Bei einer Neuropathie sind zunächst die distalen kleinen myelinisierten und unmyelinisierten Nervenfasern betroffen, was frühzeitig meist zu autonomen Funktionsstörungen, zum Verlust des Schmerz- und Temperaturempfindens in den distalen unteren Extremitäten sowie zu Taubheitsgefühlen, zu Schmerzen oder Parästhesien führt [6,9].
Im Laufe der Zeit werden die Sensibilitätsstörungen stärker, und das Vibrationsempfinden, die Propriozeption und das Berührungsempfindungen werden beeinträchtigt. Eine Schwächung der abhängigen Muskulatur setzt bald darauf ein [6]. Bei den meisten Patienten stellen sich etwa 5 Jahre nach Beginn der Symptomatik eine fortschreitende Sensibilitätsstörung und eine muskuläre Schwäche an Oberschenkel, Rumpf und den oberen Extremitäten ein [6,9].
Zu den Symptomen gehören auch eine erektile Dysfunktion und eine orthostatische Hypotonie, trockene Augen und gastrointestinale Beschwerden wie Verstopfung und/oder Durchfall [6,9]. Aufgrund der fokalen Ablagerungen des ATTRv-Amyloids können Patienten ein bilaterales Karpaltunnelsyndrom aufweisen, das sich auch nach einer chirurgischen Intervention nicht bessert [6,9].
Die ATTRv-Amyloidose verläuft häufig tödlich. Grund dafür ist die schwere autonome Neuropathie, welche durch Störungen der Magen-Darm-Funktion und einen schlechten Ernährungszustand zu Kachexie und Entkräftung führt [11]. Eine weitere häufige Todesursache ist Herzversagen [5].
Der Krankheitsverlauf kann mit verschiedenen Scoring-Systemen überwacht werden, darunter der Neuropathie-Defizit-Score (NDS), der NDS für die unteren Extremitäten, der Polyneuropathy-Disability-Score und das Staging-System für die familiäre amyloide Polyneuropathie [10,11].
Häufig Fehldiagnosen
Differenzialdiagnostisch kommen bei Patienten mit ähnlicher Symptomatik eine chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP), eine Alkohol-assoziierte und eine diabetische Polyneuropathie, ein Vitamin-B12-Mangel, eine lumbale Spinalkanalstenose, eine Leichtketten-Amyloidose und andere erbliche Neuropathien wie die erbliche AGel-Amyloidose und der Apolipoprotein-A-I-Amyloidose infrage [2,3].
Fehldiagnosen sind häufig. 15 bis 37% der Patienten mit ATTRv-Amyloidose mit Polyneuropathie werden aufgrund eines erhöhten Liquoreiweißes zunächst fälschlich als CIDP diagnostiziert [10]. Wenn ein CIDP-Patient auf die Immuntherapie nicht anspricht, sollte ein Test auf eine ATTRv-Amyloidose mit Polyneuropathie in Betracht gezogen werden [9]. Und wenn ein beidseitiges Karpaltunnelsyndrom vorliegt, spricht dies eher für die ATTRv-Amyloidose. Besonders dann. wenn die Retinakulumspaltung keine Besserung bringt [6].
Bei den Laboranalysen sollte mithilfe der Serumelektrophorese und der Immunofixierung eine Immunglobulin-Leichtketten-Amyloidose ausgeschlossen werden. Über die Urinanalyse wird nach einer möglichen Proteinurie gefahndet, und über die Bestimmung von Laborwerten, einschließlich HbA1c und Vitamin B12, werden metabolische Ursachen der Polyneuropathie ausgeschlossen [2].
EMG und NLG gehören zu den weiteren apparativen Untersuchungen. Durch die Pulsnahme bei vertiefter Atmung, die Testung der sudomotorischen Funktionen und die Kipptischuntersuchung können autonome Funktionsstörung verifiziert werden [6,10].
Zur Diagnose gehören sowohl eine DNA-Analyse zur Identifizierung einer TTR-Genmutation als auch eine Gewebebiopsie zum Nachweis von ATTRv. Geeignete bioptische Gewebe sind der N. suralis, das abdominale Fettgewebe, die Speicheldrüsen sowie Herz-, Magen-, Rektal- oder Nierengewebe [6].
Zur kardialen Bewertung werden der BNP-Wert (brain natriuretic peptide) und das Troponin bestimmt. Zudem sollte eine transthorakale Echokardiografie, ein EKG, eine Szintigrafie und ein Herz-MRT durchgeführt werden. Das MRT zeigt aufgrund infiltrierender Amyloid-Ablagerungen typischerweise ein Late Enhancement und kann auch atriale oder ventrikuläre Amyloid-Ablagerungen offenlegen [2,6,11].
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Fall: Ein 40-jähriger Patient mit Neuropathie und gastrointestinalen Beschwerden. Wie hängt das alles zusammen? - Medscape - 18. Mai 2020.
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