In den USA viele Patienten unter 50 mit schwerem COVID-19: Stecken Übergewicht und Adipositas dahinter?

Michael van den Heuvel 

Interessenkonflikte

26. Mai 2020

Wie schwere Formen von COVID-19 klinisch verlaufen, entnahmen Ärzte bis dato retrospektiven Analysen chinesischer, italienischer und US-amerikanischer Fallserien. Bekanntlich zeigen diese Veröffentlichungen, dass Patienten mit schwerem Verlauf älter sind, meist handelt es sich um Männer, und dass mindestens eine Komorbidität vorhanden ist. Die Mortalität beträgt zwischen 56% und 97% - in den Fällen, bei denen eine invasive mechanische Beatmung durchgeführt wird.

Eine neue Studie relativiert dieses Wissen nun zumindest teilweise. Über 40.000 Patienten mit COVID-19 sind bis Ende April 2020 in New York City aufgrund von COVID-19 stationär behandelt worden. Dr. Matthew J. Cummings vom Columbia University Irving Medical Center und vom New York-Presbyterian Hospital hat zusammen mit Kollegen deren Verläufe nun in The Lancet zusammengestellt [1].

 
Die Daten zeigen, dass der Anteil der Patienten, die jünger als 50 Jahre waren, bei schwerem Verlauf relativ hoch ist, nämlich 55 (21%) von 257 Patienten. Dr. Giacomo Grasselli und Dr. Alberto Zanella
 

„Die Daten zeigen, dass der Anteil der Patienten, die jünger als 50 Jahre waren, bei schwerem Verlauf relativ hoch ist, nämlich 55 (21%) von 257 Patienten“, schreiben Dr. Giacomo Grasselli und Dr. Alberto Zanella in einem begleitenden Kommentar [2]. Sie arbeiten am Fondazione IRCCS Ca' Granda Ospedale Maggiore Policlinico, einem Krankenhaus in Mailand. „Dies könnte durch die hohe Inzidenz von Adipositas erklärt werden; 39 (71%) aller 55 jüngeren Patienten waren davon betroffen.“

Die Kommentatoren geben zu bedenken: „Obwohl Adipositas die mechanischen Eigenschaften des Atmungssystems beeinflusst haben könnte, unterstreichen Cummings´ Ergebnisse, dass das optimale Management der mechanischen Beatmung bei Patienten mit COVID-19 und akutem Atemversagen noch immer wenig verstanden wird.“

Grasselli und Zanella verweisen beim schweren COVID-19-Verlauf auf die hohe Mortalität, wobei die Werte niedriger als erwartet ausfallen (101 Patienten [39%] innerhalb von mindestens 28 Tagen). Zum Ende der Nachbeobachtungszeit waren noch 94 Patienten (37%) in stationärer Behandlung. Dies spreche, wie zu erwarten, für einen langen klinischen Verlauf, heißt es im Editorial. Unterschiede zwischen Frauen und Männern findet Cummings´ Team nicht.

Kohorte mit 1.150 COVID-19-Patienten

Dazu die Details: Zwischen dem 2. März und dem 1. April 2020 wurden in 2 New Yorker Krankenhäusern 1.150 Erwachsene mit labordiagnostisch bestätigter SARS-CoV-2-Infektion und mit dem Krankheitsbild COVID-19 aufgenommen. Von ihnen waren 257 (22%) schwer erkrankt. Das mittlere Alter lag bei 62 Jahren; 171 (67%) waren Männer.

212 Patienten (82%) hatten mindestens eine Grunderkrankung, wobei Hypertonie (162 [63%]), Diabetes (92 [36%]) und Adipositas (119 [46%]) besonders häufig waren.

Bis zum 28. April 2020 traten 101 Todesfälle (39%) durch COVID-19 auf. 94 (37%) Patienten blieben bis zum Ende des Zeitraums im Krankenhaus. 203 (79%) Patienten wurde im Median für 18 Tage mechanisch beatmet, 170 (66%) von 257 Patienten erhielten Vasopressoren, und 79 (31%) eine Dialyse.

 
Die Studie von Cummings und Kollegen bestätigt, dass COVID-19 durch eine hohe Inzidenz multipler Organfunktionsstörungen gekennzeichnet ist. Dr. Giacomo Grasselli und Dr. Alberto Zanella
 

„Die Studie von Cummings und Kollegen bestätigt, dass COVID-19 durch eine hohe Inzidenz multipler Organfunktionsstörungen gekennzeichnet ist“, schreiben Grasselli und Zanella. „In Bezug auf pharmakologische Behandlungen wurden fast allen kritisch kranken Patienten (229 [89%]) empirisch antibakterielle Wirkstoffe und 185 (72%) Hydroxychloroquin verabreicht.“ Kortikosteroide (68 [26%]) oder IL-6-Rezeptorantagonisten (44 [17%]) kamen seltener zum Einsatz. Über die mittlerweile empfohlene antikoagulativen Strategie bei COVID-19 lagen keine Informationen vor.

2 Labormarker geben Einblicke in das Krankheitsgeschehen

Statistische Analysen zeigten, dass eine chronische Lungenerkrankung in der Vorgeschichte die höchste adjustierte Hazard Ratio (aHR) für die Mortalität aufwies (aHR 2,94 [95% CI 1,48-5,84]). Andere unabhängige Prädiktoren für den Tod waren chronische Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der Anamnese (aHR 1,76 [95% CI 1,08-2,86]), das Alter (aHR 1,31 [95% CI 1,09-1,57]), höhere Spiegel an Interleukin IL-6 (aHR 1,11 [95% CI 1,02-1,20] pro Anstieg um eine Dezile) und höhere Konzentrationen des D-Dimers (aHR 1,10 [95% CI 1,01-1,19] pro Anstieg um eine Dezile).

Eine Assoziation der Mortalität mit höheren Konzentrationen an IL-6 und an D-Dimer sei aus mehreren Gründen relevant, unterstreichen die Editorialisten. Sie bestätige die zentrale pathophysiologische Rolle systemischer Entzündungen und endothelial-vaskulärer Schäden bei Organfunktionsstörungen. Und sie liefere Möglichkeiten für das Design klinischer Studien zur Messung der Wirksamkeit immunmodulierender bzw. gerinnungshemmender Pharmaka.

In dieser Kohorte wurden wider Erwarten keine geschlechtsspezifischen Unterschiede beim Outcome gefunden.

Wichtige Botschaft für Kliniken

„Die Studie von Cummings und Kollegen zeigt, dass Kliniker auch bei einer überwältigenden klinischen Arbeitsbelastung qualitativ hochwertige Forschung leisten können“, kommentieren Grasselli und Zanella.

Während Ärzte auf einen SARS-CoV-2-Impfstoff warten, seien weitere Studien erforderlich, um die Behandlung des Patienten zu verbessern und zu personalisieren, wobei die Rolle nicht-invasiver Strategien zur Unterstützung der Atemwege, der Zeitpunkt der Intubation, die optimale Einstellung der mechanischen Beatmung und deren Wirksamkeit besonders berücksichtigt werden müssten. Immunmodulierende und antikoagulative Strategien seien ebenfalls weiter zu untersuchen.

Britische Studie liefert teils abweichende Ergebnisse

Nahezu zeitgleich haben Forscher um Dr. Annemarie B. Docherty, University of Edinburgh, Daten zu 20.133 britischen Patienten mit COVUD-19 im BMJ veröffentlicht [3]. Ihre Kohorte unterscheidet sich teilweise von der US-Kohorte.

Sie waren im Median 73 Jahre (58-82 Jahre) alt. Es wurden mehr Männer (60%) als Frauen stationär versorgt. Die häufigsten Komorbiditäten waren chronische Herzerkrankungen (31%), ein unkomplizierter Diabetes (21%), nicht asthmatische, chronische Lungenerkrankungen (18%) und chronische Nierenerkrankungen (16%). 23% hatten keine schwerwiegende Komorbidität. Insgesamt wurden 41% der Patienten lebend entlassen, 26% starben und 34% wurden zum Stichtag weiterhin stationär behandelt.

Ein hohes Alter, männliches Geschlecht und Komorbiditäten, einschließlich chronischer Herzerkrankungen, nicht asthmatischer chronischer Lungenerkrankungen, chronischer Nierenerkrankungen, Lebererkrankungen und Adipositas, waren mit einer höheren Mortalität im Krankenhaus assoziiert.
 

Kommentar

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