MEINUNG

Neuro-Talk: Ein Schlaganfall-Spezial, weil diesen Sommer Spannendes passiert ist

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

Interessenkonflikte

17. August 2020

COVID-19, Milch und Gemüse, Neuroprotektiva, Sekundärprävention und mehr – 9 wichtige Studien bringen Klarheit. Prof. Dr. Hans-Christoph Diener erklärt die Auswirkungen auf die Schlaganfall-Therapie.

Transkript des Videos:

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Heute berichte ich Ihnen, was im Juni und im Juli 2020 zum Thema Schlaganfall passiert ist.

COVID-19 und Schlaganfall

Ganz im Vordergrund stehen im Moment natürlich Publikationen zu neurologischen Manifestationen von COVID-19. Dazu gehört ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle [1]. Die Prävalenz bei schwer betroffenen Patienten liegt zwischen 1 und 3%. Die meisten dieser Schlaganfälle resultieren aus Verschlüssen der großen Hirnarterien.

Dies hängt mit den Veränderungen im Gerinnungssystem zusammen, die durch SARS-CoV2 induziert werden. Sie zeigen sich u.a. an erhöhten Werten von D-Dimeren, aber auch an einem erhöhten Risiko von Thrombosen und Embolien in anderen Stromgebieten.

Diese Patienten müssen natürlich ebenfalls unter entsprechenden Kautelen des Infektionsschutzes wenn notwendig und indiziert mit Thrombolyse und Thrombektomie behandelt werden. Die Prognose ist allerdings schlechter als bei Patienten, die einen Schlaganfall ohne SARS-CoV2-Infektion erleiden.

Obst, Gemüse, Ballaststoffe und Milchprodukte senken Schlaganfallrisiko

Nun zur Primärprävention. Wir diskutieren ja heftig beispielsweise über den Einsatz von Statinen in der Primärprävention. Aber es gibt andere Ansätze, die meiner Meinung nach viel wichtiger sind.

Das hat das EPIC-Register gezeigt [2]. Fast 420.000 Männer und Frauen in Europa wurden über 12 Jahre verfolgt. In diesem Register werden u.a. Nahrungsmittel und der Zusammenhang mit vaskulären Erkrankungen untersucht. Es wurde eindeutig gezeigt, dass das Risiko eines ischämischen Insults reduziert ist, wenn Menschen viel Obst und Gemüse, viel Ballaststoffe und Milchprodukte wie Joghurt oder Käse verzehren.

Ein erhöhtes Risiko intrazerebraler Blutungen fand sich nur bei Patienten, die häufig Eier essen.

Akuttherapie bei über 80jährigen Patienten

Bis vor kurzem war die Thrombolyse bei Patienten im Alter über 80 Jahren kontraindiziert. Eine Metaanalyse, die in Stroke publiziert worden ist, hat dies nochmal untersucht [3]. Hier wurden 3.026 Patienten mit Thrombolyse verglichen mit 3.009 Patienten, die Placebo oder Kontrolle erhalten hatten. 1.699 Patienten waren älter als 80 Jahre.

Der therapeutische Benefit war bei Patienten über 80 Jahre eindeutig gegeben. Natürlich haben diese Patienten eine schlechtere Prognose und ein erhöhtes Blutungsrisiko, aber man sollte diesen Patienten die Thrombolyse nicht vorenthalten.

Das traurige Kapitel der Neuroprotektiva

Jetzt ist auch die Natalizumab-Studie publiziert worden [4]. Diese Substanz ist in Tiermodellen der fokalen Ischämie wirksam. In der Phase-2b-Studie wurden 277 Patienten mit 300 oder 600 mg Natalizumab i.v. innerhalb von 24 Stunden oder mit Plazebo behandelt.  Erwartungsgemäß ergab sich kein therapeutischer Effekt.

Ich frage mich nach mehr als 130 negativen Neuroprotektiva-Studien, warum wir jetzt noch die 131. und die 132. Studie durchführen müssen.

Frühe Sekundärprävention nach Hochrisiko-TIA und leichtem Schlaganfall

Die SOCRATES-Studie hatte ja gezeigt, dass Ticagrelor im Vergleich zu Aspirin nicht wirksamer ist. Jetzt wurde die Nachfolgestudie, die THALES-Studie publiziert [5]. Bei über 11.000 Patienten wurde Ticagrelor plus Aspirin mit Aspirin-Monotherapie verglichen. Hier ergibt sich für die Kombinationstherapie eine Reduktion des Risikos für Schlaganfall und Tod um 17% innerhalb von 90 Tagen, allerdings bei einem erhöhten Blutungsrisiko.

Wahrscheinlich wird in den Leitlinien weiterhin empfohlen werden, für die Kurzzeitprophylaxe Clopidogrel und Aspirin zu verwenden.

Vorhofohr-Verschluss versus NOAK

Eine kleine Studie aus der Tschechischen Republik hat sich mit dem Vorhofohr-Verschluss bei Patienten mit Vorhofflimmern und hohem Risiko beschäftigt [6]. Bei je 200 Patienten wurde der LAA-Verschluss mit NOAKs verglichen. Erwartungsgemäß zeigte sich kein Unterschied für die Endpunkte wie z.B. TIA, Schlaganfall, Blutungskomplikationen oder vaskuläre Ereignisse.

Das liegt aber daran, dass eine Studie mit 400 Patienten für diese Fragestellung viel zu klein ist.

Reorganisation und Regeneration nach Schlaganfall durch SSRI

Zu Fluoxetin gab es vor 11 Jahren eine kleine Studie aus Frankreich, die einen positiven Effekt gezeigt hat. Das konnte jetzt in 2 großen Studien, die in Lancet Neurology publiziert worden sind, widerlegt werden, nämlich der EFFECT-Studie in Schweden [7] und der AFFINITY-Studie in Australien, Neuseeland und Vietnam [8].

Bei 1.500 Patienten bzw. über 1.000 Patienten wurden 20 mg Fluoxetin über 6 Monate mit Placebo verglichen. Es gab keinen Unterschied im funktionellen Outcome. Diese Therapie ist eindeutig nicht wirksam.

Sie hat aber Nebenwirkungen. So waren beispielsweise Stürze, Knochenbrüche, Hyponatriämie oder epileptische Anfälle häufiger unter Fluoxetin als unter Placebo. Lediglich die Wahrscheinlichkeit, eine Depression nach Schlaganfall zu erleiden, war etwas reduziert.

Meine Damen und Herren, Juni und Juli 2020 waren wichtig, attraktiv und spannend für das Gebiet des Schlaganfalls.

Ich bin Christoph Diener von der Fakultät für Medizin an der Universität Duisburg-Essen und bedanke mich fürs Zuhören und fürs Zusehen.
 

Kommentar

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