RFA nicht schlechter abschneidet als die alleinige Behandlung durch Rheumatologen.
In die Studie wurden 236 Patienten mit bestätigter rheumatoider Arthritis (RA) aus 8 deutschen Zentren aufgenommen. Die Patienten waren im Schnitt 58 Jahre alt, zu über 70% weiblich und litten im Durchschnitt 130 Monate an rheumatischen Beschwerden (das Spektrum reichte von weniger als 12 bis 144 Monate).
Während des 12-monatigen Studienzeitraums wurde die eine Gruppe ausschließlich von Rheumatologen betreut, in der anderen Gruppe übernahmen RFA zeitweilig zu 3 festgelegten Zeitpunkten die Betreuung – der Arztkontakt war hier nur kurz.
Das Ergebnis: Die Krankheitsaktivität lag in der von den RFA mitbetreuten Gruppe bei einem DAS28 von 2,43, die Gruppe, die durchgängig vom Rheumatologen betreut wurde, wies im Mittel einen DAS28 von 2,29 auf.
RFA dürfen zwar keine Anamnesen erheben, sie können Patienten aber strukturiert, anhand einer Checkliste, befragen – etwa, ob die Medikamente eingenommen wurden, ob es Nebenwirkungen gab, was sonst noch auffällig war. Eine RFA kann auch die Gelenke untersuchen und dokumentiert dies. Dann kommt der Arzt dazu und die RFA stellt den Patienten vor, so dass der Arzt direkt ansetzen kann, noch mal auf die Gelenke schauen, die Fragen des Patienten beantworten kann.
„Es handelt sich um eine Ergänzung, denn schon aus rechtlichen und abrechnungstechnischen Gründen muss immer ein Arzt dabei sein“, stellt Hoeper klar.
Vom Zeitgewinn können neue Patienten und komplexere Fälle profitieren
Die Studie zeigt, dass RFA den Arzt zeitlich entlasten können. „In der Studie haben wir das Entlastungspotenzial mitgemessen. Im Durchschnitt vergeben Praxen bei neuen Patienten Slots von 30 Minuten, bei wiederkehrenden Patienten Slots zwischen 15 und 20 Minuten – je nach Praxis und Organisation der Praxis“, berichtet Hoeper im Gespräch mit Medscape.
Schaut man sich die Praxen an, in denen RFA schon einen Teil der Aufgaben übernehmen, dann lag der durchschnittliche Arzt-Kontakt in der Studie mit regelmäßig wiederkehrenden Patienten nur bei 6 Minuten. „Manchmal war der Kontakt kürzer, weil alles in Ordnung war, manchmal hatte der Patient mehr Fragen, dann dauerte der Kontakt länger. Aber im Durchschnitt waren es 6 Minuten. Das zeigt, dass der Einsatz von RFA eine ganze Menge Zeit sparen kann“, berichtet Hoeper. Das gilt für Patienten, die regelmäßig in den Praxen betreut werden – neue Patienten werden grundsätzlich vom Rheumatologen selbst gesehen.
Wertvolle Zeit, die dafür verwendet werden könnte, Patienten mit Verdacht auf eine entzündlich-rheumatische Erkrankung früher zu diagnostizieren. „Im Moment beträgt die durchschnittliche Wartezeit für neue Patienten zwischen 9 und 12 Monaten“, berichtet Hoeper. Dabei liegt das „Window of Opportunity“ bei einer rheumatoiden Arthritis bei 3 Monaten. Dauert die Zeit bis zur Diagnose länger, nehmen die Gelenke bereits Schaden.
Der Arzt gewinnt aber nicht nur Zeit für neue Patienten, sondern hat auch mehr Zeit für komplexere Fälle: „Nicht alle Patienten sprechen gut auf die Medikamente an. Manche Patienten sind schwerer erkrankt und brauchen mehr Zeit als die 15 Minuten, haben mehr Fragen. Für diese komplexen Patienten hat der Rheumatologe dann auch mehr Zeit“, so Hoeper.
Delegation ärztlicher Leistungen in der Rheumatologie international empfohlen
„Damit kann erstmalig für Deutschland gezeigt werden, dass eine RFA-Sprechstunde eine sichere Ergänzung der Versorgung der Patienten mit rheumatoider Arthritis darstellt“, kommentierte Prof. Dr. John Isaacs aus Newcastle, Großbritannien und Vorsitzender des wissenschaftlichen Programm-Komitees beim EULAR, die Studienergebnisse.
„Die Integration eines Teamansatzes aus Rheumatologen und anderen Gesundheitsexperten in die Behandlung von Patienten mit entzündlichen rheumatischen Erkrankungen bietet große Chancen“, betonte McInnes.
In einigen Ländern Nordeuropas sind RFA längst etabliert. Sie sind Vertreter medizinischer Assistenzberufe wie Arzthelferin, Krankenschwester, Studienschwester oder RTA/MTA, die zusätzliches theoretisches und praktisches Wissen rund um die Versorgung von Menschen mit rheumatischen oder muskuloskelettalen Erkrankungen erworben haben. Eine solche Delegation ärztlicher Leistungen in der Rheumatologie wird international empfohlen.
3 Probleme gelöst: Voraussetzungen für den Einsatz jetzt geschaffen
Daten dazu, wie viele Schwerpunktpraxen in Deutschland bereits jetzt schon auf RFA setzen, gibt es zwar nicht – „es werden aber immer mehr – der Einsatz von RFA ist jetzt zum Thema geworden“, sagt Hoeper.
Bislang bestanden 3 Probleme: Es gab keine belastbaren Daten – mit den Studienergebnisse liegen diese jetzt vor.
Ein weiteres Problem waren die rechtlichen Rahmenbedingungen: Was darf denn überhaupt delegiert werden? Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) hat dazu Empfehlungen publiziert. Im Bundesmantelvertrag für Ärzte, Anlage 24 ist rechtlich geregelt, was delegiert werden kann. Die Vorgaben hat eine DGRh-Kommission auf ein Ampelsystem übertragen, auf dem nachgeschaut werden kann, was rechtssicher delegiert werden kann und was nicht.
Auch ein weiteres Problem wurde gelöst. RFA sind in anderen europäischen Ländern längst etabliert, was auch damit zu tun hat, dass sie besser ausgebildet sind. RFA in Deutschland hatten bislang ein 60-stündiges Curriculum. Das wurde jetzt auf 120 Stunden aufgestockt, vermittelt notwendige Fähigkeiten und Tools und liegt bei der Bundesärztekammer zur Zertifizierung vor.
„Mit Beendigung unserer Studie haben wir diese 3 offenen Baustellen geschlossen. Ich glaube, jetzt kann es losgehen, jetzt sind die Voraussetzungen geschaffen“, sagt Hoeper.
Aufgrund der Studienergebnisse rät die EULAR dringend zum Einsatz von RFA auch in Deutschland. „Indem sich Deutschland als weiteres europäisches Land an die internationalen EULAR-Empfehlungen zu RFA anlehnt, führt dies auf kosteneffiziente Weise zu einer besseren Versorgung der Patienten“, stellte Hoeper abschließend fest.
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Diesen Artikel so zitieren: Die RFA kommen! Studie zeigt, wie Fachassistenten die Versorgung bei Rheuma verbessern können - Medscape - 25. Jun 2020.
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