Bis Anfang Mai 2020 waren in den USA etwa 65.000 Tote aufgrund von COVID-19 gemeldet (Anmerkung der Redaktion: Inzwischen sind es knapp 100.000). Diese Zahl entspricht in der Größenordnung etwa der, die die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in manch früheren Jahren während starken saisonalen Grippe-Epidemien gemeldet hatten. Deshalb wird die Schwere der COVID-19-Pandemie in den USA von dortigen Medien immer wieder mit der einer saisonalen Grippewelle gleichgesetzt.
Dagegen wehren sich nun 2 Ärzte aus den USA, Dr. Jeremy S. Faust von der Harvard Medical School, Boston, und Dr. Carlos del Rio, Atlanta, in einem Viewpoint, der im Journal of American Medical Association Internal Medicine publiziert worden ist [1]. Sie schreiben, dass Verantwortliche häufig solche Vergleiche heranzögen, um die Schwere der COVID-19-Pandemie zu verharmlosen. Dies sei allerdings nur möglich, wenn man nicht berücksichtige, dass die Todeszahlen der beiden Erkrankungen mit unterschiedlichen Methoden erhoben werden.
Todesfälle durch COVID-19 werden gezählt, durch Influenza geschätzt
Zum einen würden gemeldete COVID-19-Todesfälle aus ganz USA aufaddiert und gäben dadurch die besonders hohen Todesfallraten in Zentren der Epidemie wie etwa New York City nicht wieder. Im Unterschied dazu wurden die Todesfälle durch Influenza in den Wintern seit 2013/2014 geschätzt. Diese Schätzungen mit Sterbefällen zwischen 23.000 und 61.000 lagen etwa 6-fach über den real gezählten Fällen. Denn bei der Influenza werden aufgrund von fehlender Meldepflicht längst nicht alle Todesfälle erfasst. Somit schätze das CDC aufgrund jahrelanger Erfahrungen deren wirkliche Anzahl einfach etwa 6-fach höher ein.
Beispielsweise wurden in der Woche vor dem 21. April 2020 für die USA 15.455 Todesfälle aufgrund von COVID-19 gemeldet und in der Woche davor 14.478. Im Gegensatz dazu zählte das CDC in den jeweiligen Spitzen-Wochen der Influenza 351 (Woche 11/2016) bis 1.626 (Woche 3/2018) Todesfälle, woraus sich ein Durchschnitt von 752 ergibt, also etwa nur dem 20.Teil der jetzigen Todesfallzahlen aufgrund von COVID-19.
Auch im Jahr 2020 war die höchste gemeldete Anzahl Influenza-bedingter Todesfälle (in der letzten Februar-Woche) 14,4-mal geringer als die aufgrund von COVID-19 in der Woche vor dem 14. April 2020 gemeldeten.
In Deutschland liegen die Zahlen ähnlich: In der Grippesaison 2019/20 wurden lediglich 509 Todesfälle durch Influenza gezählt, wohingegen aufgrund von COVID-19 bisher rund 8.300 Tote gemeldet wurden.
Ähnlich wie in den USA wird auch in Deutschland längst nicht jeder durch Influenza verursachte Todesfall als solcher erkannt und deshalb gemeldet. Deshalb hat das Robert Koch-Institut (RKI) die Anzahl der Todesfälle durch die besonders schwere Grippe-Epidemie von 2017/18 auf 25.000 geschätzt, obschon nur 1.674 offiziell dokumentiert wurden.
Verschiedene Faktoren verzerren die Vergleichszahlen
Eine weitere Verzerrung der Vergleichszahlen sei darauf zurückzuführen, vermuten die US-Autoren, dass aufgrund der nicht auf so viele Patienten vorbereiteten Kliniken in den USA mehr Menschen an COVID-19 starben als in den Jahren zuvor an Influenza, weil jene besser versorgt werden konnten.
Auch die Aussagen zur Sterberate (der Quotient aus Anzahl der Todesfälle geteilt durch Anzahl der Infizierten) seien nicht realistisch, solange über die Anzahl der Testungen nichts ausgesagt werde bzw. werden könne. Es liege auf der Hand, dass die Sterberate sinke, wenn mehr Menschen (positiv) getestet werden, also als Infizierte, aber nicht Verstorbene in die Rechnung einfließen.
Ein Kreuzfahrtschiff als erste Simulation der Mortalität durch COVID-19
Den Infektionsverlauf auf dem Kreuzfahrtschiff „Diamond Princess“ führen die Autoren als eines von wenigen Beispielen für realistische Zahlen an. Hier lag Ende April die Sterberate bei 1,8% (13 Todesfälle von 712 Infizierten) und betrug bereinigt um einen Altersfaktor etwa 0,5%. Diese liege immer noch um etwa das 5-Fache höher, als in den letzten Jahren für Influenza-Wellen angegeben wurde.
Abschließend warnen die US-Autoren davor, Medienberichten zu glauben, die die Schwere der beiden Epidemien durch unterschiedliche Erkrankungen aufgrund von unterschiedlich gewonnen Zahlen vergleichen. Die COVID-19-Pandemie wiege schwerer als bisherige Influenza-Pandemien, auch wenn diese Erkenntnis angesichts der schweren weltweiten wirtschaftlichen Einschränkungen eine ungeliebte Wahrheit sei.
2 Dinge, die Deutschland besser gemacht hat als die USA
In Deutschland wird der im Vergleich zu den USA früh begonnene und konsequent umgesetzte Lockdown als ursächlich für die vergleichsweise niedrigen Todesraten durch COVID-19 angesehen, ebenso wie die hohe Anzahl an Plätzen in Intensivstationen, die, anders als etwa in New York City, bisher eine adäquate Behandlung nahezu aller Patienten mit schweren Verläufen dieser Erkrankung ermöglicht hat (wie Medscape berichtete).
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Diesen Artikel so zitieren: COVID-19 nicht viel tödlicher als saisonale Influenza? US-Forscher erklären, warum dies ein Äpfel-Birnen-Vergleich ist - Medscape - 26. Mai 2020.
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