Rund 3% der Frauen in Deutschland sind in der Zeit der strengen Kontaktbeschränkungen zu Hause Opfer körperlicher Gewalt geworden, 3,6% sind von ihrem Partner vergewaltigt worden. In 6,5% aller Haushalte sind Kinder gewalttätig bestraft worden.
Dies zeigt eine große repräsentative Online-Online-Umfrage zu häuslicher Gewalt während der Corona-Pandemie. Nur ein sehr kleiner Teil der betroffenen Frauen nutzte Hilfsangebote.
Quarantäne-Maßnahmen können, wie kürzlich britische Psychologen in Lancet gewarnt haben, weitreichende, erhebliche und lang anhaltende Auswirkungen auf die Psyche haben (Medscape berichtete). So berichteten Personen in Quarantäne signifikant häufiger über Erschöpfung, Angstzustände im Umgang mit fieberhaften Patienten, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit, Konzentrationsschwäche und Unentschlossenheit sowie beeinträchtigte Arbeitsleistung.
Die Trennung von Angehörigen bei Quarantäne-Maßnahmen außerhalb der eigenen häuslichen Umgebung, der Verlust der Freiheit, die Unsicherheit über den Krankheitsstatus und Langeweile können gelegentlich auch dramatische Auswirkungen haben.
Online-Befragung von rund 3.800 Frauen
Während der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie wuchs insbesondere auch die Sorge, dass Frauen und Kinder unter häuslicher Gewalt leiden könnten. Doch da nicht alle Opfer Anzeige erstatten oder Hilfsangebote nutzen, blieb die tatsächliche Dimension im Dunkeln.
Prof. Dr. Janina Steinert, Professorin für Global Health an der Technischen Universität München (TUM), und Dr. Cara Ebert vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung haben deshalb rund 3.800 Frauen zwischen 18 und 65 Jahren online nach ihren Erfahrungen befragt.
Die Studie ist hinsichtlich Alter, Bildungsstand, Einkommen, Haushaltsgröße und Wohnort repräsentativ für Deutschland. Die Frauen wurden zwischen dem 22. April und dem 8. Mai 2020 nach dem vorangegangenen Monat gefragt, also der Zeit der strengsten Kontaktbeschränkungen. Da manche Befragten aus Scham möglicherweise keine zutreffenden Antworten geben, wandten die Wissenschaftlerinnen bei besonders stigmatisierten Formen der Gewalt, z.B. sexueller Gewalt, eine anerkannte indirekte Fragemethode an.
Wichtige Ergebnisse der Befragung
Die Untersuchung ergab den Autorinnen zufolge:
Körperliche Gewalt: 3,1% der Frauen erlebten zu Hause mindestens eine körperliche Auseinandersetzung, zum Beispiel Schläge. In 6,5% der Haushalte wurden Kinder körperlich bestraft.
Sexuelle Gewalt: 3,6% der Frauen wurden von ihrem Partner zum Geschlechtsverkehr gezwungen.
Emotionale Gewalt: 3,8% der Frauen fühlten sich von ihrem Partner bedroht. 2,2% durften ihr Haus nicht ohne seine Erlaubnis verlassen. In 4,6% der Fälle regulierte der Partner Kontakte der Frauen mit anderen Personen, auch digitale Kontakte, zum Beispiel über Messenger-Dienste.
Ein Vergleich dieser Zahlen mit Daten aus der Zeit vor der Pandemie wäre nicht aussagekräftig, da bisherige Studien nach Gewalterfahrungen innerhalb längerer Zeiträume gefragt haben, nicht aber nach einem Zeitraum weniger Wochen.
Risikofaktor Geldsorgen
Höher war die Zahl der Opfer sowohl bei Frauen als auch Kindern,
wenn sich die Befragten zu Hause in Quarantäne befanden (körperliche Gewalt gegen Frauen: 7,5%, gegen Kinder: 10,5%);
wenn die Familie akute finanzielle Sorgen hatte (körperliche Gewalt gegen Frauen: 8,4%, gegen Kinder: 9,8%);
wenn einer der Partner aufgrund der Pandemie in Kurzarbeit war oder den Arbeitsplatz verloren hatte (körperliche Gewalt gegen Frauen: 5,6%, gegen Kinder: 9,3%);
wenn einer der Partner Angst oder Depressionen hatte (körperliche Gewalt gegen Frauen: 9,7%, gegen Kinder: 14,3%);
wenn sie in Haushalten mit Kindern unter 10 Jahren lebten (körperliche Gewalt gegen Frauen: 6,3%, gegen Kinder: 9,2%).
Empfehlungen der Wissenschaftlerinnen
Aus diesen Risikofaktoren leiten die Wissenschaftlerinnen mehrere Empfehlungen für bestehende und eventuelle künftige Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen während einer möglichen „zweiten Welle“ der Pandemie ab. „Es sollten Notbetreuungen für Kinder geschaffen werden, die nicht nur Eltern in systemrelevanten Berufen zur Verfügung stehen“, sagt Steinert.
„Da Depressionen und Angstzustände das Gewaltpotenzial erhöhen, sollten psychologische Beratungen und Therapien auch online angeboten und ohne Hürden genutzt werden können. Frauenhäuser und andere Stellen, die Hilfen anbieten, müssen systemrelevant bleiben.“
„Hilfe auch online anbieten“
Die beiden Autorinnen fragten zudem, ob die betroffenen Frauen Hilfsangebote kennen und genutzt haben:
48,2% der Opfer kannten die Telefonseelsorge, 3,9% hatten dort angerufen.
32,4% kannten das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“, 2,7% hatten sich dorthin gewandt.
44,3% kannten das Elterntelefon, 21,5% hatten dort Hilfe gesucht.
5,5% kannten die Aktion „Codewort Maske 19“, bei der Apotheken die Behörden verständigen, wenn eine Kundin dieses Codewort sagt. 1,8% hatten diese Möglichkeit genutzt.
„Wenn Frauen durch ihre Partner intensiv kontrolliert werden, können sie telefonische Beratungsangebote nur schwer nutzen. Hilfe sollte deshalb auch online angeboten werden, per Chat, Messenger und E-Mail“, empfiehlt Ebert. „Die bestehenden Hilfsangebote müssen zudem besser in der Öffentlichkeit beworben werden, zum Beispiel durch große Plakate in Supermärkten und Apotheken sowie durch Onlineanzeigen.“
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Univadis.de.
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Diesen Artikel so zitieren: Corona-Pandemie: 3 Prozent der Frauen sind Opfer häuslicher Gewalt geworden – nur wenige nutzen Hilfsangebote - Medscape - 10. Jun 2020.
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