47 Patienten sind bei einem schweren COVID-19-Ausbruch im Frühjahr im Potsdamer Klinikum Ernst von Bergmann (EvB) gestorben – jetzt hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufgenommen. Das EvB ist das zweitgrößte Krankenhaus Brandenburgs.
Schon im März hatten sich unter Patienten und Mitarbeitern des Klinikums die COVID-19-Fälle gehäuft. Nach wochenlanger Prüfung hat nun gestern, 15. Juni 2020, die Staatsanwaltschaft Potsdam Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung gegen 3 leitende Ärzte und die damalige Geschäftsführung eingeleitet. Geprüft wird auch, ob sich die Mediziner wegen eines Verstoßes gegen das Infektionsschutzgesetz (IfSG) strafbar gemacht haben.
Wie die Staatsanwaltschaft Potsdam mitteilt, stehen die beiden seit April beurlaubten Geschäftsführer im Verdacht, bereits im Vorfeld des Ausbruchs und auch danach entsprechende organisatorische Maßnahmen nicht oder nicht rechtzeitig ergriffen zu haben. Zudem hätten sie es versäumt, Experten in die Einsatzleitung des Krankenhauses miteinzubeziehen, um den Ausbruch entsprechend zu managen.
Den 3 beschuldigten Ärzten wird vorgeworfen, COVID-19-Erkrankungen oder Verdachtsfälle nicht oder verspätet an das Gesundheitsamt gemeldet zu haben. Dadurch sei es der Behörde nicht möglich gewesen, Rückschlüsse auf die epidemiologische Lage am Klinikum zu ziehen und entsprechende Maßnahmen anzuordnen, „wodurch möglicherweise Infektionen oder gar der Tod von Patienten hätte verhindert werden können. Möglicherweise haben sich die Ärzte durch ihr Verhalten auch wegen eines Verstoßes gegen das Infektionsschutzgesetz strafbar gemacht“, teilt die Staatsanwaltschaft mit.
„Die Staatsanwaltschaft wird jetzt die Frage der Verantwortung klären und bewerten. Es geht nicht um eine pauschale Verurteilung des Krankenhauses und der Mitarbeitenden“, erklärte dazu Oberbürgermeister Mike Schubert. Er betonte, dass in den vergangenen Wochen im Klinikum hart daran gearbeitet worden sei, das Vertrauen der Menschen zurück zu gewinnen.
RKI: Ausmaß weit größer als bislang eingeräumt
Nachdem Anfang März der erste positiv auf SARS-CoV-2 getestete Patient im EvB aufgenommen worden war, waren am Abend des 27. März am Klinikum erstmals in großer Anzahl positive Testergebnisse von Patienten eingegangen. Ab dem 1. April galt ein Aufnahme- und Verlegungsstopp für das Klinikum. Damit stand das Schwerpunkt-Krankenhaus mit 1.100 Betten, das rund eine halbe Million Brandenburger medizinisch versorgen soll, außer für akut lebensbedrohliche Fälle nicht mehr zur Verfügung. Rettungswagen fuhren das Krankenhaus nicht mehr an.
Experten des Robert Koch-Instituts (RKI) – angefordert von Brandenburgs Gesundheitsministerium nach Amtshilfeersuchen der Stadt – inspizierten das Klinikum am 3. April und legten am 6. April ihren Untersuchungsbericht vor. Mitte April rief dann die Landeshauptstadt Potsdam zur Bekämpfung des Ausbruchs die Bundeswehr zu Hilfe.
Nach dem Untersuchungsbericht des RKI war die Lage im EvB dramatischer als bekannt, wie die Potsdamer Neuestne Nachrichten (PNN) berichten. So seien das Ausmaß des Ausbruchs, die Missstände und auch die Folgen der Krise im Klinikum weit größer, als Potsdams Oberbürgermeister Schubert und die Klinik-Chefs öffentlich eingeräumt hatten.
„Momentan hat das EvB mehr als 80 stationäre COVID-19-Patientinnen und Patienten, von denen ein großer Anteil aus dem geriatrischen Bereich stammt“, heißt es im 5-seitigen RKI-Bericht vom 6. April. Das RKI schreibt weiter, dass in den folgenden Wochen mit einer hohen Anzahl an schweren Verläufen mit Intensiv- und Beatmungspflichtigkeit gerechnet werden müsse.
Welche Patienten wurden wann wohin verlegt?
Um SARS-CoV-2 einzudämmen, seien im Klinikum Patienten einzeln, aber auch mit ganzen Bereichen und Stationen hin und her verlegt worden. Der RKI-Bericht kommt zu dem Schluss, dass es durch die mehrfachen Umzüge zu weiteren Übertragungen gekommen sei. Weiter heißt es: „Auch ist die Aufbereitung von ganzen Stationen sehr aufwendig und kaum ohne große Wahrscheinlichkeit von weiteren Übertragungen durch die Umwelt möglich.“
Laut RKI waren am 27. März COVID-19-Infektionen in der Geriatrie, der Urologie, der Nephrologie und der Allgemeinchirurgie bestätigt.
In seinem Bericht mahnt das RKI einen Überblick an, wohin wann welche Patienten bewegt worden sind, es fordert eine strukturierte Testung und nachvollziehbare Dokumentation sowie Zusammenführung der Laborbefunde für das Personal. Auch seien positive Testergebnisse unverzüglich und vollständig an das Gesundheitsamt zu melden. Nach dem IfSG muss dies innerhalb von 24 Stunden erfolgen.
Teil der RKI-Empfehlung war auch, eine „im Ausbruchsmanagement kompetente Person“ in die Leitung des Krisenstabs zu integrieren, ferner sollten im Krisenstab auch Krankenhaushygiene und betriebsärztlicher Dienst vertreten sein.
Das EvB ist eines von 103 Krankenhäusern in Brandenburg und Berlin – keine andere Klinik hatte mit einem Corona-Ausbruch in dieser Dimension zu kämpfen.
Das RKI hatte geraten, das EvB als zentrale Klinik für COVID-19-Patienten einzurichten. Die Stadt Potsdam teilte dazu aber mit, es sei weder von der Landeshauptstadt Potsdam noch vom Land Brandenburg geplant, aus dem EvB ein reines Corona-Krankenhaus zu machen.
Klinikum räumte Ende April Fehler ein
Oberbürgermeister Schubert hatte schließlich Ende April die bisherigen Geschäftsführer beurlaubt und neue eingesetzt. Das Klinikum räumte Ende April Fehler ein: „Im Zeitraum vom 13. bis 26. März ist im Klinikum Ernst von Bergmann eine kritische Entwicklung im Rahmen der Corona-Pandemie nicht ausreichend erkannt worden“, teilte die Geschäftsführung dazu mit.
Dabei seien „tatsächlich nachgewiesene und registrierte Infektionen bei einzelnen Mitarbeitern nicht in einen inhaltlichen Zusammenhang gebracht und tiefgreifend analysiert worden“, hieß es weiter. Dies betreffe insbesondere die Abteilungen Nephrologie, Urologie, Geriatrie und Allgemeinchirurgie. „Damit hätten im Rückblick unter Umständen noch fundiertere Entscheidungen getroffen werden können“, räumte die Klinikleitung ein. „Die Geschäftsführung bedauert dies sehr.“
Deutsche Stiftung Patientenschutz hat Strafanzeige gestellt
Mitte April hatte die deutsche Stiftung Patientenschutz Strafanzeige gegen das Klinikum wegen mutmaßlichen Verstoßes gegen das IfSG und des Verdachts der fahrlässigen Tötung gestellt. „Als Patientenschützer geht es uns um eine grundsätzliche Frage. So etwas darf sich nicht wiederholen. In einigen Fällen haben wir bereits Strafanzeige gestellt. Wir tun dies selten und mit Bedacht. In Potsdam wollten wir dieses Mal genauer hinschauen lassen. Genau dafür gibt es Strafverfolgungsbehörden“, betonte Eugen Brysch, Vorsitzender der Stiftung, gegenüber Potsdamer Neueste Nachrichten .
Auch Potsdams Oberbürgermeister Schubert hatte die Ermittlungsbehörde eingeschaltet, nachdem er am 7. April Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen 3 leitende Ärzte und die beiden Geschäftsführer mit dem Verdacht auf Organisationsverschulden eröffnet hatte.
Inzwischen beschäftigt sich auch eine Untersuchungskommission mit dem Ausbruchsgeschehen. Wie die WELT berichtet hatte, drohte die Stadt Potsdam dem EvB mit Zwangsgeld – sollten die mehrfach geforderten Daten zum Coronavirus-Ausbruch nicht umgehend übermittelt werden.
Die Potsdamer Neuesten Nachrichten berichten, dass nach Angaben der Potsdamer Amtsärztin Kristina Böhm die Meldungen des Klinikums über 14 Tage unvollständig gewesen seien. Ohne Meldeverstöße, so Böhm, hätte man wohl ein größeres Zeitfenster gehabt, den Ausbruch zu erkennen und zu bekämpfen.
Seit Anfang Mai darf der Rettungsdienst das Bergmann-Klinikum wieder anfahren. Ende Mai wurde die Notaufnahme wieder vollständig geöffnet. Die komplette Öffnung des Klinikums ist für Ende Juni vorgesehen. Inzwischen werden Patienten und Mitarbeiter generell alle 4 Tage auf das Coronavirus getestet. Bis Juli soll das Krankenhaus wieder in den Regelbetrieb zurückgeführt werden. Die Klinik ist für die medizinische Versorgung von etwa einer halben Million Menschen zuständig.
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Diesen Artikel so zitieren: COVID-19-Ausbruch am Klinikum Potsdam mit 47 Toten: Die Staatsanwaltschaft ermittelt auch gegen Ärzte - Medscape - 16. Jun 2020.
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