Kurz nachdem Ende März die U. S. Food and Drug Administration (FDA) erstmals den notfallmäßigen Einsatz von „therapeutischem Plasma“ oder „Rekonvaleszenten-Plasma“ (mit Antikörpern ehemaliger COVID-19-Patienten angereichertes Plasma) genehmigt hatte, wurde Marisa Leuzzi an einem Standort des Roten Kreuzes in New Jersey zur ersten Spenderin. Sie hoffte, damit ihrer Tante Renee Bannister helfen zu können, deren Zustand sich nach 3 Wochen am Beatmungsgerät im Virtual Hospital in Voorhees, New Jersey, verschlechtert hatte.
Vielleicht hat es funktioniert. Denn 11 Tage nach Erhalt des Plasmas konnte Bannister vom Beatmungsgerät entwöhnt werden. Sie ist jetzt wach und kann sprechen, berichtet Stephanie Rendon vom Roten Kreuz.
Plasmatherapie – eine „Modeerscheinung“?
Solche Geschichten kurbeln die Nachfrage nach einer Therapie an, die durch ein von der Mayo-Klinik geleitetes und von der FDA unterstütztes Programm ermöglicht wird, wobei das US-Gesundheitsministerium die Kosten für das Plasma übernimmt. In dem Programm werden Daten zu Sicherheit und Effektivität gesammelt, doch es handelt sich um keine randomisierte, kontrollierte Studie.
Allerdings sind einige hinter diesen Daten her. Mindestens ein Dutzend Forscher untersuchen das Potenzial von Plasma als Behandlungsmethode und im Hinblick darauf, ob es als Ersatz für einen Impfstoff dienen könnte, bis ein solcher entwickelt ist.
„Ich möchte nicht das das Ganze wie ‚der letzte Schrei aus Paris‘ daherkommt“, sagt Dr. Shmuel Shoham, Professor an der Johns Hopkins University School of Medicine, gegenüber Medscape. Er ist auch leitender Prüfarzt einer Studie, bei der der Nutzen des Plasmas ehemals infizierter Patienten in der Prävention bei Hochrisikopersonen bewertet wird. Er verweist darauf, dass einige Kliniker auf verzweifelter Suche nach einer Behandlung mögliche Therapien wie Hydroxychloroquin und Remdesivir ohne Belege für deren Sicherheit oder Wirksamkeit bei COVID-19 ausprobieren.
Die National Institutes of Health (NIH) äußerten sich kürzlich ganz ähnlich. Es gäbe für das Rekonvaleszenten-Plasma „keine ausreichenden klinischen Daten, um für oder gegen einen Einsatz bei COVID-19 zu sein“.
Doch der Plasmaansatz ist vielversprechend, wie Prof. Dr. Arturo Casadevall aus Baltimore und Dr. Liise-Anne Pirofski, Professorin am Albert Einstein College of Medicine in New York, feststellten. Im Journal of Clinical Investigation beschreiben sie ihr Vorgehen hinsichtlich Rekonvaleszenten-Plasma. Die passive Immunisierung sei bereits zur Eindämmung von Polio, Masern, Mumps und Grippe eingesetzt worden und sei in der jüngeren Vergangenheit auch erfolgreich gegen SARS-CoV-1 und MERS (middle east respiratory syndrome) gewesen.
„Der besondere Reiz dieses Ansatzes besteht in seiner raschen Verfügbarkeit im Gegensatz zu Impfstoffen oder neu entwickelten Medikamenten“, so Forscher des National COVID-19 Convalescent Plasma Project, an dem Ärzte und Wissenschaftler aus 57 Institutionen in 46 Staaten beteiligt sind. Doch die Theorie scheitert an der Praxis, wen es um die Verfügbarkeit des Plasmas selbst geht – Spender sind rar.
Infektionsprävention als Ziel
Die Johns-Hopkins-Studie soll als Präventionsstudie zunächst nur 150 Personen einschließen, die in den vergangenen 120 Stunden engen Kontakt zu einem COVID-19-Patienten hatten, aber noch asymptomatisch sind. Die Zahl der Probanden ist im Vergleich zur Studiengröße anderer potenzieller Therapien gering, räumt Shoham ein. Aber es sei eine große Aufgabe, Tausende Teilnehmer für eine solche Plasmastudie zu finden, weil nicht zuletzt es so schwierig sei, ausreichend Spender zu rekrutieren. Die Teilnehmer erhalten entweder normales Plasma (als Placebo) oder Rekonvaleszenten-Plasma.
Primärer Endpunkt ist die kumulative Inzidenz von COVID-19-Erkrankungen, definiert als symptomatische Krankheit mit einem positiven PCR-Test. Die Patienten werden 90 Tage lang überwacht.Die Studie wird jedoch keine Antwort darauf geben können, ob die Teilnehmer auch noch nach den 90 Tagen Antikörper aufweisen werden. Das Rekonvaleszenten-Plasma wird als rasche Maßnahme gegen einen auftauchenden Krankheitserreger verabreicht und ist somit eher eine kurzfristige Stärkung der Immunabwehr als ein langfristiges therapeutisches Mittel.
Zahlreiche Studien angelaufen
Bisher hat die FDA 12 Plasmastudien genehmigt, darunter auch die von Shoham. Auf clinicaltrials.gov listet zudem die NIH über 2 Dutzend Studien zum Rekonvaleszenten-Plasma in den USA und in anderen Ländern auf.
Bei den meisten handelt es sich um einarmige Studien, mit denen festgestellt werden soll, ob eine Infusion die Notwendigkeit einer künstlichen Beatmung verringern bzw. den Zustand von bereits beatmeten Patienten verbessern kann. In 2 weiteren Untersuchungen, eine im Johns Hopkins Hospital und eine in der Stanford-Klinik, geht es darum, ob das Rekonvaleszenten-Plasma vor dem Einsetzen eines schweren Verlaufes angewendet werden könnte.
„Ein allgemeines Prinzip der passiven Antikörper-Therapie ist es, dass sie prophylaktisch eingesetzt wirksamer ist als in der Therapie“, schreiben Casadevall und Pirofski.In der randomisierten, doppelblinden Studie aus Stanford wird reguläres Plasma im Vergleich zu Rekonvaleszenten-Plasma an Patienten in der Notaufnahme getestet, deren Zustand keinen stationären Aufenthalt erforderlich macht.
Was kann der Compassionate Use bringen?
Inzwischen nehmen rund 2.200 Kliniken an dem von der Mayo Clinic geleiteten Compassionate-Use-Programm teil. Über 9.000 Patienten hatten zum Zeitpunkt der Drucklegung Infusionen erhalten. Zu den Teilnehmern zählt auch Northwell Health, ein Verbund aus 23 Krankenhäusern im Corona-Epizentrum der USA, d.h. in 4 der 5 New Yorker Stadtbezirke und in Long Island.
Rekonvaleszenten-Plasma ist eine gefragte Therapie, sagt Dr. Christina Brennan, Vizepräsidentin der Klinischen Forschung bei Northwell. „Wir haben Patienten, deren Angehörige sagen, dass ihr Familienmitglied in dem und dem Krankenhaus sei und fragen, ob eine Verlegung möglich ist, falls dort kein Plasma angeboten würde“, berichtet sie gegenüber Medscape.
Als Northwell über die New Yorker Blutbank die Spenderregistrierung eröffnete, meldeten sich in den ersten 24 Stunden 800 Menschen an, sagt Brennan. Bis Mitte Mai hatten 527 Patienten eine Transfusion erhalten.
Was macht den optimalen Spender aus und wann sollte gespendet werden?
Das Rote Kreuz, Krankenhäuser und unabhängige Blutbanken werben alle um Spender, die sich auf der Website des Roten Kreuzes registrieren lassen können. Die Spender sollten nach Empfehlung der FDA eine COVID-19-Infektion durchlebt haben, die durch PCR-Tests oder Antikörpertests bestätigt wurde, 14 Tage lang symptomfrei sein, einen negativen PCR-Folgetest haben und zum Zeitpunkt der Entnahme virusfrei sind. Die FDA empfiehlt auch, falls verfügbar, die Bestimmung des SARS-CoV-2-neutralisierenden Antikörpertiters eines Spenders mit einem Zieltiter von mindestens 1:160.
Es bleiben jedoch Fragen offen, z.B. nach dem theoretischen Risiko von infektionsverstärkenden Antikörpern (antibody dependent enhancement, ADE) bei einer SARS-CoV-2-Infektion. „Antikörper gegen einen Corona-Typ könnten die Infektion mit einem anderen Virusstamm verstärken“, schreibt Casadevall in seinem Artikel im Journal of Clinical Investigation. Das ADE-Phänomen wurde sowohl bei SARS (schweres akutes respiratorisches Syndrom) als auch bei MERS beobachtet.
Ein anderes Risiko besteht darin, dass die Spender immer noch aktive Viren ausscheiden könnten. Die FDA hält zwar eine Infektiosität der Spender 14 Tage nach der Infektion für unwahrscheinlich, doch bewiesen werden konnte hier bislang noch nichts. Sowohl die COVID-19-Diagnostik als auch der Antikörpernachweis sind mit hohen Raten falsch-negativer Ergebnisse behaftet, was das Schreckgespenst einer Infektion über die Plasmaspende heraufbeschwört.
Daniele Focosi und sein Team von der Uniklinik in Pisa, Italien, äußern diese Sorge in einem Preprint-Review zum Rekonvaleszenten-Plasma bei COVID-19. „Obwohl der Empfänger bereits infiziert ist, könnte theoretisch eine Übertragung weiterer infektiöser Teile die klinische Situation verschlechtern“, schreiben sie und erklären zugleich, dass „eine solche Sorge durch den Einsatz moderner Techniken zur Erregerinaktivierung etwas verringert werden kann“.
Es gebe keinen Beweis dafür, dass SARS-CoV-2 durch Blut übertragen werden könne, aber „wir wissen es auch nicht mit Sicherheit“, gibt Shoham gegenüber Medscape zu bedenken. Ein beruhigender Punkt dabei mag sein, dass selbst Patienten mit einer schweren Infektion keine Virus-RNA in ihrem Blut zeigen, sagt er. „Wir glauben nicht, dass es bei einer Transfusion zu einer Übertragung dieses speziellen Virus kommt.“
Bei einem anderen hochinfektiösen Erreger, dem Ebola-Virus, empfahl die WHO 2014, dass potenzielle Plasmaspender frühestens 28 Tage nach der Infektion spenden sollten. Es ist auch unbekannt, wie lange SARS-CoV-2-Antikörper im Blut überdauern. Eine längere Überlebensdauer könnte auch ein längeres Spendenfenster bedeuten. Nach Focosi habe eine frühere chinesische Studie gezeigt, dass SARS-spezifische Antikörper bei Menschen, die mit dem ersten SARS-Virus, dem SARS-CoV-1, infiziert waren, 2 Jahre lang persistierten.
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Rekonvaleszenten-Plasma: Was die Therapie mit Plasma von Genesenen (vielleicht) bringt – und welche Risiken sie birgt - Medscape - 2. Jun 2020.
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