Die European Stroke Organisation (ESO) und die World Stroke Organization (WSO) haben 5 ausgewählte Schlaganfall-Studien online vorgestellt. Alle Arbeiten sollten eigentlich bei der Welt-Schlaganfall-Konferenz Mitte Mai in Wien präsentiert werden. Doch das Treffen wurde wegen der SARS-CoV-2-Pandemie auf den 7. bis 9. November 2020 verschoben.

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener
Daher haben Wissenschaftler nun schon vorab über klinische Studien berichtet, etwa zum Nutzen von Fluoxetin, von Thrombektomien bei Schlaganfällen sowie zur Schlaganfall-Prävention bei Risikopatienten. Alle Vorträge sind als Videos online abrufbar [1].
Prof. Dr. Hans-Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und Neuro-Blogger bei Medscape bewertet im Gespräch die Relevanz der Arbeiten.
Fluoxetin: Kein Nutzen nach Schlaganfällen
Schon länger diskutiert die neurologische Community, ob das bekannte Antidepressivum Fluoxetin bei der Regeneration nach Schlaganfällen einen therapeutischen Nutzen bietet. Die Vermutung leitet sich aus Tierexperimenten ab, aus Ergebnissen der FLAME-Studie sowie aus einem Review der Cochrane Collaboration. Fluoxetin könnte, so eine Vermutung, die neuronale Plastizität verbessern und die motorische Erholung beschleunigen. Mehrere aktuelle Studien widerlegen dies.
Prof. Dr. Erik Lundström von der schwedischen Uppsala University stellte Ergebnisse zu „Efficacy of Fluoxetine – a Trial in Stroke“ (EFFECTS) vor. Eingeschlossen wurden 1.500 Schlaganfall-Patienten aus 35 schwedischen Krankenhäusern. Sie erhielten über 6 Monate 1:1 randomisiert 20 mg Fluoxetin pro Tag oder Placebo.
Die Ergebnisse wurden anhand der modifizierte Rankin-Skala (mRS), einer standardisierten Maßzahl zur Beschreibung der Behinderung nach einem Schlaganfall, ausgewertet. Als Odds Ratio geben die Autoren 0,94 (95% CI 0,78 bis 1,13, p=0,42) an. Einen therapeutischen Nutzen konnten sie nicht finden.
Weitere Daten zu Fluoxetin kamen von Prof. Dr. Graeme Hankey von der University of Western Australia und Kollegen. Sie stellten Ergebnisse der Assessment of Fluoxetine in Stroke Recovery (AFFINITY)-Studie vor. Eingeschlossen wurden Schlaganfall-Patienten aus mehreren Stroke Units. Auch sie erhielten randomisiert 6 Monate lang Fluoxetin (n=642) oder Placebo (n=638). Signifikante funktionale Unterschiede – gemessen am mRS – fanden die Forscher ebenfalls nicht (OR 0,94, 95%-Konfidenzintervall: 0,76 bis 1,15, p = 0,53).
„EFFECTS und AFFINITY waren eindeutig negativ“, sagt Diener dazu. „Zeitgleich ist im International Journal of Stroke eine Metaanalyse mit älteren Studien erschienen – auch dieses Ergebnis war negativ.“ Der Experte fragt sich, warum man mehrere randomisierte Studien hat parallel laufen lassen, um zu beweisen, dass Fluoxetin beim Schlaganfall keinen Effekt zeige. „Aber wir können jetzt definitiv sagen, dass der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer die funktionelle Regeneration nach einem Schlaganfall nicht verbessert.“
Endovaskuläre Thrombektomie des Schlaganfalls mit oder ohne Alteplase
Mit der Frage, ob ein Fibrinolytikum zu besseren Ergebnissen bei der endovaskulären Thrombektomie führt, befassten sich Prof. Dr. Jianmin Liu vom Shanghai Hospital in China und Kollegen. Für ihre DIRECT-MT-Studie rekrutierten sie 636 Schlaganfallpatienten mit Verschlüssen der A. carotis interna oder des M1- und M2- Segements der A. carebri media. Alle Teilnehmer wurden 1:1 randomisiert einer Vergleichsgruppe und einer kombinierten Behandlungsgruppe zugeordnet.
Auch hier wurde der primäre Endpunkt anhand der mRS bestimmt (OR: 1,07; 95% KI 0,81 bis 1,40; p = 0,04). Die Nicht-Unterlegenheit der alleinigen Thrombektomie konnte gezeigt werden. Alteplase als Add-on zeigte in der Studie keinen erkennbaren Nutzen.
„Dieses Protokoll geht an der Behandlungsrealität in Deutschland völlig vorbei“, erklärt Diener. „Kommt ein Patient in ein Schlaganfallzentrum, wird nicht diskutiert, ob er eine Thrombolyse oder Thrombektomie erhält, sondern man versucht so schnell wie möglich eine Thrombektomie durchzuführen.“ Sollte aus irgendeinem Grund der Angio-Tisch belegt sein oder sollte es keine Möglichkeit der Thrombektomie geben, würde man sofort mit der Thrombolyse beginnen. „Das kann man keinem Patienten vorenthalten, nur weil er vielleicht später dann verlegt wird.“
Thrombektomie bei akutem Verschluss der Arteria basilaris
Über Ergebnisse der Basilar Artery International Collaboration Study (BASICS) informierte Dr. Wouter Schonewille vom St. Antonius Hospital im niederländischen Nieuwegein. Zusammen mit Kollegen ging er der Frage nach, welchen Nutzen eine Thrombektomie bei akutem Verschluss der Arteria basilaris bringt. 300 Teilnehmer wurden 1:1 in eine Gruppe mit bestmöglicher medizinischer Versorgung (n = 146) oder mit Thrombektomie plus bestmöglicher medizinischer Versorgung (n = 154) randomisiert.
Als primären Endpunkt definierten Forscher einen mRS ≤ 3 nach 90 Tagen. Dieses Ziel wurde unter der Kombinationstherapie häufiger erreicht (OR: 1,18; 95%-KI: 0,92-1,50). Auch ein exzellentes Behandlungsergebnis mit mRS ≤ 2 nach 90 Tagen trat mit größerer Wahrscheinlichkeit ein (OR: 1,17; 95%-KI: 0,87-1,57).
„Die Studie war statistisch nicht gepowert“, fasst Diener zusammen. Aufgrund fehlender Patienten hätten die Wissenschaftler ihre Untersuchung vorzeitig abgebrochen. Der Experte sieht aber noch ein pragmatisches Problem: „Man würde auch in Deutschland Patienten, welche die Einschlusskriterien erfüllen, nicht die Thrombektomie vorenthalten.“
Einfluss der Lipid- und Blutdrucksenkung auf Schlaganfälle
Abschließend berichtete Dr. William Whiteley über Resultate eines britischen Follow-Ups der bekannten ASCOT-Studie (Anglo-Scandinavian Cardiac Outcomes Trial). Whiteley forscht an der University of Edinburgh und der University of Oxford, Großbritannien.
Bekanntlich wurden für ASCOT 19.342 Patienten mit arterieller Hypertonie rekrutiert. Sie waren zum Zeitpunkt der Einschreibung 40 bis 79 Jahre alt und hatten neben Bluthochdruck mindestens 3 weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren.
Von ihnen wurden 10.305 mit einem Gesamtcholesterin von 6,5 mmol/l (253,1 mg/dl) oder weniger randomisiert Amlodipin oder Atenolol zur antihypertensiven Therapie und Atorvastatin zur Lipidsenkung oder Placebo zugewiesen.
Atorvastatin: Nach insgesamt 3,3 Jahren sanken die durchschnittlichen Gesamtcholesterinwerte um 24% und das LDL-Cholesterin um 35%.
Amlodipin oder Atenolol: Nach insgesamt 5,5 Jahren wurden in beiden Gruppen 138/80 mmHg ohne signifikanten Unterschied erreicht.
Whiteley berichtet jetzt über Ergebnisse eines 20-jährigen Follow-Ups der britischen Teilnehmer. Genaue Zahlen nennt er – wahrscheinlich aufgrund einer geplanten Publikation – im Talk aber nicht. Seine Endpunkte waren klinisch nachgewiesene Demenzen oder Schlaganfälle. Hier zeigte Atorvastatin keinen Effekt. Amlodipin habe zu einer „bescheidenen, aber nachhaltigen“ Verringerung der Zahl an Schlaganfällen geführt, ohne Auswirkungen auf Demenzen zu zeigen.
„Es ist eigentlich völlig unsinnig, eine Studie über 3 oder 5 Jahre zu machen und dann Patienten 20 Jahre nachzuverfolgen“, kommentiert Diener. „Hier haben so viele Variablen einen Einfluss auf die Endpunkte, dass man keine validen Aussagen treffen kann.“
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Diesen Artikel so zitieren: Schlaganfall-Trends der ESO/WSO: Fluoxetin, Thrombektomien oder Prävention – wohin die Reise geht - Medscape - 20. Mai 2020.
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