Vor Diskotheken wird gewarnt: Reisemediziner geben Tipps zum Tourismus in Pandemie-Zeiten

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

16. Juni 2020

Urlauber können seit Montag wieder zu vielen Zielen in Europa aufbrechen. Die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes ist für 27 europäische Staaten aufgehoben. Bestehen bleibt sie noch für Länder, in denen es besonders viele Infektionsfälle gibt oder einseitige Einreisesperren weiterhin gelten – das gilt für Schweden, das die Pandemiekriterien derzeit nicht erfüllt, Finnland, Spanien und das nicht EU-Mitglied Norwegen. 

Für mehr als 160 Länder außerhalb der EU soll die Reisewarnung zunächst bis zum 31. August verlängert werden. Flughäfen, Airlines und Reiseveranstalter haben sich mit Hygiene- und Sicherheitskonzepten auf den Neustart vorbereitet.

Prof. Dr. Tomas Jelinek

Welche Vorsorge Reisende treffen können, um sich vor SARS-CoV-2 zu schützen, darüber informiert das CRM Centrum für Reisemedizin [1]. Im Gespräch mit Medscape empfiehlt Prof. Dr. Thomas Jelinek, wissenschaftlicher Leiter des CRM, den Reisenden, sich ausführlich zu informieren. „Wer eine Reise plant, sollte im Vorfeld Eigenrecherche betreiben – das liegt ja schon im eigenen Interesse“, sagt Jelinek und verweist auf die Eurowings-Maschine, der Ende Mai die Landung in Olbia auf Sardinien verwehrt worden war. Aufgrund der bis zum 24. Juni geltenden Einschränkungen durfte das Flugzeug nicht landen und musste zum Flughafen Düsseldorf zurückkehren.

„Viele Länder beginnen gerade damit, ihre Vorgaben und Empfehlungen zu veröffentlichen. Informieren kann man sich auf den Seiten des Auswärtigen Amtes und bei den Tourismusbehörden des Urlaubslandes. Bei organisierten Reisen sollte man beim Reiseveranstalter nachfragen“, rät Jelinek.

 
Diese Mechanismen, die wir alle beim Ausbruch der Pandemie beobachten konnten, behalten ihre Wirksamkeit auch nach einem Rückgang der Fallzahlen in Europa. Prof. Dr. Thomas Jelinek
 

Abstand halten und viel nach draußen gehen

Jelinek betont, dass Reisende sowohl potenziell gefährdet sind – weil sie sich am Urlaubsort anstecken können – als auch Gefährder sind, weil sie die Infektion in andere Länder bringen können. „Diese Mechanismen, die wir alle beim Ausbruch der Pandemie beobachten konnten, behalten ihre Wirksamkeit auch nach einem Rückgang der Fallzahlen in Europa.“

 
Diese Mechanismen, die wir alle beim Ausbruch der Pandemie beobachten konnten, behalten ihre Wirksamkeit auch nach einem Rückgang der Fallzahlen in Europa. Prof. Dr. Thomas Jelinek
 

Auch im Urlaub müssten die geltenden Hygieneregeln des Robert Koch-Instituts (RKI) und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) unbedingt eingehalten werden. Dazu zählt sorgfältiges und häufiges Handwaschen und ausreichend Abstand: Zu Menschen, die nicht im selben Haushalt leben, sollte er 1,5 Meter betragen, so Jelinek.

 
Am besten, man hält sich so viel wie möglich im Freien auf … Prof. Dr. Thomas Jelinek
 

„Abstand zu halten, ist der Schlüssel, um eine Ansteckung zu verhindern. Das gilt ganz besonders für geschlossene Räume. Die Aerosolkonzentration ist in geschlossenen Räumen deutlich höher. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit sich in Innenräumen mit SARS-CoV-2 zu infizieren deutlich größer als draußen. Am besten, man hält sich so viel wie möglich im Freien auf, im Sommer ist das in der Regel ja auch kein Problem“, so Jelinek.

Ist Abstandhalten nicht möglich, sollte ein Mund-Nasen-Schutz (MNS) getragen werden. Dieser sei in Europa häufig vorgeschrieben und gehöre in ausreichender Menge ins Reisegepäck, wie auch Desinfektionsmittel für die Hände, so Jelinek. „Je nach aktuellen Infektionsgeschehen wird es hierbei regional sehr unterschiedliche Vorschriften geben. Auch die Regeln zur Einreise werden sich zum Teil kurzfristig ändern, wenn die Infektionszahlen sinken oder steigen.“

Jelinek rät explizit davon ab, Partys, Diskotheken und Events zu besuchen: „Ein wesentlicher Teil der Übertragungen fand bei Großveranstaltungen statt. Alles, was mit einem verstärkten Aerosolaustausch in einer Menschenmenge zu tun hat – Singen, lautes Reden, Lachen – noch dazu in geschlossenen Räumen, sollte man vermeiden.“

Das heiße aber nicht, dass Menschenmengen und Gedränge im Freien unbedenklich seien, auch darauf solle man besser verzichten: „Die Absage der Wies‘n war deshalb eine gute Idee.“

Fahrt mit dem Auto ist sicherer als Bus- und Bahnreisen

„Ob Reisen hinsichtlich Corona besonders risikoreich ist, hängt vom Reiseziel, vom Reiseweg und der Reiseart ab“, erklärt Jelinek. „Gibt es wenige COVID-19 Fälle in einer Region oder einem Land, ist das Risiko gering. Bei höheren Fallzahlen besteht auch ein höheres Risiko. Letztlich sollte man akzeptieren, dass sich ein Restrisiko beim Kontakt mit anderen Menschen nicht ganz ausschließen lässt“, betont der Experte.

Der Reiseweg werde grundsätzlich sicherer, je mehr Isolation er ermöglicht. Ökologisch wäre es besser auf Auto oder Flugzeug zu verzichten, aber infektiologisch betrachtet sei die Reise in den Urlaub mit dem Auto am sichersten, sagt Jelinek.

Auch Flugzeuge gelten als sicher, denn die Luft wird mit Virus-sicheren HEPA-Filtern gereinigt. „Flughäfen können aber – wie alle Orte, an denen Menschen aus unterschiedlichen Gegenden auf engem Raum zusammentreffen, ein Problem sein und haben sicher auch zur Verbreitung von Corona beigetragen“, sagt der Experte.

Der CDU-Parlamentarier und Arzt Peter Liese beklagt gegenüber der Tagesschau , dass Fluglinien die Leitlinien der zuständigen EU-Agenturen nicht umsetzen. Die empfehlen, wenn möglich einen Sitz pro Reihe frei zu lassen. „Wenn man direkt nebeneinander sitzt in einer engen Kabine und jemand hustet, dann ist es einfach nicht zu vermeiden, dass man sich infiziert. Deswegen finde ich: Es muss mindestens der Mittelsitz freigehalten werden“, erklärt Liese.

Die Fluglinien wiederum halten das für nicht nötig. TUI-Fly-Sprecher Aage Dünhaupt erklärt: „Die Luftzirkulation geht von oben nach unten in der Kabine. Und dann wird das alles nochmal zusätzlich über Filter geleitet. Innerhalb von 2 Minuten ist die gesamte Luft im Flugzeug ausgetauscht und gereinigt.“ Zusätzlich gebe es noch Maskenpflicht an Bord.

Von Reisen mit der Bahn rät Jelinek derzeit ebenso ab wie von Busreisen. In beiden Verkehrsmitteln ist Abstand halten das Problem. Auch SPD-Gesundheitsexperte Prof. Dr. Karl Lauterbach twittert: „Ich würde mich selbst nicht für viele Stunden in einen Bus setzen, der voll besetzt ist. Es gibt keine Studien, die zeigen, was ein Superspreader dort verursachen würde. Auf jeden Fall müssen Masken getragen werden.“

 
Ich würde mich selbst nicht für viele Stunden in einen Bus setzen, der voll besetzt ist. Prof. Dr. Karl Lauterbach
 

Reisen wird sich erst mit Impfstoff wieder weitgehend normalisieren

„Auf der Reise selbst werden wir uns auf vermehrte Kontrollen einrichten müssen“, sagt Jelinek. Je nach Land werden dies Fragebögen sein, die ausgefüllt werden müssen, Temperaturmessungen, Befragungen, in seltenen Fällen auch Entry- oder Exit-Untersuchungen. In Hotels und Gastronomie werden geltende Abstandsregeln die bisherigen Abläufe deutlich verändern und so die Sicherheit vor einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 erhöhen.

Der Reisemediziner rechnet damit, dass Länder außerhalb von Europa nach Öffnung der Grenzen eine meist 14-tägige Quarantäne nach Einreise verhängen oder auf einem „Fit to Fly“- oder „Corona-free“-Zertifikat bestehen. Hierbei wird ein negativer Abstrich verlangt, der nicht älter als 72 bzw. 96 Stunden sein darf und kurz vor Abreise durchgeführt werden muss.

Später würden wohl auch Antikörper-Tests akzeptiert, die eine Immunität nach durchgemachter Infektion bestätigen, sagt Jelinek. Chile z.B. macht das seit April und stellt Immunitätsausweise aus, die eine freie Bewegung im Land ermöglichen. „Sobald effektive Impfstoffe verfügbar sind, werden sehr viele Länder ein Impfzertifikat bei Einreise verlangen. Dieses Vorgehen kennen wir schon von anderen Impfungen, wie Gelbfieber. Erst dann wird sich das Reisen wieder weitgehend normalisieren.“

 
Sobald effektive Impfstoffe verfügbar sind, werden sehr viele Länder ein Impfzertifikat bei Einreise verlangen. Prof. Dr. Thomas Jelinek
 

 

Kommentar

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