EMA: 8 neue Arzneimittel zur Zulassung empfohlen, baldiges Aus für Ranitidin – und Überprüfung von Remdesivir-Studien

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

4. Mai 2020

Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) hat bei seinem Meeting vom 28. bis 30. April positive Stellungnahmen zu 2 neuen Arzneimitteln, 2 Orphan Drugs und einem Biosimilar veröffentlicht. Darunter befindet sich eine neue Asthma-Tripeltherapie. Auch 3 Generika bekamen vom CHMP grünes Licht [1]. Sicherheitsbedenken zu Ranitidin, Fluorouracil und Ingenol-Mebutat wurden bestätigt.

Außerdem beginnt der CHMP, ab sofort Studiendaten zu Remdesivir bei SARS-CoV-2-Infektionen, fortlaufend zu analysieren [2]. Dies spart, verglichen mit regulären Zulassungsanträgen, im aktuellen Pandemiefall Zeit für eine mögliche Zulassung.

Verkaufs- und Verordnungsstoff von Ranitidin

Aufgrund von N-Nitrosodimethylamin (NDMA), einer Verunreinigung in Ranitidin, empfiehlt der CHMP, Präparate mit dem Wirkstoff nicht mehr anzuwenden.

Ranitidin gibt es in Form von Rx- und OTC-Präparaten. Sie werden zur Senkung der Magensäurekonzentration bei Sodbrennen und Magengeschwüren eingesetzt. NDMA gilt aufgrund von Tierversuchen als wahrscheinliches karzinogen beim Menschen.

„Die verfügbaren Sicherheitsdaten zeigen nicht, dass Ranitidin das Krebsrisiko erhöht, und ein mögliches Risiko ist wahrscheinlich sehr gering“, schreibt der CHMP. „NDMA wurde jedoch in mehreren Ranitidin-Medikamenten oberhalb der als akzeptabel erachteten Konzentrationen gefunden, und es gibt ungelöste Fragen zur Quelle der Verunreinigungen.“ Deshalb habe man sich zu den Maßnahmen entschlossen. Ärzte und Apotheker sollten Patienten über die Behandlung von Sodbrennen und Magengeschwüren beraten und ihnen Alternativen aufzeigen. Das letzte Wort hat die Europäische Kommission.

Tests vor Beginn einer Chemotherapie mit Fluorouracil

Sicherheitsbedenken gibt es auch bei Fluorouracil. Der CHMP empfahl, Patienten vor einer Chemotherapie auf das Enzym Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD) zu testen. Das gilt für Fluorouracil und verwandte Medikamente mit Capecitabin oder Tegafur. DPD katalysiert einen Schritt zum Abbau dieser Moleküle.

Ein erheblicher Teil der Allgemeinbevölkerung hat einem DPD-Mangel, ohne davon zu wissen. Infolgedessen reichern sich die Arzneistoffe im Blut an, was zu schweren und lebensbedrohlichen Nebenwirkungen wie Neutropenie, Neurotoxizität, schwerem Durchfall und Stomatitis führt. Patienten können auf DPD-Mangel getestet werden, indem der Uracilspiegel im Blut gemessen oder das Vorhandensein bestimmter Mutationen im Gen für DPD überprüft wird.

Weil die Behandlung schwerer Pilzinfektionen mit Flucytosin, einem anderen chemisch mit Fluorouracil verwandten Medikament, nicht verzögert werden sollte, sind Tests hier vor Beginn der Behandlung nicht erforderlich.

Ergebnis der Überprüfung von Picato® (Ingenol-Mebutat)

Die EMA hat ihre Überprüfung von Picato® (Ingenol-Mebutat), einem Gel zur Behandlung aktinischer Keratosen, abgeschlossen. Das Ergebnis: Picato® kann zu höheren Hautkrebsrisiken führen. In Summe überwiegen solche Gefahren einen möglichen Nutzen. Picato® ist in der EU auf Drang des Herstellers seit 11. Februar 2020 nicht mehr zugelassen (wie Medscape hat berichtet). Insofern besteht nach Abschluss des Verfahrens kein weiterer Handlungsbedarf.

Überprüfung von Studiendaten zu Remdesivir

Außerdem beginnt der CHMP, klinische Studien über Remdesivir ab sofort regelmäßig auszuwerten. Der Wirkstoff gilt als Hoffnungsträger bei SARS-CoV-19-Infektionen.

Normalerweise müssen alle Daten mit dem Zulassungsantrag eingereicht werden. Im Falle der geplanten, fortlaufenden Überprüfung werden CHMP- Berichterstatter ernannt, während die Entwicklung noch andauert, und die EMA überprüft turnusmäßig alle verfügbaren Daten.

Dieses Prozedere ermögliche es – verglichen mit einem regulären Zulassungsverfahren auf der Basis von Dossiers – Remdesivir schneller zu bewerten, ohne Abstriche bei der wissenschaftlichen Qualität zu machen. Ausschlaggebend für die Herangehensweise waren vorläufige Ergebnisse der amerikanischen ACTT-Studie und Daten einer chinesischen Studie (wie Medscape hat berichtet).

Enerzair® Breezhaler® und Zimbus® Breezhaler® bei Asthma

Zu den Bewertungen neuer Arzneimittel: Ein positives Votum bekam der Enerzair® Breezhaler® als 1. zugelassene Asthma-Dreifachtherapie für Erwachsene. Er enthält eine Fixkombination mit 114 µg Indacaterol, 46 µg Glycopyrronium und 68 µg Mometasonfuroat in Kapseln, die per Inhalator verabreicht werden. Ein digitaler Sensor kann optional eingesetzt werden, um Daten über die Verwendung des Geräts durch Patienten per App zu sammeln.

Der Enerzair® Breezhaler ist für erwachsene Patienten indiziert, deren Symptome mit einem langwirkenden Beta2-Agonisten (LABA) und einem hochdosierten Kortikosteroid zur Inhalation nicht ausreichend kontrolliert werden können und die im Vorjahr eine oder mehrere Exazerbationen erlitten haben. Dabei handelt es sich um eine Langzeittherapie.

Indacaterol ist ein langwirksamer Beta-Agonist (LABA), der lokal wirkt, indem er die Atemwege in der Lunge weitet. Er zeichnet sich durch einen schnellen Wirkungseintritt und eine lange Wirkungsdauer aus. Bei Glycopyrronium handelt es sich um einen inhalativen langwirksamen Muskarinrezeptor-Antagonisten (LAMA). Er weitet die Atemwege, indem er die Wirkung des Neurotransmitters Acetylcholin auf glatte Muskelzellen blockiert. Und Mometasonfuroat hat als synthetisches Kortikosteroid eine hoher Affinität zu Glukokortikoidrezeptoren. Es wirkt antiinflammatorisch.

Die Sicherheit und Wirksamkeit von Enerzair® Breezhaler® bei erwachsenen Patienten mit Asthma wurde in einer randomisierten Doppelblindstudie der Phase 3 untersucht. Hier zeigte sich eine klinisch bedeutsame Verbesserung der Lungenfunktion. Auch die Zahl an Exazerbationen verringerte sich. Zu den wichtigsten Nebenwirkungen gehören laut Studie Asthma-Exazerbation, eine Nasopharyngitis, Infektionen der oberen Atemwege und Kopfschmerzen.

Der CHMP verabschiedete auch eine positive Stellungnahme für Zimbus® Breezhaler® (Indacaterol, Glycopyrronium und Mometasonfuroat), einem Duplikat von Enerzair® Breezhaler®. Welche Unterschiede die beiden Systeme haben, geht aus der EMA-Meldung nicht hervor.

Daurismo® (Glasdegib) bei AML

Darüber hinaus empfahl der CHMP, Daurismo® (Glasdegib) zur Behandlung der akuten myeloischen Leukämie zuzulassen.

Glasdegib wirkt als Inhibitor des Hedgehog-Signaltransduktionswegs. Es bindet an das Transmembranprotein Smoothened (SMO), was zu einer verminderten Aktivität des Transkriptionsfaktors GLI1 führt. Der GLI1-Spiegel in AML-Zellen sinkt. GLI-Proteine sind an der Proliferation verschiedener Zelltypen im Körper beteiligt.

Laut Studien verbessert Glasdegib zusammen mit niedrig dosiertem Cytarabin das Gesamtüberleben bei AML. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Übelkeit, verminderter Appetit, Geschmacksstörungen, Müdigkeit, Muskelkrämpfe, Durchfall, Verstopfung, Bauchschmerzen, Hautausschlag und Erbrechen.

Reblozyl® (Luspatercept) bei chronischen Anämien

Eine positive Stellungnahme gab es ebenso für Reblozyl® (Luspatercept) zur Behandlung von Erwachsenen mit transfusionsabhängiger Anämie in Zusammenhang mit myelodysplastischen Syndromen (MDS) oder Beta-Thalassämie. 

Luspatercept ist ein rekombinantes Fusionsprotein, das sich vom menschlichen Aktivinrezeptor Typ IIb (ActRIIb) ableitet. Es wurde an einem Proteinfragment, das vom Immunglobulin G stammt, verankert. Im Körper bindet Luspatercept Liganden der TGF- Superfamilie (Transforming Growth Factor Beta), um die Signalübertragung mit SMAD-Proteinen zu verringern, welche bei MDS und Beta-Thalassämie ungewöhnlich hoch ist. Das führt zur stärkeren Differenzierung von Erythrozyten-Vorläufern und zur Reifung von Erythrozyten.

Unter Luspatercept konnte bei Patienten mit MDS oder Beta-Thalassämie die Zahl an Bluttransfusionen verringert werden. Als häufigste Nebenwirkungen nennt der CHMP Bronchitis, Harnwegsinfektion, Infektion der oberen Atemwege, Influenza, Überempfindlichkeit gegen den Arzneistoff, Hyperurikämie, Schwindel, Kopfschmerzen, Synkope oder Presynkope, Schwindel, Bluthochdruck, thromboembolische Ereignisse, Dyspnoe, Durchfall, Übelkeit, Rückenschmerzen, Gelenk-und Knochenschmerzen, Müdigkeit, Schwäche und Reaktionen an der Injektionsstelle.

Insulin Aspart Sanofi® bei Diabetes mellitus

Das Biosimilar Insulin Aspart Sanofi® (Insulin Aspart) zur Behandlung von Diabetes mellitus bekam ebenfalls grünes Licht vom Ausschuss. Insulin Aspart, ein schnell wirkendes Insulinanalogon, erleichtert die Aufnahme von Glukose in die Skelettmuskulatur und das Fettgewebe und hemmt die Glukoseabgabe aus der Leber. Daten zeigen, dass Insulin Aspart Sanofi® eine vergleichbare Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit wie das bereits zugelassene Referenzprodukt NovoRapid® aufweist.

Cabazitaxel Accord® (Cabazitaxel) bei Prostatakarzinomen

Der CHMP empfahl darüber hinaus, Cabazitaxel Accord® (Cabazitaxel) eine Zulassung zu erteilen. Das Arzneimittel soll bei Patienten mit hormonresistentem, metastasiertem Prostatakrebs, die zuvor mit einem Docetaxel-haltigen Regime behandelt wurden, eingesetzt werden.

Der Arzneistoff bindet in Zellen an Tubulin und fördert die Bildung von Mikrotubuli, während es gleichzeitig deren Zerlegung hemmt. Dies stabilisiert Mikrotubuli, und Zellen teilen sich langsamer.

Cabazitaxel Accord® ist ein Hybridarzneimittel von Jevtana®, das seit dem 17. März 2011 in der EU erhältlich ist. Es enthält den gleichen Wirkstoff in einer anderen Formulierung. Hybridanwendungen stützen sich teilweise auf die Ergebnisse vorklinischer Tests und klinischer Studien eines bereits zugelassenen Referenzprodukts und teilweise auf neue Daten.

Studien haben die zufriedenstellende Qualität von Cabazitaxel Accord® und seine Bioäquivalenz zum Referenzprodukt Jevtana® gezeigt. Da Cabazitaxel Accord intravenös verabreicht wird und zu 100% bioverfügbar ist, war eine Bioäquivalenzstudie nicht erforderlich.

Paliperidon Janssen-Cilag International® bei Schizophrenie

Das Medikament Paliperidon Janssen-Cilag International® (Paliperidon) erhielt eine positive Stellungnahme zur Behandlung von Schizophrenie. Hier arbeitete der CHMP mit einem besonderen Verfahren: Beim Antrag auf Einwilligung nach Aufklärung werden Daten aus dem Dossier eines zuvor zugelassenen Arzneimittels verwendet, wobei der Inhaber der Genehmigung seine Einwilligung zur Verwendung der Daten erteilt.

Bei Paliperidon handelt es sich um einen Metaboliten von Risperidon, einem weiteren Antipsychotikum, das seit den 1990er Jahren zur Behandlung von Schizophrenie eingesetzt wird. Die Aktivität von Paliperidon wird durch eine kombinierte Antagonistenaktivität an D2- und 5-HT2A-Rezeptoren vermittelt.

Unter der Langzeitanwendung von Paliperidon verringern sich Symptome einer Schizophrenie (gemessen anhand einer Standardskala), und neue Beschwerden treten seltener auf. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Angstzustände, Infektionen der oberen Atemwege, Reaktionen an der Injektionsstelle, Parkinsonismus, Gewichtszunahme, Akathisie, Unruhe, Sedierung / Schläfrigkeit, Übelkeit, Verstopfung, Schwindel, Muskel-Skelett-Schmerzen, Tachykardie, Zittern, Bauchschmerzen, Erbrechen, Durchfall, Müdigkeit und Dystonie.

Fingolimod Accord® (Fingolimod) bei Multipler Sklerose

Das Generikum Fingolimod Accord® (Fingolimod) erhielt eine positive Stellungnahme zur Behandlung von rezidivierend-remittierender Multipler Sklerose (RRMS) mit hoher Krankheitsaktivität.

Fingolimodhydrochlorid, ein selektives Immunsuppressivum, fungiert als Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptormodulator. Im Körper bildet sich zuerst der Metabolit Fingolimodphosphat. Er verhindert, dass Lymphknoten aus Lymphknoten austreten und das Zentralnervensystem infiltrieren.

Fingolimod Accord® ist ein Generikum von Gilenya®, das seit dem 17. März 2011 in der EU zugelassen ist. Studien haben die zufriedenstellende Qualität von Fingolimod Accord® und seine Bioäquivalenz mit dem Referenzprodukt gezeigt.

Negatives Votum für Hopveus® (Natriumoxybat)

Der Hersteller von Hopveus® (Natriumoxybat) hatte eine erneute Prüfung der Ende 2019 formulierten negativen CHMP-Stellungnahme beantragt. Doch der Ausschuss kam jetzt zum gleichen Ergebnis.

Hopveus® sollte zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit verordnet werden. Obwohl einige Studien darauf hinwiesen, dass das Arzneimittel wirksam sein könnte, wurde dies nicht endgültig nachgewiesen, und die Agentur hatte Bedenken hinsichtlich der Konzeption und Analyse dieser Studien.

Da alle Daten nicht ausreichten, um die Wirksamkeit von Hopveus® festzustellen, kam der CHMP erneut zum Ergebnis, dass die Vorteile die Risiken nicht überwiegen. Er empfahl, keine Zulassung zu erteilen.

Neue Indikationen bei 9 Pharmaka

Bei folgenden Arzneimitteln wurden die Indikationen erweitert:

  • Braftovi® (Encorafenib) bei nicht resezierbarem oder metastasiertem Melanom mit einer BRAF-V600-Mutation in Kombination mit Binimetinib,

  • Cablivi® (Caplacizumab) bei erworbener thrombotisch-thrombozytopenischer Purpura, einer Gerinnungsstörung,

  • Carmustine Obvius® (Carmustin) bei unterschiedlichen Hirntumoren und Lymphomen,

  • Ecalta® (Anidulafungin) bei invasiver Candidiasis,

  • Harvoni® (Sofosbuvir/Ledipasvir) bei Hepatitis C mit Viren verschiedener Genotypen,

  • Kalydeco® (Ivacaftor) bei zystischer Fibrose,

  • Sovaldi® (Sofosbuvir) bei Hepatitis C, unabhängig vom Genotyp,

  • Taltz® (Ixekizumab) bei Posoriasis und Psoriasis-Arthritis,

  • Ultomiris® (Ravulizumab) bei paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie.

 

Kommentar

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