Autopsie-Daten, an was COVID-19-Patienten tatsächlich sterben, zeigen: Eine antikoagulative Therapie könnte hilfreich sein

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

8. Mai 2020

Über pathologische Veränderungen, die bei Patienten mit COVID-19 zum Tod führen, ist wenig bekannt. Das lag auch an mittlerweile revidierten Empfehlungen des Robert Koch-Instituts. „Eine innere Leichenschau, Autopsien oder andere aerosolproduzierende Maßnahmen sollten vermieden werden“, hieß es noch Anfang April. „Sind diese notwendig, sollten diese auf ein Minimum beschränkt bleiben.“

Wie wichtig jedoch Autopsien sind, um COVID-19 besser zu verstehen, zeigt ein Report von PD Dr. Dominic Wichmann, Prof. Dr. Jan-Peter Sperhake und Kollegen vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Sie haben die ersten 12 COVID-19-positiven Todesfälle untersucht und fanden eine überraschend hohe Inzidenz thromboembolischer Ereignisse (58%). Dies deute auf „eine wichtige Rolle der COVID-19-induzierten Koagulopathie“ hin, schreiben sie. Ihre Ergebnisse wurden in den Annals of Internal Medicine veröffentlicht [1].

Thromboembolien bei 58% aller Fälle

Insgesamt wurden 12 Tote mit positiven SARS-CoV-Nachweis untersucht. Sie waren im Median 73 Jahre alt bei einer Spanne von 52 bis 87 Jahren. 75% waren Männer. Der Tod trat meist im Krankenhaus (n = 10), seltener im ambulanten Sektor (n = 2) ein. Die Koronare Herzkrankheit und Lungenerkrankungen (Asthma bzw. eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung) zählten mit 50% beziehungsweise 25% zu den häufigsten Komorbiditäten.

Bei 7 von 12 Leichen (58%) fanden Wichmann und die Kollegen eine tiefe Venenthrombose, ohne dass es vor dem Tod einen Verdacht darauf gegeben hätte. Und bei 4 Patienten (33%) war eine Lungenembolie die direkte Todesursache.

Die postmortale Computertomographie zeigte generell retikuläre Infiltrate in der Lunge. Bei 8 Patienten konnte eine histomorphologisch diffuse alveoläre Schädigung festgestellt wurde. „Die makroskopischen Befunde unserer Autopsie-Serien – meist mit ziemlich schweren, konsolidierten, brüchigen, im Wesentlichen luftfreien Lungen – waren beeindruckend und erklären die Schwierigkeiten bei der Beatmung einiger Patienten“, heißt es im Artikel.

Bei allen Patienten fanden die Autoren RNA von SARS-CoV-2 in der Lunge in hohen Konzentrationen. Und bei 5 Patienten waren hohe Virentiter in der Leber, der Niere oder im Herz nachweisbar.

Hypothesen zur Entstehung venöser Thromboembolien

Dass virale Infekte zu venösen Thromboembolien führen, kannte man bereits von HIV, vom Dengue- und vom Ebola-Virus. Bei Coronaviren seien vermutlich mehrere Mechanismen von Bedeutung, wie die Autoren schreiben.

Eine endotheliale Dysfunktion führt zu höheren Konzentrationen des von Willebrand-Faktors. Auch Toll-like-Rezeptoren und der Gewebefaktor werden aktiviert. Eine direkte Aktivierung der Gerinnungskaskade durch einen Zytokinsturm scheint ebenfalls denkbar zu sein.

Hinzu kommt: Bei COVID-19 entwickeln sich teilweise schwere Hypoxämien. Die Thrombusbildung unter hypoxischen Bedingungen kennt man sowohl aus Tiermodellen als auch aus klinischen Daten. Sie wird durch verschiedene induzierbare Transkriptionsfaktoren getriggert.

Schließlich können indirekte Ursachen, wie die immunvermittelte Schädigung durch Antiphospholipid-Antikörper zur Blutgerinnung beitragen.

Methodische Einschränkungen

Wichmann, Sperhake und ihre Konautoren nennen mehrere Limitationen ihrer prospektiven Kohortenstudie:

  • Die Stichprobe war klein, was möglicherweise zu einer Überbewertung der Rate an Lungenembolie-Rate führen könnte.

  • Obwohl die viralen Titer in Abstrichen, die bis zu 7 Tage nach dem Tod in Längsrichtung genommen wurden, ähnlich blieben, fehlen Daten, wie postmortale Prozesse die Dynamik von SARS-CoV-2 in verschiedenen Geweben und Körperflüssigkeiten beeinflussen.

  • Der quantitative PCR-Assay unterscheidet nicht zwischen genomischer und subgenomischer RNA, also Bruchstücken. Besser wäre, nachzuweisen, ob die Viren noch replikationsfähig sind.

Antikoagulation als bei Strategie bei COVID-19?

„Zusammenfassend fanden wir eine hohe Inzidenz thromboembolischer Ereignisse bei Patienten mit COVID-19“, schreiben die Forscher. Ihr Fazit für die Praxis: „Wenn bei einem Patienten mit COVID-19 eine hämodynamische Verschlechterung eintritt, sollte immer der Verdacht auf eine Lungenembolie bestehen.“

Es erscheine plausibel, bei einem erhöhten D-Dimer-Spiegel als Marker für Thrombosen eine antikoagulative Therapie zu beginnen, und Fachgesellschaften hätten bereits entsprechende Empfehlungen formuliert. Die Autoren um Dr. Behnood Bikdeli vom Irving Medical Center in New York gehen sogar noch einen Schritt weiter. Bei COVID-19-Patienten sollten „möglicherweise prophylaktisch Blutverdünner verabreicht werden“, schreiben sie in ihrem Artikel.

Wichmanns Team hält jedenfalls weitere prospektive Studien für dringend erforderlich, um die Ergebnisse zu verifizieren.

Antikoagulation bei COVID-19: Eigentlich bereits Basiswissen …

„Die Ergebnisse reihen sich gut ein in eine Reihe von klinischen und autoptischen Beobachtungen aus Italien, den Niederlanden und der Schweiz, welche über eine unerwartete Häufung von thrombotischen und thromboembolischen Komplikationen bei kritisch kranken COVID-19-Patienten berichten“, bestätigt Prof. Dr. Alexandar Tzankov. Er ist Leiter des Fachbereichs Histopathologie und Autopsie am Institut für Medizinische Genetik und Pathologie am Universitätsspital Basel, Schweiz. Konkret nennt der Experte 4 Quellen:

Tzankov: „Gemeinsam mit den bereits bekannten Risikofaktoren für einen schweren Erkrankungsverlauf, welche als kleinsten gemeinsamen Nenner die ‚Un-Fitness‘ des Herz-Kreislaufsystems der Patienten haben, deuten auch diese Beobachtungen darauf, dass das Blutgefäßsystem zentrales Ziel der SARS-CoV-2-Infektion ist und eröffnet zugleich versprechende Wege möglicher Therapieansätze, welche bereits in der Klinik Einfluss finden.“

Dies mit Verweis auf die zum Teil bereits praktizierte Gabe von Heparin. Sein Kollege Prof. Dr. Stavros Konstantinides, Ärztlicher Direktor des Centrums für Thrombose und Hämostase (CTH), Universitätsmedizin Mainz, sagt z.B.: „Momentan akzeptieren wir als Basiswissen, dass alle aufgenommenen COVID-19-Patienten eine prophylaktische Therapie mit Heparin brauchen.“

 

Kommentar

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