Was hilft bei chronischer und episodischer Migräne oder Clusterkopfschmerz? Prof. Dr. Hans-Christoph Diener stellt die aktuellen Studien vor – auch zu alternativen Methoden.
Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Sie haben wahrscheinlich - wie ich auch - langsam genug von Studien haben, die sich nur noch mit dem Corona-Virus beschäftigen.
Deshalb will ich Ihnen heute berichten, was sich in den vergangenen 3 Monaten im Bereich der Kopfschmerzforschung getan hat.
Ingwer zur Migräneprophylaxe?
Sie alle wissen, dass viele Patienten zu ihrer Migräneprophylaxe gerne so genannte natürliche Substanzen einnehmen wollen. Aus Brasilien liegt jetzt eine Studie vor, die Ingwer-Extrakt zur Prophylaxe der Migräne untersucht hat [1]. 107 Patienten wurden randomisiert mit Verum oder Placebo behandelt. Erwartungsgemäß zeigte diese vermeintlich natürliche Substanz keinen Nutzen in der Migräneprophylaxe.
Eptinezumab: zulassungsrelevante Studien
Mittlerweile sind 3 monoklonale Antikörper gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor zugelassen, nämlich Erenumab, Fremanezumab und Galcanezumab. Die 4. Substanz ist nun Eptinezumab. Sie wird im Gegensatz zu den 3 anderen Antikörpern nicht subkutan, sondern intravenös alle 3 Monate appliziert.
Jetzt sind die beiden Studien, die in den USA für die Zulassung im Februar 2020 relevant waren, publiziert worden.
Episodische Migräne
PROMISE-I (PRevention Of Migraine via Intravenous ALD403 Safety and Efficacy-1) hat 888 Patienten mit episodischer Migräne eingeschlossen. Verglichen wurden Eptinezumab viermal 30 mg, 100 mg, 300 mg i.v. alle 12 Wochen und Placebo [2]. Die Zahl der monatlichen Migränetage (MMD) betrug zu Studienbeginn im Mittel 8,6 Tage. Die niedrige Dosis von 30 mg war nicht wirksam. Die 100-mg-Dosis führte zu einer Reduktion von durchschnittlich 3,9 MMD, die 300-mg-Dosis von 4,3 MMD und Placebo von 3,2 MMD.
Die 50%-Responder-Rate betrug für:
100 mg Eptinezumab 50%
300 mg Eptinezumab 56%
Placebo 37%.
Alle Unterschiede im Vergleich zu Placebo waren statistisch signifikant. Wie üblich bei dieser Substanzgruppe wurden wenige Nebenwirkungen beobachtet.
Chronische Migräne
Die 2. Studie PROMISE-2 hat 1.072 Patienten mit chronischer Migräne eingeschlossen [3]. Zu Studienbeginn litten sie im Mittel an 16,1 MMD. Das Ergebnis:
100 mg Eptinezumab führten zu einer Reduktion der MMD um 7,7 Tage
300 mg Eptinezumab um 8,2 Tage
Placebo um 5,6 Tage.
Als einzige Nebenwirkung war eine Nasopharyngitis unter Verum häufiger als unter Placebo. 60% der Patienten litten unter einem Dauerkopfschmerz durch Übergebrauch von Medikamenten.
Diese Studien zeigen eindeutig: Eptinezumab ist wirksam und - wie auch in anderen Studien gesehen - ist der Therapieeffekt der Antikörper gegen CGRP bei chronischer Migräne viel ausgeprägter als bei episodischer Migräne.
Onabotulinumtoxin zur Prophylaxe der chronischen Migräne bei Jugendlichen
Die einzige wissenschaftlich wirklich gut belegte Substanz zur Prophylaxe der chronischen Migräne ist Onabotulinumtoxin A, das ist in 2 großen Studien bei Erwachsenen gezeigt worden.
Jetzt wurde in den USA eine Studie mit Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 17 durchgeführt [4]. 125 Jugendliche erhielten entweder 74 E, 155 E oder Placebo gespritzt. Die mittlere MMD lag zwischen 6,3 und 6,8, aber leider war kein Unterschied zu Placebo zu beobachten. Das heißt nicht, dass Onabotulinumtoxin A nicht wirksam ist, sondern dass die Effektivität in dieser Studie durch den sehr hohen Placeboeffekt „gekillt“ wurde.
Dasselbe ist mit der medikamentösen Prophylaxe vor 2 Jahren passiert, publiziert im NEJM, als in der CHAMP-Studie Topiramat und Amitriptylin mit Placebo bei Jugendlichen mit chronischer Migräne verglichen wurden. Auch hier konnte kein Nutzen der Medikamente gezeigt werden, weil der Placeboeffekt so hoch war [5].
Akupunktur bei episodischer Migräne wirksam?
Nun lassen Sie mich zur Akupunktur kommen. Im British Medical Journal wurde eine Studie publiziert, in der in China die echte Akupunktur mit einer Scheinakupunktur verglichen wurde [6]. Die Untersucher haben sich viel Mühe gemacht, die Scheinakupunktur so zu gestalten, dass sie nicht von einer richtigen Akupunktur unterschieden werden konnte. Die 3. Gruppe bekam Standard of Care.
Eingeschlossen waren 150 Patienten mit episodischer Migräne. Die richtige Akupunktur führte zu einer Reduktion der Migränetage um 3,5 und die Scheinakupunktur um 2,4. Der Unterschied war gerade eben signifikant.
Bei dieser Studie habe ich aber aus einem einfachen Grund „Bauchweh“. Die 50%-Responder-Rate wurde bei echter Akupunktur mit 82% angegeben. Das ist eine Zahl, die in der Historie der Kopfschmerzforschung noch nie erreicht wurde. Die höchste 50%-Responder-Rate, die jemals berichtet wurde, war 55%.
Galcanezumab beim chronischen Cluster-Kopfschmerz
Als letztes möchte ich über CGRP-Antikörper bei Cluster-Kopfschmerz sprechen. Mit Galcanezumab gab es eine Studie beim episodischen Cluster-Kopfschmerz, die positiv war. Jetzt wurde eine Studie zu Galcanezumab beim chronischen Cluster-Kopfschmerz publiziert [7].
Die randomisierte Studie mit 237 Patienten erreichte im Vergleich zu Placebo leider keine signifikante Reduktion der Zahl der Cluster-Attacken pro Woche.
Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Zulassungsbehörde (EMA) hat leider die Zulassung für Galcanezumab zur Behandlung des episodischen Cluster-Kopfschmerzes Ende Februar 202 abgelehnt mit der Begründung, dass die Firma nur eine Studie eingereicht hätte und üblicherweise wären zwei unabhängige Studie notwendig. Ich finde das sehr schade, weil wir immer noch viele Patienten mit episodischem Cluster-Kopfschmerz haben, die auf die übliche Prophylaxe nicht ausreichend ansprechen.
Meine Damen und Herren, auch in Zeiten von Corona gibt es noch andere wichtige Themen in der Neurologie – heute war es das Thema Kopfschmerz.
Ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Medscape © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Neuro-Talk: Aktuelle Kopfschmerzstudien – was Ingwer, Akupunktur, Botulinumtoxin und der 4. Antikörper ausrichten können - Medscape - 8. Jun 2020.
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