Besser als ihr Ruf? Experten sprechen sich für mehr Nutzung von E-Zigaretten zur Rauchentwöhnung aus

Christian Beneker

Interessenkonflikte

10. Juni 2020

Die E-Zigarette habe zwar einen zweifelhaften Ruf, doch seien ihre Erfolge bei der Raucherentwöhnung unübersehbar. Dies betonten die Referenten beim Online-Symposium „Zwischenbilanz E-Zigarette: Was wir wissen müssen“ [1]. Um die mögliche Raucherentwöhnung in Deutschland voran zu bringen, brauche es deshalb mehr Forschung und bessere Kommunikation der Möglichkeiten von E-Zigaretten, so die Referenten.

Die Risiko-Senkung durch E-Zigaretten werde in ihrem Nutzen für die Rauchentwöhnung massiv unterschätzt, betonte Prof. Dr. Heino Stöver, Initiator der Fachtagung und Geschäftsführender Direktor des Instituts für Suchtforschung an der Frankfurt-University of Applied Sciences.

„Wir sind eine Tabak-affine Gesellschaft“

Gerade in Deutschland sei man auf wirksamere Tabakentwöhnung angewiesen, wie der internationale Vergleich – etwa mit England – zeige. So liege Deutschland EU-weit auf dem letzten Platz (dem 36. Platz) bei der Umsetzung der WHO-Regeln zur Tabakkontrolle. „Auf einem Punkte-Score von 100 möglichen Punkten kommt Deutschland auf 40 Punkte. England, die Nummer 1, auf doppelt so viele“, erklärte Stöver.

Die Folgen: Deutschland hat doppelt so viele Raucher wie England. Hierzulande konsumieren 9,2 Millionen Männer und 7,1 Millionen Frauen Zigaretten. Damit belegt das Land international Platz 9. Täglich sterben in Deutschland 300 Menschen an den Folgen des Tabak-Konsums, das sind 120.000 Menschen im Jahr, so Stöver.

Kein Wunder, denn Deutschland hält mit 340.000 Stück auch den Rekord bei den öffentlich zugänglichen Zigarettenautomaten. Stöver: „Kein Land der Welt bietet einen so leichten Zugang zu Zigaretten. Außerdem ist bei uns immer noch die Außenwerbung für Tabak erlaubt. Wir sind eine Tabak-affine Gesellschaft.“

Experten votieren für E-Zigarette

Stöver sprach sich für die E-Zigarette aus – so wie auch die übrigen Referenten. Es sei in der Wissenschaft Konsens, dass Raucher mit dem Umstieg auf die E-Zigarette die Schadstoffaufnahme um bis zu 95% senken können. „Die Chancen, die die E-Zigarette für die Rauchentwöhnung bietet, müssen auch die künftige Gesundheitspolitik bestimmen“, so Stöver.

 
Die Chancen, die die E-Zigarette für die Rauchentwöhnung bietet, müssen auch die künftige Gesundheitspolitik bestimmen. Prof. Dr. Heino Stöver
 

Dr. Thomas Hering, Pneumologe aus Berlin, machte darauf aufmerksam, dass auch wenige Zigaretten am Tag bereits ein hohes Risiko bergen. So steige das Risiko für kardio-vaskuläre Erkrankungen nicht proportional zum Tabakkonsum. „Schon vier bis sieben Zigaretten am Tag führen zu einem fast ebenso hohen kardio-vaskulären Risiko, wie 18 bis 22 Zigaretten am Tag.“

Diese Erkenntnis sei wichtig für Raucher, die sowohl E-Zigaretten nutzen als auch Tabakzigaretten. „Wer E-Zigarette raucht, sollte unbedingt den Dual Use vermeiden, also zusätzliche Tabakzigaretten.“ Das betreffe auch Patienten mit COPD. „Mit dem Rauchstopp und der E-Zigarette erlebt der Patient hier einen kleinen Rückgewinn seiner Lungenfunktion, der auch bewahrt wird“, sagte Hering. „Wer aber E-Zigaretten raucht aber zugleich nicht mit dem Tabakkonsum aufhört, hat einen viel kleineren Benefit bei der Lungenfunktion, den er auch wieder verliert. Die duale Nutzung verspielt also die Vorteile der E-Zigaretten.“

Bei allen Vorteilen der E-Zigarette bleibe selbstverständlich „der Nullkonsum das alles überragende gesundheitliche Ziel“.

 
Wer E-Zigarette raucht, sollte unbedingt den Dual Use vermeiden, also zusätzliche Tabakzigaretten. Dr. Thomas Hering
 

Auch „Snus“ funktioniert als Zigarettenersatz

Prof. Dr. Martin Storck, Direktor der Klinik für Gefäß- und Thoraxchirurgie am Städtischen Klinikum Karlsruhe, bestätigte zwar, dass für den Nutzen der E-Zigarette Langzeitstudien fehlen. Aber die Aussage, das Risiko durch E-Zigaretten sei höher als bei Tabakzigaretten, sei ein Mythos. Obwohl nachgewiesener Weise in E-Zigaretten 90% weniger Giftstoffe als in Tabakzigaretten sind, verlange das Bundesinstitut für Risikoabschätzung immer noch weitere Studien, die den Vorteil von E-Zigaretten belegen.

Ein Blick über die Grenzen nach Norwegen oder Schweden zeige: Es gibt Langzeitdaten über Tabakersatzprodukte. So habe das weit verbreitete Tabakersatzprodukt „Snus“ (ein Kautabak) den Verbrauch von Zigaretten in Norwegen und Schweden gesenkt. Und Schweden hat im internationalen Vergleich die niedrigste Rate an Lungenkrebs-Toten. Neben Snus haben die beiden skandinavischen Länder stark auf Beratung und Aufklärung gesetzt.

Storck ordnete auch die E-Zigarette als hilfreiches Tabakersatzprodukt ein. „Seltsam, dass wir um die Vorteile der E-Zigarette wissen, aber dass dieses Wissen nicht bei den Patienten ankommt“, sagte er.

 
Seltsam, dass wir um die Vorteile der E-Zigarette wissen, aber dass dieses Wissen nicht bei den Patienten ankommt. Prof. Dr. Martin Storck
 

Tödliche Mixtur in Tabak-Zigaretten

Auch Dr. Ute Mons, Epidemiologin und Public-Health-Wissenschaftlerin am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg sprach sich auf dem Webinar ebenfalls für den Umstieg von Tabak- auf E-Zigaretten aus, auch wenn eine vollständige Tabakentwöhnung wünschenswert und das beste Ziel sei.

Denn die 600 bis 920 Grad heiße Glut der Tabakzigarette verbrenne an die 7.000 Substanzen, von denen mindestens 250 toxisch sind und mindestens 90 karzinogen oder wahrscheinlich karzinogen. „Das Problem für die Raucher entsteht also bei der Verbrennung, nicht beim Nikotin“, sagte Mos.

Die deutschen Leitlinien zur Tabakentwöhnung bewerten die E-Zigaretten seit 2013 bis 2017 denn auch nach und nach positiver. So heißt es in der Leitlinie der Dachgesellschaft Sucht (DGS) von 2017, Raucher, die schon an anderen Methoden der Rauchentwöhnung gescheitert sind, könne geraten werden auf E-Zigaretten umzusteigen.

Die Methode dürfte auch der vollständigen Tabakentwöhnung besser dienen als anderen Tabakersatzprodukten. Eine englische Studie habe gezeigt, dass 18% von E-Zigarettenrauchern abstinent werden aber nur 9,9% von Konsumenten anderer Tabakersatzprodukte. Trotzdem glaube die Mehrheit der Raucher, dass E-Zigaretten ebenso schädlich oder noch schädlicher als Tabak seien. Mons: „Wir haben ein riesiges Kommunikationsproblem.“

56 Milliarden Euro wirtschaftlicher Schaden

Daniela Jamin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Suchtforschung an der Frankfurt University of Applied Sciences und Mitautorin des Ratgebers E-Zigarette, referierte die Kosten, die das Rauchen der Arbeitnehmer den Arbeitgebern verursacht. 61% aller AU-Tage gehen auf das Konto des Rauchens. Der Produktivitätsverlust beträgt hier 16,5 Milliarden Euro im Jahr.

Auch Brände, die von Rauchern verursacht wurden, kosten mehr als 38 Millionen Euro im Jahr. „Rechnet man alle direkten und indirekten Kosten zusammen landet man bei 56 Milliarden Euro im Jahr“, sagte Jamin. Eine Risiko-Minimierung durch E-Zigaretten würde also nicht nur den Rauchern dienen, sondern auch der Wirtschaft.

Allerdings sei 69% der Ärzte und 91% der Apotheker das Konzept der Risiko-Minimierung nicht bekannt, sagte Jamin. „Die E-Zigarette wird an den entscheidenden Stellen nicht thematisiert!“, betonte sie. Die Folge: 61% der Rauchenden überschätzen das Risiko der E-Zigaretten. Darum sollten Arbeitgeber den Rauchern unter ihren Angestellten öfter Informationen über die E-Zigaretten und die Möglichkeit der Risikominimierung anbieten, meint die Sozialarbeiterin.

Stöver resümierte, es sei der zentrale Widerspruch, „dass wir das größte Gesundheitsrisiko viel zu lasch angehen.“ Deshalb brauche es fachliche und politische Unterstützung für die Risikominimierung durch E-Zigaretten. Zudem fehle „profunde, sachorientierte Information“, die „verdaulich und lebensweltorientiert“ an die verschiedenen Rauchergruppen gegeben werden könne. „Hier fehlt es noch an Zwischentönen“, sagte Stöver. Es sei frustrierend, wenn man immer wieder am totalen Rauchstopp scheitere. „Die E-Zigarette erlaubt uns, kleine Schritte zu tun.“

 

Kommentar

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