Es sollte eine außergewöhnliche Reise werden: Die „Greg Mortimer“ stach am 15. März 2020 zu einer Kreuzfahrt auf den Spuren Ernest Shackletons (1874 bis 1922), eines britischen Polarforschers, in See. Die Reise des australischen Expeditionsschiffes wurde zum Desaster, nachdem sich etliche Passagiere mit SARS-CoV-2 infiziert hatten. Umfassende PCR-Tests folgten. Jetzt liegen Ergebnisse dieser Beobachtungsstudie vor, die als Mitteilung in Thorax veröffentlicht worden ist [1]. Sie trägt zu neuen Erkenntnissen über den Erreger bei – so etwa, dass er wohl viel ansteckender ist als gedacht, jedoch 8 von 10 Infektionen klinisch „stumm“ verlaufen.
Der Erstautor Prof. Dr. Alvin J. Ing von der Macquarie University, Sydney, und die Koautorin Dr. Christine Cocks vom Sunshine Coast University Hospital, Birtinya, waren als Passagiere mit an Bord. Als Letztautor berichtet der Schiffsarzt Dr. Jeffery Peter Green vom Royal Australian College of General Practitioners, East Melbourne.
Von 217 Passagieren und Besatzungsmitgliedern sind schlussendlich 128 mittels RT-PCR positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden (59%). Der Großteil der Infizierten war asymptomatisch (104 Patienten, 81%). 8 Patienten mussten zur Behandlung in ein Krankenhaus gebracht und 4 davon künstlich beatmet werden. Eine Person starb, damit beträgt die Mortalität nach der Infektion auf dem Schiff 0,8%.
„Wir kommen zu dem Schluss, dass die Prävalenz von SARS-CoV-2 nach einem Ausbruch auf Kreuzfahrtschiffen wahrscheinlich deutlich unterschätzt wird, und dass Strategien zur Beurteilung und Überwachung aller Passagiere erforderlich sind, um eine Übertragung nach der Ausschiffung zu verhindern“, schließen die Autoren als Konsequenz aus ihren Beobachtungen.
Beginn der Reise: Trügerische Sicherheit
Doch von vorne: Das Schiff lief Mitte März von Ushuaia, Argentinien, zu einer 21-tägigen Kreuzfahrt aus. Zu dem Zeitpunkt hatte die Weltgesundheitsorganisation WHO bereits den Pandemiefall aufgrund von SARS-CoV-2 ausgerufen.
Ärzte untersuchten alle 128 Passagiere und 95 Besatzungsmitglieder grob auf COVID-19-Symptome. Bevor sie an Bord gingen, wurde ihre Körpertemperatur gemessen. Reisende oder Angestellte, welche in den letzten 3 Wochen China, Macao, Hongkong, Taiwan, Japan, Südkorea oder den Iran besucht hatten, durften nicht an der Fahrt teilnehmen. Und auf dem gesamten Schiff, speziell im Speiseraum, befanden sich Stationen für die Handhygiene. Zu diesem Zeitpunkt hatte niemand gesundheitliche Beschwerden.
Am 3. Tag beschloss der Veranstalter, seine Kreuzfahrt aufgrund angekündigter Beschränkungen bei Grenzübertritten zu verkürzen. Geplant war, den antarktischen Teil der Reise abzuschließen und am 14. Tag nach Ushuaia zurückzukehren. Dort sollte es mit Charterflügen nach Hause gehen. Doch es kam ganz anders.
Erste Symptome am Tag 8
Am 8. Tag meldete sich ein erster Patient mit Fieber unklarer Ursache. Sofort setzte die Crew Protokolle für den Ernstfall um. Alle Patienten erhielten chirurgische Masken. Sie mussten in ihren Kabinen bleiben. Bei jedem Kontakt mit dem Patienten legten die Ärzte ihre persönliche Schutzausrüstung an.
Trotzdem bekamen bald weitere Personen an Bord Fieber: am 10. Tag waren dies 3 Besatzungsmitglieder, am Tag 11 ein Besatzungsmitglied und 2 Passagiere, am 12. Tag schließlich 3 Passagiere.
Umfassende PCR-Tests in Uruguay
Weil Argentinien seine Grenzen bereits geschlossen hatte und Stanley auf den Falklandinseln keine Erlaubnis zur Hafeneinfahrt erteilte, fuhr das Schiff in Richtung Montevideo (Uruguay) und kam am Abend des 13. Tages dort an. Zu dem Zeitpunkt waren die meisten symptomatisch erkrankten Passagiere bereits fieberfrei. Sie hatten eine im Artikel nicht näher spezifizierte symptomorientierte Behandlung bekommen.
Mitarbeiter des Hafens brachten IgM/IgG-Schnelltests an Bord. Alle Patienten, die zu dem Zeitpunkt oder früher Fieber hatten, wurden ohne Befund getestet. Uruguayische Behörden ließen niemanden von Bord. Sie forderten, Nasenabstriche per RT-PCR zu untersuchen.
Evakuierung von COVID-19-Passagieren
Ab dem 14. Tag erkrankten weitere Personen, teils schwer. Insgesamt 8 Passagiere und Besatzungsmitglieder wurden wegen drohenden Lungenversagens nach Montevideo in ein Krankenhaus gebracht:
Tag 17: ein 68-jähriger Mann ohne Komorbiditäten,
Tag 20: eine 70-jährige Frau mit chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung,
Tag 21: eine 65-jährige Frau ohne Komorbiditäten,
Tag 22: 2 Besatzungsmitglieder und ein Passagier ohne Komorbiditäten,
Tag 24: ein 68-jähriger Mann ohne Komorbiditäten,
Tag 27: einer der beiden Schiffsärzte ohne Komorbiditäten.
Fast 60% positive Tests
Von allen 217 Passagieren und Besatzungsmitgliedern wurden 128 per PCR positiv auf SARS-CoV-2 getestet (59%). Darunter waren alle Passagiere, die zuvor einen negativen IgM/IgG-Schnelltest hatten.
Fieber und leichte Symptome traten nur bei 16 von 128 SARS-CoV-2-positiven Patienten (12,5%) auf. Insgesamt wurden 8 Patienten (6,2%) stationär behandelt, davon 4 intubiert und künstlich beatmet (3,1%). Eine Person starb (0,8%). Insgesamt gab es 24 positiv getestete Patienten, die symptomatisch waren (19%), wobei die Mehrheit der Infizierten asymptomatisch war (104 Patienten, 81%).
Aus ihrer Beobachtungsstudie ziehen die Autoren mehrere Lehren:
Die Prävalenz von SARS-CoV-2 auf Kreuzfahrtschiffen nach Infektionen wird wahrscheinlich stark unterschätzt.
Deshalb sind bessere Strategien zur Bewertung und Überwachung aller Personen an Bord erforderlich, um eine Ausbreitung nach der Ausschiffung zu verhindern.
SARS-CoV-Antikörper-Schnelltests sind in der Akutphase unzuverlässig.
Die Mehrheit der SARS-CoV-2-positiven Patienten war asymptomatisch (81%).
Möglicherweise gibt es eine signifikante Falsch-Negativ-Rate bei RT-PCR-Tests, da diskordante COVID-19-Ergebnisse in zahlreichen Kabinen aufgetreten sind (ein Bewohner positiv, einer negativ getestet). Es sollten daher Follow-up-Testungen gemacht werden.
Der späte Zeitpunkt der Symptome bei einigen Passagieren (Tag 24) lässt vermuten, dass es nach ihrer Isolierung in der Kabine zu einer Kreuzkontamination gekommen sein könnte. Dafür gibt es bisher keine Erklärung.
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Diesen Artikel so zitieren: Coronaviren an Bord: Was eine Polar-Kreuzfahrt die Wissenschaft über den neuen Erreger lehrt - Medscape - 28. Mai 2020.
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