MEINUNG

Neuro-Talk: Akute und langfristige COVID-19-Schäden im Gehirn und Nervensystem – ein Überblick

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

Interessenkonflikte

20. Juli 2020

Die wichtigsten Erkenntnisse über die neurologischen Auswirkungen einer Infektion mit SARS-CoV-2. Prof. Dr. Hans-Christoph Diener spricht über die Therapie-Aussichten und Langzeitschäden.

Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Heute möchte ich Ihnen einen kurzen Überblick geben, was in den letzten 3 Monaten über den Zusammenhang zwischen COVID-19 und dem Fachgebiet der Neurologie bekannt geworden ist.

Zur Pathophysiologie von COVID-19

Wir haben gelernt, dass diese Infektion im Prinzip in 2 Stufen abläuft. In der 1. Stufe kommt es zu der eigentlichen Virusinfektion mit all ihren Folgen und einem bevorzugten Befall beispielsweise der Lunge, aber auch der Nieren und der kleinen Gefäße.

Das führt  bei einem Teil der Patienten zu einer massiven Ausschüttung von Zytokinen. Dieser Zytokin-Sturm kann dann zu sekundären Schäden führen, wie beispielsweise einer Schädigung der Blut-Hirn-Schranke. Dadurch kann zum einen das Virus selbst in das Gehirn gelangen, zum anderen können auch die Zytokine im Gehirn Schaden anrichten.

Welche neurologischen Manifestationen sind bekannt?

Die häufigste Manifestation ist eine Geruchsstörung. Italienische Hals-Nasen-Ohren-Ärzte haben die Häufigkeit untersucht und gezeigt, dass 70 bis 80% aller COVID-19-Patienten eine Geruchsstörung aufweisen. Das differenziert diese Krankheit sehr zuverlässig von der Influenza.

Es sind eine ganze Reihe von neurologischen Manifestationen beschrieben worden, wie z.B. epileptische Anfälle bei 4% der Patienten, in seltenen Fällen eine Enzephalitis, eine akute inflammatorische demyelinisierende Polyneuritis oder ein Fisher-Miller-Syndrom, ferner eine Muskelbeteiligung mit Muskelschmerzen und Muskelschwäche.

Zudem wurde eine höhere Anzahl von Schlaganfällen bei jüngeren COVID-19-Patienten beobachtet. Ursache ist wahrscheinlich, dass diese Infektion auch das Gerinnungssystem betrifft und es z.B. zu einem Anstieg der D-Dimere kommt, weshalb es Thrombosen und Embolien im arteriellen und im venösen Bereich gibt. Es sind auch Fälle von Sinusvenenthrombosen beschrieben worden.

Plötzlicher Herztod und plötzlicher Atemstillstand

Ein weiteres sehr seltsames Phänomen ist, dass es bei Menschen ohne vorgeschädigtes Herz zum plötzlichen Herztod und bei Patienten, die keine schwere Pneumonie haben, zu einem plötzlichen Atemstillstand kommen kann. Möglicherweise ist dies durch eine Infiltration des Virus in den Hirnstamm mit einer Schädigung der dortigen Strukturen bedingt.

Auch psychiatrische Manifestationen sind beschrieben worden wie akute Psychosen, ausgeprägte neurokognitive Störungen und Affektstörungen.

Häufig schwere Hypoxie als Todesursache

Die bisher publizierten neuropathologischen Untersuchungen zeigen aber ganz überwiegend bei den verstorbenen Patienten, dass es zu einer schweren Hypoxie im Rahmen des Lungenversagens gekommen ist und gelegentlich zu einer Vaskulitis der kleinen Gefäße. Interessanterweise konnten auch Viren bei einzelnen wenigen Patienten im Hirnstamm nachgewiesen werden.

COVID-19 bei Patienten mit neurologischen Vorerkrankungen

Mittlerweile ist bekannt, dass die Prognose der Infektion bei Patienten mit ALS, bei fortgeschrittenen neurodegenerativen Erkrankungen wie Morbus Parkinson und bei Demenzen deutlich schlechter ist.

Erfreulicherweise ergab sich kein Unterschied in der Sterblichkeit bei Patienten mit vorbestehender Multipler Sklerose.

Langzeitfolgen von COVID-19

Ein weiteres Problem, das wahrscheinlich auf uns zukommt, sind die Langzeitfolgen dieser Infektion. Sehr viele Patienten beschreiben nun eine ausgeprägte Müdigkeit, geringere körperliche und geistige Belastbarkeit und lang anhaltende kognitive Störungen.

Bisher ist völlig unklar, wie lang diese Symptome anhalten, ob sie reversibel oder irreversibel sind.

Derzeitiger Kenntnisstand zur Therapie

Wir wissen nun, dass Chloroquin und Hydroxychloroquin nicht wirksam sind. Sie sind übrigens auch nicht prophylaktisch nach Exposition mit infizierten Patienten wirksam

Wir wissen auch, dass die beiden HIV-Medikamente Lopinavir und Ritonavir nicht wirksam sind.

Eindeutig wirksam scheint Dexamethason zu sein, insbesondere bei beatmeten Patienten und etwas weniger bei Patienten, die Sauerstoff brauchen. Das kann man sehr gut dadurch erklären, dass Dexamethason den Zytokin-Sturm abschwächt, den die Infektion hervorruft.

Wohl auch wirksam sind Interferon beta-1b in Kombination mit Ribavirin.

Nun laufen verschiedene Studien zur Behandlung des Zytokin-Sturms, z. B. mit Tocilizumab, das wahrscheinlich auch die Prognose verbessert.

Remdesivir verbessert die Prognose im Sinne eines verkürzten Krankenhausaufenthalts, es besteht aber nur ein Trend zur Reduktion der Mortalität.

Wir warten natürlich sehnsüchtig auf eine wirksame Impfung, weil nur diese das Problem langfristig beseitigen wird. 

Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten 3 Monaten viel gelernt über COVID-19 und das Fachgebiet der Neurologie sowie neurologische Manifestationen.

Ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit
 

Kommentar

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