Transkript des Videos von Prof. Dr. Paulus Kirchhof, Hamburg und Birmingham
Guten Tag, ich heiße Paulus Kirchhof, ich bin Direktor der Klinik für Kardiologie am universitären Herz- und Gefäßzentrum am UKE Hamburg und Professor for Cardiovascular Medicine an der Universität Birmingham.
Ich will Ihnen heute die Ergebnisse der EAST-AFNET4-Studie erläutern, der Early Treatment of Atrial Fibrillation for Stroke Prevention Trial.
Ich habe die Ergebnisse am 29. August 2020 am Online-ESC-Kongress vorgestellt. Sie sind zeitgleich im New England Journal of Medicine erschienen [1,2].
Komplikationsrate durch Vorhofflimmern senken
Sie wissen, dass Vorhofflimmern eine häufige und potenziell gefährliche Rhythmusstörung ist. In den letzten 20 Jahren haben wir viel gelernt und können heute die meisten Komplikationen von Vorhofflimmern gut verhindern.
So trägt die Antikoagulation dazu bei, dass fast keine Schlaganfälle mehr auftreten. Über eine frequenzkontrollierende Behandlung können wir viele Symptome lindern.
Auch unter optimaler, leitliniengerechter evidenzbasierter Behandlung kommt es jedoch bei etwa 5% der Patienten mit Vorhofflimmern zu kardiovaskulärem Tod, ischämischem Schlaganfall, Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz oder Hospitalisierung wegen einem akuten Koronarsyndrom. Das ist eine inakzeptabel hohe Rate.
Wir haben vermutet, dass man durch eine frühe rhythmuserhaltende Behandlung diese Komplikationsrate weiter senken kann. Das haben wir in einer großen randomisierten Studie, gesponsert vom Kompetenznetz Vorhofflimmern e. V. (AFNET) und vielen Funding Partners, in 11 europäischen Ländern in 135 Zentren über 9 Jahre geprüft.
Design der EAST-AFNET4-Studie
Insgesamt wurden 2.789 Patienten randomisiert. Die Hälfte (n = 1.395) erhielt eine frühe rhythmuserhaltende Behandlung, die andere Hälfte (n = 1.394) bekam „Usual Care“.
Alle Patienten hatten einen CHA2DS2VASc-Score ≥ 2, also ein erhöhtes Schlaganfallrisiko, und eine Indikation zur Antikoagulation. Zusätzlich haben wir nur Patienten mit früh aufgetretenem Vorhofflimmern untersucht, d. h. Patienten, die entweder bei Einschluss entweder neu aufgetretenes Vorhofflimmern hatten oder erst weniger als 1 Jahr an Vorhofflimmern litten.
Alle Patienten wurden leitliniengerecht mit oraler Antikoagulation und mit frequenzregulierenden Medikamenten behandelt. Außerdem erhielten sie eine leitliniengerechte Therapie ihrer weiteren Erkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes oder Herzinsuffizienz.
Patienten, die auf die frühe rhythmuserhaltende Behandlung randomisiert wurden, erhielten zum Zeitpunkt der Randomisierung Antiarrhythmika oder eine VHF-Ablation.
Patienten, die auf Usual Care randomisiert wurden, erhielten initial eine frequenzregulierende Therapie. Eine rhythmuserhaltende Therapie erfolgte gemäß den Leitlinien nur bei den Patienten, die unter frequenzregulierender Behandlung weiter symptomatisch waren.
Die Randomisierung ist gut umgesetzt worden. 95% der Patienten, die auf Early Therapy randomisiert wurden, haben tatsächlich eine rhythmuserhaltende Behandlung erhalten, meisten Antiarrhythmika, in 8% der Fälle eine Ablation.
Die Patienten, die auf Usual Care randomisiert wurden, sind in 96% der Fälle ohne rhythmuserhaltende Behandlung initial therapiert worden.
Nach 2 Jahren gab es immer noch einen deutlichen Unterschied. Zwei Drittel der Patienten in der Early-Therapy-Gruppe wurden immer noch aktiv rhythmuserhaltend behandelt und nur 15% der Patienten in der Usual-Care-Gruppe wurden rhythmuserhaltend behandelt.
Das entspricht übrigens ungefähr dem Anteil von Patienten, die in allgemeinen VHF-Registern rhythmuserhaltend behandelt werden.
Ergebnisse der EAST-AFNET4-Studie
Der erste primäre Endpunkt war zusammengesetzt aus kardiovaskulärem Tod, Schlaganfall, Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz und Hospitalisierung wegen akutem Koronarsyndrom.
Die Hauptbeobachtung der Studie war, dass diese Ereignisse des ersten primären Endpunkts um 21% seltener auftraten bei Patienten unter Early Therapy verglichen mit den Patienten der Usual-Care-Gruppe.
Die Ereignisrate war – wie erwartet – 5% pro Jahr bei den Usual-Care-Patienten und 3,9% pro Jahr bei den Patienten unter rhythmuserhaltender Therapie. Das war hochsignifikant.
Die Studie wurde bei der 3. Interimsanalyse wegen „Efficacy“ abgebrochen.
Der 2. primäre Endpunkt umfasste die Zahl der Nächte, die die Patienten im Krankenhaus verbracht hatten. Hier bestand kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen.
Das ist insofern wichtig, als 2 vorherige Studien – AFFIRM und AF-CHF – eine höhere Hospitalisierungsrate bei Patienten, die rhythmuserhaltend behandelt worden sind, gezeigt haben. Das haben wir in EAST-AFNET4 nicht gesehen.
Wie sicher war die Behandlung?
Wir haben einen sehr umfassenden ersten Sicherheitsendpunkt definiert. Er umfasste Tod, Schlaganfall und schwere Nebenwirkungen der rhythmuserhaltenden Behandlung. Dieser trat bei 231 Patienten unter Early Therapy und bei 223 Patienten unter Usual care auf. Es bestand also kein Unterschied.
Es gab numerisch etwas weniger Todesfälle in der Early-Therapy-Gruppe, allerdings ohne statistische Signifikanz. Es gab weniger Schlaganfälle in der Early-Therapy-Gruppe und es gab mehr Komplikationen der rhythmuserhaltenden Behandlung – wie nicht anders zu erwarten.
Aber insgesamt traten sehr wenige Komplikationen auf. Über den 5-Jahres-Follow-Up traten bei 68 von 1.395 Patienten der Early-Therapy-Gruppe schwerwiegende Komplikationen der rhythmuserhaltenden Therapie auf. Es waren deutlich mehr als die 19/1.394 Patienten in der Usual-Care-Gruppe. Insgesamt waren jedoch – wie gesagt – sehr wenige Patienten von den Komplikationen betroffen.
Fazit
Zusammenfassend zeigt unsere Studie, dass wir durch eine frühe, systematisch angewandte rhythmuserhaltende Behandlung die Prognosen bei Patienten mit Vorhofflimmern und Risikoprofil, die antikoaguliert sind und sonst optimal behandelt werden, weiter verbessern.
Warum unterscheiden sich die Ergebnisse von früheren Studien?
Nach meiner Meinung sollte eine frühe rhythmuserhaltende Behandlung Teil der Behandlung von allen Patienten mit neu aufgetretenem oder kürzlich diagnostiziertem Vorhofflimmern sein, die gleichzeitig weitere Risikofaktoren haben.
Es ist eine Studie, die tatsächlich die Praxis ändert. Sie kennen bestimmt noch die Ergebnisse von vor 18 Jahren, als AFFIRM und RACE publiziert worden sind, die beiden letzten Studien, in denen Rhythmus- und Frequenzkontrolle verglichen worden sind. Diese beiden Studien haben keinen Vorteil einer rhythmuserhaltenden Behandlung gezeigt.
Aus meiner Sicht, gibt es dafür 3 Ursachen:
In AFFIRM wurden Patienten mit lang bestehendem Vorhofflimmern eingeschlossen.
Zum Zeitpunkt von AFFIRM wurde die Antikoagulation nach scheinbar erfolgreicher Wiederherstellung des Sinusrhythmus oft wieder abgesetzt.
Zum Zeitpunkt von AFFIRM gab es noch keine Katheterablation, die vor allem bei Versagen von Antiarrhythmika eine sehr effektive Behandlungsmethode ist.
Müssen wir nun unsere Praxis ändern?
Nach meiner Meinung: Ja. Meiner Ansicht nach sollten wir bei Patienten mit neu aufgetretenem Vorhofflimmern und Schlaganfallrisiko nicht nur eine Antikoagulation initiieren, wie es heute im deutschsprachigen Raum üblich ist. Sie sollten nicht nur eine frequenzregulierende Behandlung und eine Behandlung von Begleiterkrankungen erhalten, sondern wir sollten auch eine rhythmuserhaltende Behandlung beginnen.
Diese Studie wurde beim Online-ESC direkt nach den Präsentationen zu den neuen Leitlinien zum Vorhofflimmern vorgestellt. Deshalb können die Ergebnisse noch nicht in den neuen Leitlinien integriert sein.
Die neuen Leitlinien fassen m.E. sehr gut zusammen, wie man bei Patienten mit Vorhofflimmern eine ganzheitliche Behandlung erreicht. Nach meiner Meinung, der Meinung meiner Coautoren und der anderen an dieser Studie beteiligten Menschen muss man aber den Wert der frühen rhythmuserhaltenden Behandlung angesichts unserer Ergebnisse neu bewerten und möglicherweise diesen Teil der Leitlinien nochmal einer Überprüfung unterziehen.
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Die dargestellte Meinung entspricht der des Autors und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten von WebMD oder Medscape wider.
Diesen Artikel so zitieren: „Ändert Praxis bei Vorhofflimmern“: Die EAST-AFNET4-Studie zeigt, wie frühe Rhythmus-Behandlung Risiken verringert - Medscape - 3. Sep 2020.
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