Auch Joggen, Aerobic, Tennis oder Skifahren schützen eher vor der Gonarthrose als dass sie sie befördern

Anke Brodmerkel

Interessenkonflikte

25. Mai 2020

Manche Sportarten wie Joggen, Aerobic, Tennis oder Skifahren gelten für das Kniegelenk als belastend. Dennoch erhöhen sie laut einer US-Langzeitstudie mit knapp 1.200 Probanden selbst bei älteren und übergewichtigen Menschen nicht das Risiko einer Gonarthrose.

Das Gegenteil ist sogar der Fall – wie ein Team um Dr. Alison Chang vom Department of Physical Therapy and Human Movement Sciences an der Northwestern University Feinberg School of Medicine in Chicago im Open-Access-Journal JAMA Network Open berichtet: Das regelmäßige Ausüben dieser Sportarten schützt das Kniegelenk sogar vor dem Verschleiß – auch bei Menschen mit einem erhöhten Arthrose-Risiko, zum Beispiel aufgrund von Übergewicht [1].

Auch mit einer Arthrose ist moderater Sport fast immer zu empfehlen

„Das ist eine gut gemachte und damit auch aussagekräftige Studie mit einer ausreichend hohen Zahl an Probanden und einer langen Beobachtungszeit von 10 Jahren“, kommentiert Prof. Dr. Holger Schmitt vom Deutschen Gelenkzentrum in der ATOS-Klinik Heidelberg und Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin (GOTS) im Gespräch mit Medscape.

Für Schmitt kommen die Ergebnisse der Studie allerdings nicht ganz überraschend. „Wir wissen, dass selbst bei einer schon bestehenden Arthrose körperliche Aktivität und moderater Sport viele positive und auch präventive Effekte haben können“, sagt der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. „Beides erhöht die Kraft, die Koordination und die Beweglichkeit der Gelenke.“

 
Wir wissen, dass selbst bei einer schon bestehenden Arthrose körperliche Aktivität und moderater Sport viele positive und auch präventive Effekte haben können. Prof. Dr. Holger Schmitt
 

Bestimmte Arten von Belastungen, die mit starken Scherkräften – also viel Stop-and-Go oder Rotationen – verbunden seien, könnten, wenn sie zu häufig vorkämen, dem Kniegelenk zwar durchaus auch Schaden zufügen, sagt Schmitt – insbesondere bei einer leichten Achsfehlstellung der Beine, die gerade bei Männern mit dem Alter häufiger werde.

Hier gelte es jedoch, das richtige Maß an sportlicher Aktivität zu finden, um von der Bewegung bestmöglich zu profitieren. „Moderater Sport, zwei-, dreimal in der Woche betrieben, ist fast immer und auch in jedem Alter gut“, betont Schmitt. „Eine gute Bein- und Rumpfmuskulatur schützt auch das Kniegelenk.“ Das zeigten auch die Daten der aktuellen Studie, so der Mediziner.

 
Moderater Sport, zwei-, dreimal in der Woche betrieben, ist fast immer und auch in jedem Alter gut. Prof. Dr. Holger Schmitt
 

Der Einfluss von langem Sitzen auf die Knie wurde ebenfalls untersucht

Für ihre Analyse werteten Chang und ihre Kollegen rückblickend Daten der Osteoarthritis Initiative aus: Diese prospektive Longitudinalstudie an 4 Standorten in den USA (Baltimore in Maryland, Columbus in Ohio, Pittsburgh in Pennsylvania und Pawtucket auf Rhode Island) hat bei 1.194 Teilnehmern (darunter 697 Frauen) über 10 Jahre hinweg das Risiko untersucht, eine symptomatische und im Röntgenbild bestätigte Gonarthrose zu entwickeln.

Das Durchschnittsalter der Probanden lag zu Studienbeginn bei 58,4 Jahren. Ihr Body.Mass-Index (BMI) betrug im Mittel 26,8 – einige der Teilnehmer waren somit über-, andere normalgewichtig. Das Team um Chang ging im Wesentlichen 2 Fragen nach:

  • Zum einen wollten die Forscher herausfinden, ob und inwieweit verschiedene Sportarten zu einer schnelleren Abnutzung des Kniegelenks beitragen – ohne allerdings zwischen den einzelnen Sportarten detailliert zu unterscheiden. „Ein solches Vorgehen wäre auch nur schwer möglich gewesen, da die einzelnen Gruppen dann viel zu klein geworden wären“, erläutert Schmitt.

  • Zum anderen prüften die US-Forscher, ob und, wenn ja, wie ausgiebiges Sitzen die Entstehung einer Gonarthrose beeinflusst.

Endpunkt der Studie war ein Kellgren-Lawrence-Score von 2 oder höher

Um an der Studie teilzunehmen, mussten die Probanden eine Reihe von Voraussetzungen erfüllen. Der radiologisch erhobene Kellgren-Lawrence-Score (bei dem die Bildung von Osteophyten, die Weite des Gelenkspalts, die Sklerosierung und die Deformierung des Gelenks beurteilt werden) musste zu Studienbeginn in beiden Knien bei 0 liegen. 4 ist der höchste Wert auf dieser Skala. Der mittlere Schmerz-Score der Probanden auf der WOMAC-Skala (Western Ontario and McMaster Universities Osteoarthritis Index) lag daher auch nur bei 2,3 von maximal 20 Punkten.

Darüber hinaus mussten die Teilnehmer zu Beginn und bei mindestens 2 weiteren radiologischen Untersuchungsterminen während eines Zeitraums von 8 Jahren den standardisierten Fragebogen PASE (Physical Activity Scale for the Elderly) ausfüllen, in dem sie Angaben zur Art und zum Umfang ihrer sportlichen Aktivitäten sowie zu ihren sitzend verrichteten Tätigkeiten machten.

Endpunkt der Studie war ein Kellgren-Lawrence-Score von 2 oder höher in mindestens einem Knie am Ende des Beobachtungszeitraums.

Moderater Sport senkte das Risiko einer Gonarthrose um gut 30%

Die Forscher teilten die Probanden anhand deren Wochenstunden mit körperlichen Aktivitäten in 4 Gruppen und anhand ihres Sitzverhaltens in 3 verschiedene Gruppen ein. Wie Chang und ihre Kollegen berichten, trugen weder die langfristige Ausübung gering bis mäßig anstrengender körperlicher Aktivitäten noch die langfristige Ausübung anstrengender körperlicher Aktivitäten dazu bei, dass das Risiko einer Gonarthrose im Laufe von 10 Jahren stieg – auch dann nicht, wenn die Teilnehmer Sportarten ausübten, die als belastend für das Kniegelenk gelten.

Im ersten Fall, also bei gering bis mäßig anstrengenden Aktivitäten, war das Risiko sogar um 31% geringer als in der gar nicht aktiven Vergleichsgruppe. Im zweiten Fall, bei den hochaktiven Probanden, war es um 25% erniedrigt. Ausgiebiges Sitzen beeinflusste den Gelenkverschleiß hingegen nicht. Insgesamt hatten nach 10 Jahren 13% der Probanden eine radiologisch nachgewiesene Gonarthrose mit einem Kellgren-Lawrence-Score ≥ 2 entwickelt.

„Die Erkenntnisse legen nahe, dass ältere Erwachsene mit einem hohen Risiko für eine Kniearthrose anstrengende körperliche Aktivitäten auf einem moderaten Niveau sicher durchführen können, um ihren allgemeinen Gesundheitszustand zu verbessern“, schreiben Chang und ihre Kollegen im Fazit der Studie.

Wie die Forscher weiter ermittelten, übte allerdings fast die Hälfte der Probanden (49,7%) über 8 Jahre hinweg keinerlei anstrengende körperliche Aktivitäten aus (0 Stunden pro Woche). Begünstigt wurde diese Inaktivität durch mehrere Faktoren: ein höheres Alter, einen höheren BMI, Knieschmerzen, einen geringeren Bildungsgrad (ohne Hochschulabschluss), einen schwächeren Quadrizeps und Depressionen. 42,5% aller Probanden saßen zudem an mindestens 5 Tagen in der Woche für 4 Stunden oder länger.

Körperliche Schonung tut höchstens in Ausnahmefällen gut

Jeder Anstieg um 3 Punkte auf der WOMAC-Skala sei mit einer um 30% beziehungsweise 40% reduzierten Wahrscheinlichkeit verbunden gewesen, dass die Teilnehmer regelmäßig gering bis mäßig beziehungsweise sehr anstrengenden körperlicher Aktivitäten nachgegangen seien, berichtet das Team um Chang.

Wer bereits Probleme mit den Knien habe, neige offenbar aus Sorge, seinen Gelenken zu schaden, dazu, sich sportlich zurückzuhalten. Ihre Studie habe jedoch gezeigt, dass diese Angst nicht gerechtfertigt sei – selbst dann nicht, wenn eine Person übergewichtig sei.

„Was man aus dieser Publikation in jedem Fall mitnehmen kann, ist die Empfehlung, dass man selbst bei einer schon vorhandenen Arthrose im Knie Sport treiben kann und sollte“, sagt der deutsche Gelenkexperte Schmitt. „Denn auch über einen längeren Zeitraum hinweg scheinen die positiven Effekte die negativen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu überwiegen.“

 
Selbst bei einer schon vorhandenen Arthrose im Knie kann und sollte man Sport treiben. Prof. Dr. Holger Schmitt
 

Die Daten von Chang und ihren Kollegen zeigten, dass auch anstrengende oder das Knie belastende Sportarten mit keiner Zunahme einer Arthrose verbunden seien, körperliche Schonung deshalb in aller Regel nicht anzuraten sei.

Und einen weiteren Punkt möchte Schmitt gerne noch ergänzen: „Eine überwiegend sitzende Tätigkeit wirkt sich zwar allem Anschein nach nicht negativ auf das Arthrose-Risiko aus“, sagt er. Dennoch solle man natürlich nicht vergessen, dass langes Sitzen das Entstehen einer ganzen Reihe von Stoffwechselerkrankungen wie Adipositas oder Diabetes und auch von Herz-Kreislauf-Leiden begünstige.

 

Kommentar

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