Alexandria – Eine adjuvante Therapie mit Osimertinib (Tagrisso®) senkt bei Patienten mit EGFR-mutiertem Lungenkarzinom im Stadium II bis IIIa im Vergleich zu Placebo das Risiko für ein Rezidiv oder Tod signifikant um 83% (p < 0,0001).
Die Daten der Phase-3-Studie ADAURA waren so überzeugend, dass das unabhängige Datenüberwachungskomitee eine Entblindung und eine ungeplante Zwischenanalyse empfohlen hatte. Deren Ergebnisse hat nun Prof. Dr. Roy S. Herbst, Yale School of Medicine and Yale Cancer Center, New Haven, Conneticut (USA) in der Plenarsitzung beim virtuellen Jahreskongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) vorgestellt [1].
„Adjuvantes Osimertinib ist die erste gezielt wirkende Substanz, die in einer internationalen, randomisierten Studie eine statistisch signifikante und klinische bedeutsame Verbesserung der krankheitsfreien Überlebens bei Patienten mit EGFR-mutiertem NSCLS im Stadium IB, II und IIIA gezeigt hat“, so Herbst. „Deshalb steht nun mit Osimertinib eine hoch wirksame, Praxis-verändernde Therapie für solche Patienten nach kompletter Tumorresektion zur Verfügung.“
Osimertinib bei fortgeschrittenem NSCLC bewährt
Rund 85% der bösartigen Lungenerkrankungen werden durch ein nichtkleinzelliges Bronchialkarzinom (NSCLC) verursacht. Hiervon kann bei 30% der Patienten ein Tumor, die sich laut Diagnosestellung in Stadium IB, II oder IIIA befindet, operiert werden. Bei den Patienten im Stadium II und IIIA sowie bei selektierten Patienten im Stadium IB wird anschließend eine adjuvante Therapie mit Cisplatin empfohlen.
In großen randomisierten Studien wurden so ein signifikant besseres Gesamtüberleben (HR: 0,89) und ein längeres krankheitsfreies Überleben (HR: 0,84) erreicht. Nach wie vor ist jedoch die Rezidiv- und Sterberate nach Operation und Cisplatin-Therapie hoch.
Bei etwa jedem zehnten Patienten mit einem Nicht-Plattenepithelkarzinom der Lunge werden Mutationen im epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor (EGFR, Epidermal Growth Factor Receptor) festgestellt.Bereits seit mehr als 20 Jahren werden EGFR-Tyrosinkinase-Inhibitoren bei Patienten mit fortgeschrittenem EGFR-mutiertem NSCLC eingesetzt. Osimertinib, ein Tyrosinkinase-Inhibitor der 3. Generation, hatte sich im Vergleich zu Erlotinib und Gefitinib bei Patienten mit EGFR-mutiertem fortgeschrittenem NSCLC als überlegen in der Wirkung auf das progressionsfreie Überleben (PFS) und das Gesamtüberleben (OS) erwiesen.
Wirksamkeit als Erhaltungstherapie nach Operation untersucht
Herbst und seine Kollegen wollten deshalb die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Osimertinib in früheren Erkrankungsstadien untersuchen.
In die Studie wurden 682 Patienten mit einem komplett reseziertem EGFR-mutiertem NSCLC im Stadium IB, II oder IIIA aufgenommen. Sie konnten adjuvant eine Chemotherapie erhalten. Patienten mit adjuvanter Chemotherapie wurden ab 26 Wochen, Patienten ohne adjuvante Chemotherapie ab 10 Wochen nach der Operation randomisiert mit Osimertinib 80/Tag oder Placebo behandelt. Die Behandlung sollte bis zu 3 Jahre oder bis zum Rezidiv dauern. Die Patienten wurden nach dem Stadium der Erkrankung, dem Mutationstyp (ex19del/L858R) und nach der ethnischen Herkunft (Asiaten/Nicht-Asiaten) stratifiziert.
Primärer Endpunkt war das krankheitsfreie Überleben (DFS) bei den Patienten im Stadium II und IIIA, zu den sekundäre Endpunkten gehörten das DFS bei der Gesamtpopulation nach 2, 3, 4 und 5 Jahren, das OS, die Verträglichkeit sowie die Lebensqualität.
Studie vorzeitig entblindet
Das unabhängige Datenüberwachungskomitee empfahl aufgrund der deutlichen Wirkung von Osimertinib eine Entblindung der Studie, so dass Herbst beim ASCO-Kongress die Ergebnisse einer nicht geplanten Interimsanalyse vorstellte. Zum Zeitpunkt der Entblindung waren alle vorgesehenen Patienten in die Studie eingeschlossen und über mindestens 1 Jahr nachverfolgt worden.
Das mediane Alter der Patienten lag bei 63 Jahren, rund 2/3 waren Frauen. 64% waren Asiaten. Etwa je ein Drittel war im Erkrankungsstadium IB, II oder IIIA. 55% hatten eine adjuvante Chemotherapie erhalten.
Rezidivrisiko um 83% gesenkt
Der primäre Endpunkt wurde erreicht: Adjuvantes Osimertinib verlängerte das DFS bei Patienten mit NSCLC im Stadium II/IIIA mit einer Hazard Ratio von 0,17 hochsignifikant von 20,4 Monaten unter Placebo auf eine derzeit noch nicht messbare Zeitspanne (p < 0,0001). Das bedeutet eine Senkung des Rezidivrisikos um 83%. Die Rate für ein krankheitsfreies Überleben (DFS) nach 2 Jahren betrug 90% mit Osimertinib und 44% mit Placebo. Der Effekt wurde in allen Subgruppen nachgewiesen.
In der Gesamtpopulation der Studie, Patienten im Stadium IB, II und IIIA senkte Osimertinib im Vergleich zu Placebo das Progressions- und Sterberisiko um 79% (p < 0,0001). Daten für die DFS-Rate in der Osimertinib-Gruppe lagen noch nicht vor. In der Placebo-Gruppe lag sie bei 28,1 Monaten (HR: 0,21, p < 0,0001). Auch hier ergab sich eine beeindruckende Risikosenkung für ein Rezidiv um 79%.
Mit Osimertinib lagen die 2-Jahres-DFS-Raten im Stadium IB bei 87%, im Stadium II bei 91% und im Stadium IIIA bei 88%, unter Placebo bei 73%, 56% bzw. 32%. Spigel wies darauf hin, dass der Effekt von Osimertinib am stärksten bei Patienten im Stadium IIIA war mit einer HR von 0,12, aber auch im Stadium IB sei eine HR von 0,50 erreicht worden. Daten zum Gesamtüberleben liegen noch nicht vor.
Es traten keine neuen, bislang nicht bekannten unerwünschten Wirkungen von Osimertinib auf. Am häufigsten waren unter Osimertinib Diarrhö, Nagelveränderungen, trockene Haut, Pruritus, Husten und Stomatitis. Ein interstitielle Lungenerkrankung vom Grad 1/2 wurde bei 3% der Patienten unter Osimertinib gesehen, bei 7% unter Osimertinib und 4% unter Placebo kam es zur Verlängerung der QTc-Zeit im EKG.
Osimertinib als neuer Therapiestandard?
Die Stärken der ADAURA-Studie seien, dass sie einfach angelegt war, verblindet durchgeführt worden ist, eine Placebo-Gruppe hatte und die Patientengruppen ausgewogen waren, so Diskutant Prof. Dr. David R. Spigel, Sarah Cannon Research Institute, Nashville, Tennessee, USA, in der Plenarsitzung.
Die Studie habe eine substantielle Wirkung von Osimertinib auf das krankheitsfreie Überleben gezeigt, insbesondere bei Patienten im Stadium II und IIIA. „Dieser Effekt scheint auch in den Subgruppen konsistent zu sein.“ Und Osimertinib habe sich als sicher und gut verträglich erwiesen. „Das ist ein wichtiger Punkt, denn die adjuvante Therapie dauert bis zu 3 Jahre.
Die große Frage sei, wie Osimertinib wirke. „Eliminiert es die Erkrankung oder verzögert es einfach das Wachstum des Tumors?“ So sei denkbar, dass Osimertinib residuelle (verborgene) Herde eliminiere oder das Wachstum von nicht eliminierbaren Erkrankungsherden hemme. Aber was geschähe dann bei einer Beendigung der Therapie?
Unklar ist für Spigel auch, ob Osimertinib in allen Stadien über die gleichen Mechanismen wirke. Und er stellte die Frage, ob die Entblindung der Studie die Lösung solcher Fragen behindert habe. Er hoffe, dass mit der Publikation der Studie einige der offenen Fragen beantwortet werden könnten.
Die eine aktuelle Frage, die nun in fast jeder Klinik gestellt werde, laute: „Was würde ich tun, wenn ich oder ein Mitglied meiner Familie betroffen wäre?“ Wenn er die Kurve des primären Endpunkts betrachte laute die Antwort: „Ich würde Osimertinib nehmen.“
Spigels Fazit lautete deshalb: „Adjuvantes Osimertinib verbessert das DFS in frühen Stadien des EGFR-mutierten NSCLC substanziell und sollte ein neuer Therapiestandard werden.“ Außerdem sollten alle Patienten mit NSCLC in jedem Stadium auf eine EGFR-Mutation getestet werden.
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Osimertinib-Erhaltungstherapie als neuer Standard bei EGFR-mutiertem Lungenkrebs? Rezidiv- und Todesrisiko um 83% gesenkt - Medscape - 9. Jun 2020.
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