Die Auswahl der richtigen Patienten könnte bei der Immuntherapie des Glioblastoms endlich mal Erfolge bringen. PD Dr. Georgia Schilling diskutiert eine spannende Studie mit Checkpoint-Inhibitoren.
Transkript des Videos von PD Dr. Georgia Schilling:
Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Georgia Schilling. Ich bin leitende Oberärztin im Asklepios-Tumorzentrum in Hamburg und Chefärztin der Abteilung für Onkologische Rehabilitation in der Asklepios Nordsee-Klinik Westerland auf Sylt.
Ich beschäftige mich sehr viel mit Patienten mit Glioblastomen. Deshalb möchte ich Ihnen eine aktuell publizierte Studie, die CheckMate-143-Studie, vorstellen.
Sie wurde von einer Arbeitsgruppe aus dem Dana-Farber/Harvard Cancer Center am 21. Mai 2020 online in JAMA Oncology veröffentlicht [1]. Es geht um den Vergleich zwischen Nivolumab und Bevacizumab bei Patienten mit rezidivierten Glioblastomen.
Glioblastome haben eine extrem schlechte Prognose
Wir wissen alle, dass Glioblastome eine extrem schlechte Prognose haben. Sie sind sehr schwierig zu behandeln. Wir haben wenig therapeutische Optionen. Trotz aller Bemühungen in der vergangenen Zeit, zielgerichtete Substanzen einzusetzen, hat sich an dieser schlechten Prognose nichts geändert. Das 5-Jahres-Überleben beträgt 10% für alle Glioblastom-Patienten. Das ist extrem niedrig.
In der Erstlinientherapie haben wird seit vielen Jahren einen Therapiestandard, das Stupp-Schema – für ältere Patienten teilweise auch in abgewandelter Form. Im Rezidiv haben wir keinen Standard für die Therapie, sie läuft relativ „Freestyle-mäßig“. Wir haben in dieser Situation nur limitierte Therapieoptionen.
Gerade deswegen warten wir dringend auf Studienergebnisse, die einen neuen Therapiestandard im Rezidiv des Glioblastoms definieren können. Wir haben einen großen Bedarf an neuen therapeutischen Optionen.
Immuncheckpoint-Inhibitoren beim rezidivierten Glioblastom
Bislang gab es keine veröffentlichten Daten zu Immuncheckpoint-Inhibitoren für diese Therapie-Situation. Deshalb sind die Ergebnisse der CheckMate-143-Studie jetzt mit Spannung erwartet worden und sie sind deshalb auch extrem wichtig.
Man hatte sich von dieser Immuntherapie aufgrund der Erfolge bei anderen Entitäten sehr viel erhofft. Man weiß, dass Immunzellen in das ZNS eindringen können. Die Blut-Hirn-Schranke scheint keine Barriere zu sein, und es ist bekannt, dass die Immunzellen im ZNS funktionstüchtig sind.
Außerdem gab es aus Maus-Glioblastom-Modellen erfolgversprechende Daten zur Immuntherapie.
Deshalb hat man sich zu diesem Vergleich einer Anti-VEGF-Therapie mit einer PD1-Blockade im rezidivierten Setting entschieden.
Phase-3-Studie CheckMate 143
Die Phase-3-Studie CheckMate 143 wurde offen und multizentrisch durchgeführt. Insgesamt wurden 369 Patienten im ersten Rezidiv nach einer Standard-Stupp-Therapie 1:1 randomisiert. Im Nivolumab-Arm wurden 184 Patienten, im Bevacizumab-Arm 185 Patienten behandelt.
Die Patienten wurden im Median 9,5 Monate nachbeobachtet. Primärer Endpunkt der Studie war das Gesamtüberleben (OS), sekundäre Endpunkte waren Gesamtansprechrate und progressionsfreies Überleben (PFS).
In der MGMT-Methylierung waren die beiden Studienarme sehr ausgeglichen, in beiden Armen lag sie bei etwa 23%. Allerdings kannte man bei vielen der eingeschlossenen Patienten den Methylierungsstatus nicht.
Ergebnisse der CheckMate 143
Das Gesamtüberleben im Nivolumab-Arm lag bei 9,8 Monaten, im Bevacizumab-Arm bei 10,0 Monaten und war damit völlig gleich. Es ließ sich keine Überlegenheit der Immuntherapie nachweisen. Auch im 12-Monats-Überleben lagen die beiden Gruppen mit jeweils 42% auf absolut gleicher Höhe.
Damit haben wir leider wieder eine negative Studie beim Glioblastom. Das ist enttäuschend, denn man hatte sich von der Immuntherapie viel mehr versprochen.
Die unerwünschten Ereignisse vom Grad 3 und 4 waren in beiden Armen vergleichbar. Vor allem konnte man zeigen, dass es keine unerwarteten neurologischen Immuntherapie-assoziierten Nebenwirkungen gab. Es gab auch keine therapiebedingten Todesfälle.
Bisheriges Fazit: Vergleichbares Gesamtüberleben in beiden Gruppen, keine Überlegenheit der Immuntherapie und ein Toxizitätsprofil von Nivolumab, das dem entspricht, was wir aus anderen Entitäten bereits kennen.
Wenn eine Studie so läuft, guckt man natürlich die Subgruppen an, man mag darüber denken, was man will. Auch in diesem Fall ist es sehr interessant, einen Blick auf die Subgruppen zu werfen.
Subgruppenanalysen geben interessante Hinweise
Es lohnt sich die Subgruppen, wenngleich klein, detaillierter zu beleuchten.
So konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass das progressionsfreie Überleben und das Gesamtansprechen für Bevacizumab deutlich besser war, während die Remissionsdauer im Nivolumab-Arm wesentlich länger anhielt. Das ist nicht unbekannt, das kennen wir aus unseren Erfahrungen bei anderen Entitäten mit Immuncheckpoint-Inhibitoren. Wenn die Patienten auf Immuncheckpoint-Inhibitoren ansprechen, dann hält diese Remission länger an als unter einer normalen Therapie.
Steroidgabe verringert offenbar Wirkung der Immuncheckpoint-Inhibitoren
Man konnte auch zeigen, dass Patienten die parallel zur Immuntherapie aufgrund eines perifokalen Ödems Steroide erhalten haben, viel schlechter abgeschnitten haben, als Patienten, die keine Steroide zusätzlich zur Immuntherapie erhalten haben.
Am stärksten haben die Patienten von der Immuntherapie profitiert, die MGMT methyliert waren und keine Steroide erhalten haben. Sie überlebten immerhin 17 Monate und waren damit deutlich besser als die Gesamtgruppe.
In beiden Armen, egal ob Bevacizumab oder Nivolumab eingesetzt wurde, war das Überleben deutlich besser, wenn der MGMT-Promoter methyliert war. Das kennen wir beim Glioblastom schon seit Jahren. MGMT ist ein Prognosemarker, der bei Methylierung eine bessere Prognose anzeigt.
Die Autoren sind der Ansicht, dass die Steroideinnahme insgesamt ein prognostisch ungünstiger Faktor ist, weil sie ein Surrogatparameter für das Vorliegen eines perifokalen Ödems ist.
Es könnte auch als Hinweis gedeutet werden, dass die Erkrankung schneller progredient ist. Das könnte ein Grund sein, warum die Patienten schlechter angesprochen haben.
Außerdem, und das ist sehr wichtig, beeinflussen die Steroide die T-Zellfunktion negativ. Sie wirken immunsuppressiv und schränken daher die Wirksamkeit der Immuntherapie ein.
Große Limitation, auf die auch die Autoren hinweisen, ist der hohe Prozentsatz an unbekanntem MGMT-Status in dieser Studie.
Die Autoren heben hervor, dass die Subgruppe der Patienten mit MGMT-Methylierung und ohne Steroideinnahme von der Immuntherapie im Trend besser profitiert hat als von der Bevacizumab-Behandlung. Wir müssen aber einschränkend auch zugeben, dass es sich hierbei nur um 31 Patienten bzw. 22 Patienten handelt. Das ist eine sehr kleine Subgruppe.
Gute Kommentierung im begleitenden Editorial
Die Studie wurde im begleitenden Editorial in JAMA Oncology m.E. sehr gut kommentiert [2] . Die Kommentatoren sind hervorragend auf die kritischen Punkte eingegangen. Es lohnt sich, dieses Editorial zu lesen. Positiv war auch, dass die Studie nicht zerrissen wurde, obwohl sie nicht das gewünschte Ergebnis gezeigt hat.
Kritisch ist anzumerken, dass die Folgetherapien in beiden Behandlungsarmen sehr vielfältig waren, sie haben sicher auch einen Einfluss auf das Gesamtüberleben, wenn man Gesamtüberleben als primären Endpunkt für eine Studie wählt.
Aber insgesamt gibt es trotz allem keine wirklich guten Optionen in der Rezidivtherapie – vor allem, wenn dann das 2. und 3. Rezidiv vorliegt.
Kritisch haben die Kommentatoren ferner angemerkt, dass die Auswertung nach RANO-Kriterien erfolgte, auch im Immuntherapie-Arm. RANO steht für Response Assessment for Neuro-Oncology. Es hat aber keine Auswertung nach iRANO-Kriterien stattgefunden, was man bei der Immuntherapie empfehlen würde.
Wir machen das auch bei den anderen Entitäten so, weil wir wissen, dass wir das Ansprechen anders bewerten müssen, wenn die Patienten eine Immuntherapie bekommen.
Außerdem weiß man, dass Bevacizumab Veränderungen in der Kontrastmittel-Aufnahme (KM-Enhancement) induziert, die nicht unbedingt einem Ansprechen entsprechen. Eventuell ist die Gesamtansprechrate im Bevacizumab-Arm zu positiv bewertet worden, weil sich die Kontrastmittel-Aufnahme verändert hat, auf eine Weise, die nicht unbedingt einem Ansprechen des Tumors entspricht.
Zur Erklärung für das wesentlich bessere Ansprechen auf die Immuntherapie in der Gruppe der Patienten mit einem methylierten MGMT-Promoter ohne Steroideinnahme geben die Kommentatoren folgenden Hinweis: Glioblastome, die methyliert sind, haben eine viel höhere Rate an somatischen Mutationen – die Rate liegt bis zu 400% höher als bei MGMT-negativen Tumoren. Daher sprechen sie besser auf die Immuntherapie an. Das kennen wir ebenfalls von anderen Entitäten. Tumoren mit einer hohen Mutationslast sprechen besser auf Immuncheckpoint-Inhibitoren an.
Es lohnt sich also, die Subgruppen genau zu beleuchten. Man sollte nach Meinung der Kommentatoren die Studie nochmal genau in dieser Patientengruppe durchführen.
Fazit insgesamt ist also, dass weitere Studien nötig sind. Die werden auch kommen. In nächster Zeit werden noch mehrere Phase-3-Studien mit Immuntherapeutika beim Glioblastom publiziert werden.
Man sollte die Patienten dann gemäß den Ergebnissen dieser Studie vorher auswählen. Vielleicht hat man jetzt doch eine Patientengruppe mit Glioblastomen im Rezidiv identifiziert, die von einer Immuntherapie profitieren.
Das ist der Silberstreif am Horizont, der uns hoffen lässt, dass es zumindest für einen Teil der Patienten einen neuen Therapiestandard im Rezidiv geben wird.
Damit danke ich Ihnen fürs Zuhören und Zuschauen.
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Die dargestellte Meinung entspricht der des Autors und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten von WebMD oder Medscape wider.
Diesen Artikel so zitieren: „Silberstreif am Horizont“: Manche Subgruppen könnten von einer Immuntherapie beim rezidivierten Glioblastom profitieren - Medscape - 6. Jul 2020.
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