SARS-CoV-2-Nachweis im Sperma von Männern mit bzw. nach COVID-19: Könnte der Erreger sexuell übertragbar sein?

Becky McCall

Interessenkonflikte

12. Mai 2020

Das Coronavirus SARS-CoV-2 lässt im Sperma von Männern nachweisen, die akut an COVID-19 erkrankt sind, aber auch bei denjenigen, die die Krankheit bereits überstanden haben. Dies geht aus einer kleinen Studie hervor, die kürzlich in JAMA Network Open veröffentlicht worden ist [1].

Mehrere Experten weisen jedoch darauf hin, dass die Untersucher nur auf virale Komponenten getestet haben und dass die Ergebnisse nicht belegen, ob das Sperma auch infektiös ist. „Mir sind keinerlei Berichte über eine sexuell übertragene Infektion bekannt, sodass das Risiko hier, selbst wenn die Studie in größerem Umfang verifiziert werden sollte, sehr gering erscheint“, kommentiert Prof. Dr. Ian Jones, Virologe an der britischen Universität Reading, die Ergebnisse. 

 
Mir sind keinerlei Berichte über eine sexuell übertragene Infektion bekannt, sodass das Risiko hier … sehr gering erscheint. Prof. Dr. Ian Jones
 

Andere Experten merken an, dass der veröffentlichte Artikel nur wenige Angaben zur Methodik und den Zusammenhängen enthält. „Ich sage nicht, dass die Autoren falsch liegen, aber sie scheinen sich um die Angabe von Details zu drücken“, beklagt Prof. Dr. Maureen Ferran, Biologin am Rochester Institute of Technology in New York. Zwar hätten die Autoren den Virusnachweis mithilfe der RT-PCR aus Nasenabstrichen geführt (um die Erkrankten festzustellen), doch wie der Virusnachweis im Sperma erfolgt sei, werde nicht verraten. Der Leser könne nur mutmaßen, dass die RT-PCR auch bei der Testung der Spermaproben verwendet wurde.

Ein Sprecher von JAMA bestätigt auf Nachfrage, dass die Autoren zum Nachweis der viralen RNA im Sperma ebenfalls die RT-PCR eingesetzt haben. Die Autoren selbst hatten auf mehrfache E-Mail-Anfragen mit der Bitte um einen Kommentar nicht geantwortet.

„Die Arbeit durchlief auch das Peer Review, aber jeder versucht gerade, alles so schnell wie möglich herauszubekommen, worunter manches leidet“, sagt Ferran. Sie bekundet auch ihre Verwunderung darüber, dass die Autoren andere Studien mit gegenteiligen Ergebnissen unerwähnt gelassen haben.

Virennachweis bei 6 von 38 Spermaproben

In der aktuellen Studie wurde SARS-CoV-2 im Sperma von 6 unter 38 getesteten Patienten nachgewiesen (15,8%). Bei allen Patienten war eine COVID-19-Erkrankung bestätigt.

Der Befund der Studie – sofern er sich bestätigt – könnte Folgen für die Prävention und die Kontrolle von COVID-19 haben, stellen die Autoren der Studie unter Leitung von Dr. Diangeng Li vom Pekinger Krankenhaus „General Hospital of the People’s Liberation Army“ fest.

„Aufgrund der teildurchlässigen Blut-Hoden-(Samenleiter- und Nebenhoden-)Schranke könnte sich SARS-CoV-2 im männlichen Reproduktionstrakt ausbreiten, vor allem wenn sich gleichzeitig eine systemische Entzündung lokal manifestiert“, schreiben die Autoren.

„Selbst wenn sich das Virus im männlichen Reproduktionstrakt nicht vermehrt, so könnte es dort aufgrund der besonderen immunologischen Situation in den Hoden überdauern“, so Li und Kollegen.

Wenn weitere Untersuchungen ergeben sollten, dass SARS-CoV-2 sexuell übertragbar ist, könnte dies auch wichtige Folgen für die Prävention einer Übertragung haben, stellen sie fest. „Sexuelle Enthaltsamkeit oder der Gebrauch von Kondomen könnten für die Betroffenen dann ratsam sein.“

Infektion über sexuelle Kontakte fraglich

In seinem Kommentar zur Studie räumt Prof. Dr. Allan Pacey, Androloge an der Universität im britischen Sheffield, ein, dass die Möglichkeit einer Infektion über sexuelle Kontakte besteht, wenngleich eine solche bislang nicht bestätigt wurde.

Gegenüber Medscape sagte er, dass die Ergebnisse zwar robust erschienen, aber im Widerspruch zu einer kürzlich in Fertility and Sterility veröffentlichten Studie stünden. Darin habe sich bei einer ähnlichen Anzahl von Männern (n=34) kein Hinweis auf das Virus im Sperma finden lassen, woraus sich offenbar weiterer Forschungsbedarf ableite. „Aus meiner eigenen Erfahrung … kann ich bestätigen, dass es eine Reihe von methodischen Herausforderungen zu überwinden gilt, will man die Quelle einer viralen oder bakteriellen Infektion im männlichen Reproduktionstrakt dingfest machen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die nachgewiesene DNA/RNA auch ausreichend Erreger repräsentiert, um eine Infektion über sexuelle Kontakte zu übertragen.“Er fügt jedoch hinzu: „Wir sollten nicht allzu überrascht sein, wenn wir den COVID-19-Erreger im Sperma einiger Männer nachweisen. Das ist bei zahlreichen anderen Viren wie Ebola oder Zika bereits ebenfalls gelungen.“

 
Es stellt sich die Frage, ob die nachgewiesene DNA/RNA auch ausreichend Erreger repräsentiert, um eine Infektion über sexuelle Kontakte zu übertragen. Prof. Dr. Allan Pacey
 

Dr. Walter D. Cardona Maya, Mikrobiologe und Spermatologe der Universität von Antioquia im kolumbianischen Medellín, kommentiert: „Eine Infektion mit SARS-CoV-2 ähnelt anderen Virusinfektionen, die durch Sperma und somit auch beim Geschlechtsverkehr übertragen werden können.“ Er ergänzte, dass 2003 beim SARS-Erreger – einem verwandten Coronavirus – ganz ähnliche Ergebnisse gemeldet wurden. 

Auf der Basis dieser Studie und anderer Artikel „zeigen die Evidenzen insgesamt, dass es im Hinblick auf asymptomatische COVID-19-Patienten sehr wichtig ist, diesen alternativen Infektionsweg in Betracht zu ziehen. Die Möglichkeit einer Übertragung des Virus bei Paaren mit denkbaren Auswirkungen auf Fruchtbarkeit und Kindsentwicklung sollte geprüft werden.“ Cardona Maya schrieb kürzlich einen Kommentar mit dem Titel „SARS-CoV-2 and the Testis: Similarity with Other Viruses and Routes of Infection“, in dem diese Frage ausführlicher diskutiert wird.

Die Möglichkeit einer Übertragung des Virus bei Paaren mit denkbaren Auswirkungen auf Fruchtbarkeit und Kindsentwicklung sollte geprüft werden. Dr. Walter D. Cardona Maya

Viren im Sperma

Es ist nicht ungewöhnlich, Viren im Sperma zu finden, und es könnte häufiger vorkommen als bisher angenommen, stellen Li und sein Team in der neuen Publikation fest. Bis heute wurden 27 Viren im Rahmen einer Virämie im Sperma nachgewiesen. „Man sollte nicht denken, dass klassischerweise nicht sexuell übertragbare Viren in Genitalsekreten überhaupt nicht auftauchen würden“, schreiben sie.

Die Untersucher begannen mit der Beobachtungsstudie, nachdem sie erkannt hatten, dass über SARS-CoV-2 im Sperma nur wenig bekannt war. In Stuhl-, Magen-Darm-, Speichel- und Urinproben war das Virus dagegen schon nachgewiesen worden.

Um diese Forschungslücke zu schließen, wurden Männer mit serologisch bestätigter COVID-19-Erkrankung, die sich im chinesischen Shangqiu Municipal Hospital in Behandlung befanden, gebeten, eine Spermaprobe für einen SARS-CoV-2-Test zur Verfügung zu stellen. Von den 50 Patienten stellten 38 eine brauchbare Probe zur Verfügung.

Die Autoren fanden die SARS-CoV-2-Virus-RNA sowohl bei Patienten mit abklingender Erkrankung als auch bei Patienten mit akuter Infektion:

  • 23 der Patienten, die eine Spermaprobe abgegeben haben, waren bereits klinisch wieder gesund. Bei 2 dieser Patienten wurde die Spermaprobe positiv auf SARS-CoV-2 getestet (8,7%).

  • Von den 15 akut erkrankten Teilnehmern waren bei 4 die Proben positiv für SARS-CoV-2 (26,7%).

„Es gab keinen signifikanten Unterschied zwischen negativen und positiven Testergebnissen hinsichtlich Alter, urogenitaler Vorgeschichte, Tagen seit Ausbruch der Erkrankung, Tagen seit der stationären Aufnahme oder Tagen seit der klinischen Genesung“, so die Autoren weiter.

Die Vermeidung des Kontakts mit dem Speichel und dem Blut eines Patienten sei möglicherweise nicht ausreichend, da die Tatsache, dass SARS-CoV-2 im Sperma eines genesenen Patienten überleben könne, darauf hindeute, dass das Virus dadurch auch übertragbar sei.

Widersprüchliche Studienresultate unterstreichen weiteren Forschungsbedarf

Mehrere Forschungsgruppen haben festgestellt, dass die Hoden eine hohe Expression des ACE2-Rezeptors aufweisen (Angiotensin-konvertierendes Enzym 2), über den sich das Virus den Zutritt in die Zelle verschafft. Nach einer Studie, die am 17. April ohne vorheriges Peer Review auf dem Preprint-Server medRxiv hochgeladen wurde, ist die Clearance des Virus bei Männern verzögert.

Die Autoren unter der Leitung von Dr. Aditi Shastr vom Albert Einstein College of Medicine in New York, schrieben dazu: „Die hohe ACE2-Expression in den Hoden könnte bedeuten, dass die Virusreservoire im Hoden eine Rolle für die Persistenz des Virus bei Männern spielen. Dem sollte weiter nachgegangen werden.“

 
Die hohe ACE2-Expression in den Hoden könnte bedeuten, dass die Virusreservoire im Hoden eine Rolle für die Persistenz des Virus bei Männern spielen. Dr. Aditi Shastr
 

Eine Beobachtungsstudie an 12 Patienten in der Genesungsphase, von denen keiner eine schwere COVID-19-Pneumonie gehabt hatte, kam zu einem anderen Resultat: Hier waren die Spermaproben aller Patienten negativ auf die SARS-Cov-2-RNA getestet worden. Im Falle eines 67-jährigen Patienten, der an COVID-19 gestorben war, konnte auch bei einer Hodenbiopsie keine Virus-RNA nachgewiesen werden. All diese negativen Befunde müssen jedoch – wie die aktuelle Studie – durch weitere Untersuchungen bestätigt werden. 

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medcsape.com  übersetzt und adaptiert.

 

Kommentar

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