Lehren aus MERS und SARS-Ausbrüchen: Diese psychischen Beschwerden treten noch 7 Monate nach einer Quarantäne auf

Heike Dierbach

Interessenkonflikte

18. Mai 2020

Einschränkungen durch die SARS-CoV-2-Pandemie sind ein Risiko für die seelische Gesundheit – davon gehen die meisten Experten mittlerweile aus. Doch was genau können die Folgen sein? Und wie lassen sich Symptome eventuell verhindern oder zumindest abmildern?

Zu diesen Fragen haben Wissenschaftler des „Kompetenznetzes Public Health zu COVID-19“ einen Rapid Review sowie ein darauf basierendes Kurzdossier (Policy Brief) veröffentlicht. Ihre Empfehlung: Politik und Gesellschaft sollten schon jetzt Maßnahmen ergreifen, um seelische Schäden zu minimieren. Auch die Forschung in diesem Bereich müsse verstärkt werden. Dr. Susanne Röhr von der Universität Leipzig und ihre Kollegen publizierten die Ergebnisse im Journal Psychiatrische Praxis [1].

Psychische Reaktionen: Mehr Wut als Angst

Eingeschlossen wurden 13 quantitative und qualitative Studien, welche in Zusammenhang mit der SARS-Pandemie 2002 bis 2003 und den MERS-CoV-Ausbrüchen 2012 bis 2016 durchgeführt wurden. Damals untersuchten Forscher Personen, die zu Hause oder am Arbeitsplatz Quarantänemaßnahmen ausgesetzt waren. Die Studien stammten aus dem asiatischen Raum, aus Saudi-Arabien und aus Kanada.

Bei Betroffenen zeigten sich „vielfältige psychische Reaktionen“ wie Ängstlichkeit, Sorgen um die eigene Gesundheit oder um die Gesundheit die von Familienmitgliedern. Hinzu kämen den Autoren zufolge Einsamkeit, Schlaflosigkeit, Wut und erhöhter Stress. So berichteten beispielsweise in einer Studie 38,5% der Befragten von Einsamkeit, 28,6% von Wut und 22,4% von Angst.

Bis zu 28,9% zeigten Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), darunter viele Mitarbeiter des Gesundheitswesens. Stärkere seelische Beschwerden waren assoziiert mit der Dauer der Quarantäne, mit Einkommenseinbußen und mit Einschränkungen in der Versorgung, etwa durch knappe Lebensmittel oder Haushaltswaren.

Beschwerden noch lange nach Ende der Quarantäne

Wirklich überrascht sei man von ihren Ergebnissen nicht gewesen, berichtet Röhr gegenüber Medscape : „Die Maßnahmen greifen massiv in den Alltag ein, daher war es zu erwarten, dass sich Effekte zeigen.“

 
Die Maßnahmen greifen massiv in den Alltag ein, daher war es zu erwarten, dass sich Effekte zeigen. Dr. Susanne Röhr
 

Überraschend war aber, dass manche Symptome teilweise auch lange nach dem Ende der Quarantäne anhielten. 7 Monate später berichteten noch 26,2 % der Befragten über relevante psychische Störungen, basierend auf einem Screening mit dem General Health Questionnaire. „Hier müsste man mehr über die genauen Umstände und Gruppen wissen, die betroffen waren“, sagt Röhr. „Wir vermuten, dass es eher Menschen sind, die eine sehr restriktive Quarantäne erlebt haben.“

Der Review zeigt aber auch schützende Faktoren. Klare Informationen und soziale Unterstützung konnten offenbar schon während der Quarantäne die Entwicklung von Beschwerden abmildern. Die Forscher leiten daraus konkrete Handlungsempfehlungen ab. „Die Bevölkerung sollte stärker darüber informiert werden, dass in dieser Zeit psychische Belastungen auftreten können“, sagt Röhr, „und dass das bei den starken Einschnitten in den Alltag, die viele erleben, durchaus normal ist.“

 
Die Bevölkerung sollte stärker darüber informiert werden, dass in dieser Zeit psychische Belastungen auftreten können. Dr. Susanne Röhr
 

Analog zu Ratschlägen über das richtige Händewaschen könne man beispielsweise auf Social Media solche Informationen verbreiten – mit Hinweisen, was man selbst für die psychische Gesundheit tun könne.

Niedrigschwellige Angebote – oder Psychotherapie per Videokonferenz

Denn es müsse jetzt nicht jeder gleich eine Psychotherapie machen, betont Röhr: „Niedrigschwellige Angebote wie Apps, etwa zur Stressreduktion oder gegen leichtere depressive Symptome können tatsächlich schon viel bringen.“ Man solle aber solche Angebote wählen, für deren Wirksamkeit es Nachweise gibt.

Auch ein Bewusstsein und die Akzeptanz, dass sich seelische Auswirkungen unter diesen besonderen Bedingungen nicht immer ganz vermeiden lassen, können helfen: „Deshalb ist Aufklärung besonders wichtig.“

Besonders vulnerable Gruppen sollten aber konkrete Hilfestellungen wie Psychotherapie per Videotelefonie erhalten, fordern die Autoren. Und schließlich müsse die Forschung in diesem Bereich kurzfristig verstärkt werden. Denn die aktuelle Krise sei auch eine Chance, Erkenntnisse zu gewinnen – auf die man dann vielleicht bei der nächsten Pandemie zurückgreifen kann.

 

Kommentar

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