Freiheit als Ausnahme für Gesunde? Spahns Planung für COVID-19-Immunitätspass wird heftig kritisiert

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

6. Mai 2020

Fördert ein Immunitätspass für COVID-19 die gesellschaftliche Spaltung? Ist er verfassungswidrig? Bereitet er womöglich einer Art „Impfflicht durch die Hintertür“ den Boden? Die Idee von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, dass im Zuge des „Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ genesene COVID-19-Patienten ihre Immunität gegen SARS-CoV-2 in einem Pass dokumentieren könnten, hat reichlich Staub aufgewirbelt.

Noch ist wissenschaftlich zwar noch nicht eindeutig belegt, ob man sich nicht auch ein zweites Mal mit COVID-19 infizieren kann, doch präventiv findet Spahn eine solche Dokumentation durchaus sinnvoll: „Im Gesundheitswesen zum Beispiel, bei Pflegekräften, Ärzten, wäre es natürlich sehr gut auch zu wissen, wer schon eine Immunität hat gegen dieses Virus“, hob er laut Tagesschau hervor.

Ethikrat mit Gutachten beauftragt

Ein wenig hat sich der Staub nun aber inzwischen gelegt, denn Spahn hat den Deutschen Ethikrat damit beauftragt zu untersuchen, wie sich ein solcher Immunitätspass auf das gesellschaftliche Miteinander auswirken würde. Am Donnerstag berät der Bundestag über den von CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf zum zweiten Bevölkerungsschutzgesetz. Es geht darin um mehr Antikörper-Tests, um eine Prämie für Pflegekräfte und eben auch um den umstrittenen zertifizierten Nachweis.

 
Minister Spahn ist es ein Anliegen, dass die ethischen Aspekte im Rahmen der Anwendung der Vorschrift eine ausreichende Würdigung erfahren. Sebastian Gülde
 

Der Minister will jetzt erstmal das Gutachten des Ethikrates abwarten, bestätigt Sebastian Gülde, Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums auf Nachfrage. „Bis das nicht geklärt ist, werden wir auch keine gesetzliche Regelung dazu machen“, hatte Spahn auf einer Pressekonferenz zum neuen Antikörper-Tests in Penzberg gesagt.

„Minister Spahn ist es ein Anliegen, dass die ethischen Aspekte im Rahmen der Anwendung der Vorschrift eine ausreichende Würdigung erfahren“, sagt Gülde. Entsprechend werde am Passus des zweiten Bevölkerungsschutzgesetzes nicht festgehalten, bis das Votum des Ethikrates vorliege.

Personen von Maßnahmen ganz oder teilweise ausnehmen?

Unmut erregt hatte ein spezieller Passus (§28 Abs. 1, Satz 3) des am 29. April vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetzentwurfs. Es heißt dort: „Soweit von individualbezogenen Maßnahmen abgesehen werden soll oder Ausnahmen allgemein vorgesehen werden, hat die betroffene Person durch eine Impf- oder Immunitätsdokumentation nach §22 oder ein ärztliches Zeugnis nachzuweisen, dass sie die bestimmte übertragbare Krankheit nicht oder nicht mehr übertragen kann.“

Weiter heißt es: „Bei der Anordnung und Durchführung von Schutzmaßnahmen (…) ist in angemessener Weise zu berücksichtigen, ob und inwieweit eine Person (…) von der Maßnahme ganz oder teilweise ausgenommen werden kann.” Wird beispielsweise infolge eines Infektionsausbruches ein Ort abgesperrt und ist dies gelungen und die Lage beherrschbar, könnte eine Wiederzulassung von nachweislich nicht ansteckungsfähigen Personen infrage kommen. Auch könnten „weitreichende Schlüsse für den weiteren Umgang mit Schutzmaßnahmen und vulnerablen Personengruppen gezogen werden.“

Als Bedingung für einen Immunitätsnachweis wird allerdings gefordert, dass zunächst wissenschaftliche Beweise für den Aufbau einer Immunität nach überstandener Infektion mit COVID-19 vorliegen müssen. Klar sein müsse zudem, dass dann keine Ansteckungsgefahr bestehe.

Gegenwind von politischer Seite, Verfassungsrechtliche Bedenken

Von Politikern, Verfassungsrechtlern und Datenschützern hagelte es Kritik. Ein „Immunitätsausweis ist Unsinn. Ob und wie lange Immunität besteht, ist unklar. Antikörper-Test oft falsch positiv. Ausweis für nur 1-2 % der Menschen macht keinen Sinn. Wenn der Ausweis Vorteile bringt, gibt es Corona-Partys. Bringt er Nachteile, folgt Testvermeidung“, twitterte etwa der SPD-Gesundheitsexperte Prof. Dr. Karl Lauterbach dazu.

Grünen-Chefin Annalena Baerbock kritisiert, dass solche Ausweise für das Ziel Kontaktreduzierung „kontraproduktiv“ seien und die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) warnt, dass Immunitätspässe falsche Anreize setzten. Seien Vorteile mit der durchgemachten Infektion verbunden, fördere man womöglich sogenannte Corona-Partys, also gezielte Ansteckungen, befürchtet auch sie. Auch eine Diskriminierung von Menschen mit Vorerkrankungen sei nicht auszuschließen.

 
Der Immunitätsausweis ist Unsinn. Ob und wie lange Immunität besteht, ist unklar. Prof. Dr. Karl Lauterbach
 

Datenschützer warnen davor, dass künftig womöglich mehr persönliche Befunde in einem solchen Ausweis notiert werden könnten. Auch bei der Linkspartei ist die Skepsis groß, sie warnt vor einem „Überwachungsstaat“ und die AfD befürchtet im Zuge des Immunitätspasses „Zwangsimpfungen“.

Prof. Dr. Volker Boehme-Neßler, der öffentliches Recht an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg lehrt, bezeichnet den Immunitätsausweis in einem Gastbeitrag in der ZEIT als „inhuman und verfassungswidrig“. In der deutschen Verfassung sei Freiheit der Normalfall, ihre Beschränkung die Ausnahme.

 
Freiheit als Ausnahme für Gesunde – das widerspricht dem Geist der Verfassung völlig. Prof. Dr. Volker Boehme-Neßler
 

Der geplante Immunitätspass würde das umdrehen: „Im Augenblick ist die Beschränkung der Freiheit der Normalfall. Alle sind im Lockdown gefangen. Im Ausnahmefall wären die Freiheiten wieder möglich – aber nur für jene, die einen Immunitätsausweis vorweisen können. Nur wer gesundheitliche Voraussetzungen erfüllt, könnte die freiheitlichen Grundrechte wahrnehmen. Freiheit als Ausnahme für Gesunde – das widerspricht dem Geist der Verfassung völlig“, schreibt Boehme-Neßler. 

WHO warnt

Auch die WHO rät von Immunitätsausweisen explizit ab: In einem Schreiben vom 24. April weist sie darauf hin, dass es bislang nicht genügend Evidenz für die Wirksamkeit der Antikörper-vermittelten Immunität gibt, die einen Immunitätspass rechtfertigen könnten. Labortests zum Nachweis von Antikörpern gegen SARS-CoV-2 müssten weiter validiert werden, um ihre Genauigkeit und Zuverlässigkeit zu bestimmen.

 
Solche Immunitätsbescheinigungen würden das Risiko einer fortgesetzten Übertragung erhöhen. WHO
 

Ungenaue Tests könnten sowohl falsch positive als auch falsch negative Resultate bringen und so die Kontrollbemühungen beeinträchtigen. Auch Kreuzimmunitäten durch andere Coronaviren müssten ausgeschlossen sein. Die WHO warnt Menschen, die positiv auf COVID-19 getestet wurden, ausdrücklich davor, die verhängten Maßnahmen zu ignorieren. „Solche Immunitätsbescheinigungen würden das Risiko einer fortgesetzten Übertragung erhöhen.“

Spahn wundert sich über die Debatte

Auch Spahn betonte auf der Pressekonferenz in Penzberg, dass die Frage ob und in welchem Umfang und für welchen Zeitraum eine Infektion zu einer Immunität führe „noch nicht abschließend wissenschaftlich belegt“ sei. Eine mögliche Dokumentation von Antikörpern komme ohnehin erst in Betracht, wenn die wissenschaftliche Evidenz für eine Immunität vorliege.

Allerdings wundere er sich etwas über die Debatte. „Sie können sich bei ihrem Arzt die Titer auf Hepatitis B oder Masern bestimmen lassen. Das wird dann auch in ihren Impfausweis eingetragen. Den Nachweis, dass Antikörper im Blut sind, gibt es regelhaft auch für andere Viren“, sagte Spahn.

 
Wenn ein Teil von Beschränkungen betroffen ist und andere nicht – das rührt an die Grundfesten des gesellschaftlichen Miteinanders. Jens Spahn
 

Wofür der Nachweis dann genutzt oder nicht genutzt werde, entscheide der Bürger selbst. Spahn betonte, dass er sich bewusst sei, dass ein solches Dokument auch Verhaltensweisen nach sich ziehen könne, die nicht erwünscht sind: „Etwa, wenn man sich bewusst infiziert. Auch die Frage, was es auslöst in der Gesellschaft, wenn ein Teil von Beschränkungen betroffen ist und andere nicht – das rührt an die Grundfesten des gesellschaftlichen Miteinanders. Deshalb habe ich den Deutschen Ethikrat gebeten, sich mit der Frage auseinander zu setzen.“

Am 7. Mai wird der Bundestag über den Entwurf beraten, am 11. Mai sollen Experten dazu gehört und am 14. Mai soll das Gesetz verabschiedet werden.

 

Kommentar

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