Nur rund jedes 2. Baby bekommt die ersten 4 Monate nur Muttermilch – wie Hebammen und Ärzte die Quote steigern könnten

Antje Sieb

Interessenkonflikte

15. Mai 2020

Fast 56% der befragten Mütter stillen ihr Baby 4 Monate lang ausschließlich, 82% stillen ihre Kinder in diesem Alter zumindest noch teilweise. Das sind Ergebnisse der kürzlich veröffentlichten deutschen Stillstudie SuSe II [1].

Die Ernährungswissenschaftlerin Prof. Dr. Mathilde Kersting vom Universitätsklinikum Bochum und ihre Mitarbeiter haben insgesamt 966 Mütter nach der Entbindung an 109 Geburtskliniken deutschlandweit befragt. Eine vergleichbare Studie, SuSe I, war bereits vor etwa 20 Jahren durchgeführt worden.  

Im direkten Vergleich stellten die Wissenschaftler fest: Die Zahl der Mütter, die ihre Kinder 4 Monate lang ausschließlich stillen, hat in den letzten 20 Jahren um gut 20% zugenommen. Die Studie ist allerdings nicht repräsentativ, d.h. die Ergebnisse lassen sich nicht auf alle deutschen Mütter übertragen.

Die Leipziger Kinderärztin Dr. Skadi Springer, Mitglied der Nationalen Stillkommission, freut sich trotzdem über die Zahlen: „Den Trend der 20 Jahre kann man gut ablesen. Und erstmal ist es gut, dass es eine Steigerung der Stillfrequenzen gibt.“

Auch die Zahl der Frauen, die das Stillen gar nicht erst versucht haben, ist gesunken: In der jetzt veröffentlichten Studie waren es nur 3,4% der Mütter. Vor 20 Jahren hatten das noch fast 12% der befragten Frauen angegeben. Dass Frauen aus medizinischen Gründen gar nicht in der Lage sind zu stillen, sei selten, erklärt die Leipziger Kinderärztin Springer: „Das sind höchstens ein bis drei Prozent, die aus medizinischen Gründen nicht stillen können.“

 
Das sind höchstens ein bis drei Prozent, die aus medizinischen Gründen nicht stillen können. Dr. Skadi Springer
 

Studie nicht übertragbar

Trotzdem dürfte die Zahl der stillenden Mütter in Deutschland insgesamt geringer sein, als die Zahlen der Studie vermuten lassen. Denn die teilnehmenden Mütter hatten im Durchschnitt einen eher hohen Bildungsstand. Und der Bildungsstand der Mutter ist beim Stillen häufig ein entscheidender Faktor, erklärt Springer: „Je höher der Bildungsstand ist, desto eher suchen die Mütter sich Information oder Hilfe. Die anderen Mütter sagen eher: Das Kind wird auch mit der Flasche groß. Dann ist man ganz schnell beim Abstillen.“

Auch in der SuSe II-Studie war ein niedriger Bildungsabschluss der Mutter ein Faktor, der die Stilldauer negativ beeinflusste.

Für manche Mütter müsse man daher bei der Stillförderung noch deutlich mehr tun, fordert Springer. „Die Zielgruppen, die Unterstützung brauchen, sind z.B. bildungsferne Schichten, sind Migrantinnen. Wenn sie stillen wollen, ist es wichtig, dass man sie entsprechend unterstützt.“ 

Zu frühes Zufüttern

Dabei beginnt die Stillförderung schon während der Schwangerschaft, z.B. beim Frauenarzt. Dort müsse Überzeugungsarbeit für das Stillen geleistet werden, sagen die Studienautoren. Direkt nach der Entbindung wird dann schneller Hautkontakt empfohlen, sowie ein erstes Anlegen des Babys innerhalb von einer Stunde nach der Geburt. Nach einer vaginalen Entbindung machten das fast 72% der an der Studie teilnehmenden Kliniken möglich, nach Kaiserschnitt immerhin noch 54%.

In den allermeisten Kliniken waren die Kinder Tag und Nacht bei den Müttern im Zimmer und gestillt wurde häufig nach Bedarf. Allerdings kamen Stillhilfsmittel wie Stillhütchen nach Einschätzung der Studienautoren zu häufig zum Einsatz, und es wurde auch zu häufig schon sehr früh zugefüttert.

Etwa ein Viertel der Stillkinder bekam in den ersten Lebenstagen zusätzliche Flüssigkeit, meist Säuglingsmilch, aber auch Wasser oder Tee. Die Gabe zusätzlicher Flüssigkeiten in den ersten 2 Lebenswochen erwies sich als einer der Faktoren, der in der Studie die Stilldauer negativ beeinflusste.

Die Entscheidung über Zufütterung bei gestillten Säuglingen in den ersten Lebenstagen solle in ärztlicher Hand liegen, fordern daher die Autoren, und auch die Gründe für das beobachtete frühe Zufüttern müsse man näher untersuchen.

Wenig Zeit in der Klinik

In der Studie verbrachten die Mütter im Durchschnitt dreieinhalb Tage in der Entbindungsklinik – das ist vergleichsweise lang, sagt die Kinderärztin Springer. Die Bedeutung der Krankenhäuser für das Stillen werde kleiner: „Im Jahr 2019/2020 haben wir Verweildauern bei einer vaginalen Entbindung von ein bis anderthalb Tagen. Da können die Entbindungskliniken das gar nicht mehr leisten, den Stillbeginn zu begleiten. Das wird sich in die außerklinische Betreuung verlagern. Dann brauche ich die Hebamme.“

Denn in vielen Fällen träten die typischen Stillprobleme dann zuhause auf. „Wenn man in der Klinik befragt, sind das über 90 Prozent der Frauen, die stillen wollen. Nach 14 Tagen oder 4 Wochen heißt es: Ich wollte ja, aber...“ Springer kann typische Probleme aufzählen: zu wenig Milch, schmerzende Brustwarzen, Brustentzündung, Schwierigkeiten beim Anlegen. „Die ganze Problematik im Frühwochenbett schlägt richtig zu, wenn da keine Hebamme ist, die über diese Anfangsschwierigkeiten hinweghilft, gerade bei Frauen, die das erste Kind haben.“

 
Die ganze Problematik im Frühwochenbett schlägt richtig zu, wenn da keine Hebamme ist, die über diese Anfangsschwierigkeiten hinweghilft. Dr. Skadi Springer
 

Typische Stillprobleme häufig

Und Stillprobleme sind keine Seltenheit: Jede zweite Mutter in der SuSe II-Studie hatte solche Schwierigkeiten. Das war auch vor 20 Jahren schon so, schreiben die Studienautoren: Stillprobleme und auch die Gründe für ein frühes Abstillen sind die gleichen geblieben. Zu wenig Milch oder Probleme mit Brust oder Brustwarzen waren und sind häufige Abstillgründe – dabei sind das Stillprobleme, „die bei guter Betreuung in den ersten Wochen nach der Geburt in der Regel reduziert werden können bzw. vermeidbar sind“, urteilen die Studienautoren. Es sei daher enorm wichtig, dass die Frauen aus der Klinik Tipps und Adressen mitbekommen, wohin sie sich wenden können.

Und auch die Kinderärzte könnten ihren Teil dazu tun, Stillprobleme zu erkennen, meint Springer: „Der Kinderarzt kommt ins Spiel nach der Vorsorgeuntersuchung U3, da habe ich alle 4 Wochen die Chance, die Mutter zu fragen: Wie klappt‘s denn mit dem Stillen? Wenn ich als Kinderarzt nicht danach frage, dann habe ich auch keinen Einfluss auf das Stillgeschehen.“ 

 
Wenn ich als Kinderarzt nicht danach frage, dann habe ich auch keinen Einfluss auf das Stillgeschehen. Dr. Skadi Springer
 

In Zusammenarbeit z.B. mit Hebammen könne man Probleme so aufdecken und weiterhelfen. Und vielleicht dazu beitragen, dass sich das ausschließliche Stillen in den ersten Lebensmonaten weiter durchsetzt.

Erst ausschließlich, dann teilstillen

„Das ausschließliche Stillen, das ist ja das Wichtige, das wir fördern wollen, und das möglichst für 6 Monate. Das ist erstmal die Empfehlung weltweit. Und unter dem Schutz der Muttermilch dann Einführung von adäquater Beikost“, sagt Springer.

Denn auch wenn das Kind schon erste Mahlzeiten am Tisch isst, kann und sollte ruhig weiter gestillt werden – mindestens bis zum Alter von einem Jahr, sagt Springer. In der SuSe II-Studie wurden zu diesem Zeitpunkt noch gut 40% der Kinder gestillt, zusätzlich zur Beikost. „Das Stillen ist die Basis deshalb, weil es immunologische Schutzfaktoren gibt“, erklärt Kinderärztin Springer.

 

Kommentar

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