Die Lombardei, und insbesondere die Provinz Bergamo, ist das am stärksten von COVID-19 betroffene Gebiet Italiens. In einer Korrespondenz im New England Journal of Medicine schildern Dr. Stefano Fagiuoli und Dr. Ferdinando LucaLorini vom Klinikum ASST-Papa Giovanni XXIII in Bergamo und Dr. Giuseppe Remuzzi vom Istituto die Ricerche Farmacologiche Mario Negri IRCCS in Bergamo ihre Erfahrungen mit der Pandemie [1].
Bis zum 26. April 2020 gab es in der Provinz 11.113 bestätigte Fälle und 2.932 Todesfälle durch COVID-19. Verzögerte Diagnosen bei den wenigen mit COVID-19 infizierten Patienten, die in das kleine Krankenhaus in Alzano Lombardo eingeliefert wurden, zögerlich ergriffene Maßnahmen zum Schutz anderer Patienten, des Klinikpersonals und der Besucher sowie verspätet umgesetzte Eindämmungsmaßnahmen in den Dörfern, aus denen die Patienten kamen, ermöglichten eine rasche Ausbreitung des Virus bis in die Stadt Bergamo.
Auch zahlreiche Ärzte starben. Dies hätte vielleicht verhindert werden können, wenn alle frühzeitiger gewarnt worden wären – und es ausreichend Schutzausrüstung gegeben hätte.
Die Provinz wurde erst am 8. März abgeriegelt – das war 2 Wochen nach den ersten dokumentierten Fällen im Krankenhaus von Alzano am 23. Februar. Bis dahin hatte das Virus bereits Tausende von Menschen infiziert. Viele dieser Patienten suchten die Notaufnahme (ED) des städtischen Klinikums Papa Giovanni XXIII in Bergamo auf. Es ist eine große Zuweisungsklinik für schwerkranke Patienten aus der ganzen Provinz.
Ärzte aus anderen Fachbereichen wurden in COVID-19-Einheiten versetzt
Die an COVID-19 erkrankten Patienten überforderten rasch die Kapazität des Krankenhauses und erzwangen eine umfassende Reorganisation unter der Leitung eines Krisenstabs. Die Einheit für Infektionskrankheiten wurde neu konfiguriert um nur Patienten mit COVID-19 zu behandeln. Andere Patienten wurden im Krankenhaus auf andere Stationen verteilt oder – wenn möglich – entlassen. Täglich wurden Dutzende von Patienten eingewiesen und die Zahl der täglichen Einweisungen nahm kontinuierlich zu.
Um Patienten, die an COVID-19 erkrankt waren, von anderen Patienten zu trennen, war es notwendig, spezielle COVID-19-Einheiten sowohl in der Erwachsenen- als auch in der pädiatrischen Abteilung für Innere Medizin und Chirurgie, auf Intensivstationen (ICUs), im Intensivpflegebereich und in der Notaufnahme zu schaffen.
Anästhesisten und Intensivmediziner sagten die meisten elektiven Operationen ab, einschließlich fast aller Transplantationen. Nur bei einem schwerkranken Patienten, der auf der Warteliste stand, wurde eine Lungentransplantation geführt, als eine geeignete Spende verfügbar war. 2 der 28 Operationssäle blieben ununterbrochen für dringende Allgemein- und Herzoperationen geöffnet und das Krankenhaus bot weiterhin ambulante Dienste an.
Zu Beginn des Ausbruchs wurden 25% der angestellten Ärzte (unabhängig von ihrem Fachgebiet) in die COVID-19-Einheiten versetzt, eine Zahl, die in den folgenden Wochen nach und nach auf 70% stieg. Das gesamte Krankenhauspersonal erhielt eine Schulung im COVID-19-Management. Mehr als 1.500 Personen wurden in einer Woche geschult.
Am 28. März belegten an COVID-19 erkrankte Patienten 498 der 779 Betten der Klinik. Von diesen Patienten lagen 92 auf Intensivstationen und 12 im subintensiven Intensivpflegebereich.
Der exponentielle Anstieg der Erkrankungsfälle während der ersten 2 Wochen zwang die Intensivstationen zur Reorganisation, zur Erhöhung der Bettenzahl für COVID-19-Patienten und zur Bildung gemischter Ärzteteams. Bis zum 9. März waren 49 an COVID-19 erkrankte Intensivpatienten auf eine mechanische Beatmung angewiesen. 14 Beatmungsgeräte wurden dazu aus den Operationssälen geholt, 29 zusätzliche Geräte spendete die regionale lombardische Gesundheitsbehörde.
Die schwere Entscheidung, welche Patienten an Beatmungsgeräte angeschlossen werden sollten, wurden anhand eines kumulativen Patienten-Scores getroffen, der die Dringlichkeit und die Chance des Patienten, von der Behandlung zu profitieren, berücksichtigte.
Von den ersten 510 Patienten mit bestätigter COVID-19-Infektion, die aufgenommen wurden, starben 30%. Nach wochenlanger Arbeit von Ärzten und Pflegepersonal ist die Gesamtmortalität im Krankenhaus von durchschnittlich 17 bis 18 (und einem Spitzenwert von 19) Todesfällen pro Tag auf 2 Todesfälle pro Tag gesunken. Das entspricht in etwa dem vor COVID-19 verzeichneten Durchschnitt von 2,5 Todesfällen pro Tag.
2 Lehren aus den Erfahrungen in Bergamo
Aus Sicht der Ärzte können aus den Erfahrungen in Bergamo 2 wichtige Lehren gezogen werden: Erstens hätten alle Mitarbeiter des Gesundheitswesens in Krankenhäusern, Pflegeheimen und in der Gemeinde auf COVID-19 getestet werden müssen. Diejenigen, deren Tests positiv ausfielen, hätten isoliert werden müssen, auch wenn sie keine Symptome zeigen.
Der Notwendigkeit infizierte Menschen zu identifizieren und zu isolieren wurde anfangs zu wenig Aufmerksamkeit zuteil, weil man auf kranke Patienten fokussiert war.
Aus diesem Grund und weil die vollständige persönliche Schutzausrüstung nicht sofort verfügbar war – insbesondere für Hausärzte – starben 19 Ärzte in der Provinz Bergamo (alle zwischen 62 und 74 Jahre alt). Sie alle waren an der Betreuung von Patienten mit COVID-19 beteiligt, wobei keiner dieser Ärzte in der Klinik Papa Giovanni XXIII gearbeitet hatte.
Die zweite, noch wichtigere Lektion aber ist, dass zur Eindämmung der Epidemie eine schnelle und umgehende Abriegelung der Region hätte durchgeführt werden müssen. Dieser Schritt hätte die Zahl der COVID-19-Fälle verringern, eine Überlastung der Krankenhäuser verhindern und die Zahl der Todesfälle in der Provinz möglicherweise verringern können.
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Diesen Artikel so zitieren: COVID-19: Lehren aus Bergamo – italienische Ärzte ziehen Bilanz, was so viele Patienten und Kollegen das Leben kostete - Medscape - 12. Mai 2020.
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