Weniger Schmerzen, und zumindest eine leichte Verbesserung der Symptome – diesen Endpunkt haben 34% der Reizdarmpatienten in einer Studie mit abgetöteten Probiotika erreicht.
Dr. Viola Andresen vom Israelitischen Krankenhaus Hamburg hat mit Kollegen in 20 deutschen Praxen und Kliniken eine 8-wöchige Behandlung mit dem unter dem Namen Kijimea Reizdarm Pro vertriebenen inaktivierten Bifidobacterium Bifidum MIMBb75 getestet.
Der Gastroenterologe Prof. Dr. Thomas Frieling, Ärztlicher Direktor am Helios Klinikum Krefeld, ist zwar grundsätzlich erfreut über die große und gut publizierte Reizdarmstudie. Er mahnt allerdings zur Vorsicht bei der Interpretation. „Das ist eine von einer Pharmafirma beauftragte Studie, die einem möglichen Bias unterliegt. Die Firma, die dieses Kijimea vertreibt, macht ja eine sehr aggressive Werbung.“

Prof. Dr. Thomas Frieling
Moderate Wirkung
Insgesamt haben an der doppelblind randomisierten, Placebo-kontrollierten Studie 443 Reizdarm-Patienten teilgenommen, die über 8 Wochen lang täglich entweder eine Kapsel mit Hitze-inaktivierten Bifidum-Bakterien oder simplem Maltodextrin schluckten. Der kombinierte Endpunkt der Studie war definiert als ein um mindestens 30% reduzierter Schmerzmittelwert in mindestens 4 der 8 Behandlungswochen.
Gleichzeitig mussten die Patienten in ebenso vielen Wochen ihre Symptome zumindest als etwas verbessert einschätzen. Das traf insgesamt auf 34% der Verumgruppe und auf 19% der Placebogruppe zu.
Kein überwältigendes Ergebnis, meint der Krefelder Reizdarmspezialist Frieling: „Die Ergebnisse der Studie sind nicht so überbordend. Im Vergleich zu Placebo haben nur 9 bis 15% einen Effekt gezeigt. Das finde ich eigentlich relativ enttäuschend. Es ist ein signifikanter Effekt sicher da, aber klinisch ist die Relevanz fraglich.“
Bakterien als Darmwand-Pflaster?
Frieling ist auch nicht wirklich überzeugt vom vorgeschlagenen Wirkprinzip. Da es sich bei dem Wirkstoff um inaktive Bakterien handelt, können sie wohl keinen Einfluss auf das Mikrobiom haben. Die Autoren vermuten einen eher physikalischen Prozess, durch den die Barrierefunktion der Darmwand verbessert werden soll: Der verwendete Bifidum-Stamm zeichne sich durch eine hohe Adhärenz zu Epithelzellen aus. Das gelte auch für die schonend inaktivierten Bakterienzellen, schreiben die Autoren.
Dabei bezögen sie sich allerdings nur auf eigene, unveröffentlichte Untersuchungen, kritisiert Frieling: „Die Studie, die eine vergleichbare Adhärenz zwischen dem toten und dem lebenden Keim zeigt, ist bisher nicht publiziert. Da steht nur eigene Beobachtung. Das ist nicht überprüfbar und wissenschaftlich nicht korrekt.“
Ob das inaktivierte Bakterium sich tatsächlich im menschlichen Darm an Epithelzellen anlagern könne, dafür stehe ein Beweis noch aus, sagt der Krefelder Mediziner. „Wie das praktisch funktionieren soll – so ein Epithel ist ja nicht nackt, es hat einen Schleimüberzug, das Bakterium muss also erstmal durch den Schleim diffundieren, um Kontakt zur Epithelzelle zu bekommen. Ob das wirklich beim Menschen im Darm funktioniert, das muss man erstmal zeigen.“
In diesem Zusammenhang findet der Krefelder Gastroenterologe es auch erklärungsbedürftig, dass das inaktivierte Bakterium laut Studie bei allen Reizdarm-Formen ähnlich gut wirken soll – egal ob die Patienten hauptsächlich an Durchfall, Verstopfung oder Schmerzen leiden. „Das Paper wirft aus meiner Sicht mehr Fragen auf als es Antworten gibt“, bedauert er.
Die Studienautoren sehen allerdings grundsätzliche Vorteile für die Anwendung von abgetöteten Bakterien. So sei die Stabilität und Standardisierbarkeit des Produktes mit inaktiven Bakterien besser zu gewährleisten, und auch die Sicherheit sei höher, schreiben sie.
Verbesserte Wirkung mit toten Bakterien?
Interessant ist, dass der Hersteller der Kapseln die nun veröffentlichte Studie nutzt, um eine um 40% verbesserte Wirkung im Vergleich zum Vorgängerpräparat mit lebenden Bakterien zu bewerben. Die Zahlen sind auf dem ersten Blick verwirrend. Denn eine 2011 veröffentlichte kürzere und kleinere Studie zum Vorgängerpräparat zeigt eigentlich für den damals genutzten kombinierten Endpunkt eine eher bessere Wirkung. Allerdings ist er anders definiert als der Endpunkt der aktuellen Studie, so dass ein direkter Vergleich ohnehin schwierig sein dürfte.
Auf Nachfrage erklärt der Hersteller, dass die 40% Wirkungssteigerung sich auf einen sekundären Endpunkt beziehen, nämlich auf die Responderrate bezüglich des Nachlassens der Symptome, den sogenannten „adequate relief“. Den hätten beim Vorgängerpräparat 43% der Probanden erreicht, mit dem abgetöteten Bakterium jetzt aber 60% der Probanden.
Bei näherem Hinsehen ergeben sich aber trotzdem Zweifel, ob sich diese Zahlen ohne weiteres vergleichen lassen. Denn die Studien verwendeten unterschiedliche Skalen, anhand derer die Patienten das Nachlassen von Symptomen einschätzen sollten.
Die Studie, die die lebenden Bakterien untersucht hatte, benutzte dazu eine fünfstufige, die aktuelle Studie eine siebenstufige Skala. Dabei waren die Stufen 1 bis 3 der beiden Skalen ähnlich definiert: Die 1 als ein komplettes oder sehr starkes Nachlassen der Symptome, die 2 als beträchtliches Nachlassen, und die 3 als immerhin etwas verbesserte Symptome. Während die Studie mit lebenden Bakterien aber nur diejenigen Probanden als Responder zählte, die 1 oder 2 angegeben hatten, wurden in der aktuellen Studie auch noch Probanden mit dem Wert von 3 als Responder gezählt.
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Diesen Artikel so zitieren: Probiotika beim Reizdarmsyndrom: Inaktivierte Bakterien sollen die Darmbarriere reparieren - Medscape - 7. Mai 2020.
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