Gute Daten, schlechte Daten: Verwirrung um Remdesivir – trotz negativer Studie bleibt es Hoffnungsträger bei COVID-19

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

30. April 2020

Das einst gegen Ebola entwickelte Remdesivir gilt bei COVID-19 als großer Hoffnungsträger. Jetzt sind fast zeitgleich 2 Studien mit unterschiedlichen Aussagen veröffentlicht worden.

Zum einen floppte der Wirkstoff in einer randomisierten, doppelt verblindeten, Placebo-kontrollierten Studie mit COVID-19-Patienten aus China. Dies berichten Forscher um Yeming Wang vom National Clinical Research Center for Respiratory Diseases in Beijing. Ihre Ergebnisse sind gestern in The Lancet erschienen [1]. Die Studie wurde aus organisatorischen Gründen vorzeitig beendet – es war nicht gelungen, genug Patienten zu rekrutieren.

Zum anderen hat gestern Abend das National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) positive Ergebnisse zur US-amerikanischen Adaptive COVID-19 Treatment Trial (ACTT) in einer Pressemitteilung vermeldet [2]. Demnach sollen sich COVID-19-Patienten unter dem Wirkstoff schneller erholen und auch ein niedrigeres Mortalitätsrisiko haben.

„Nachdem eine vorzeitig abgebrochene und damit nicht aussagekräftige Placebo-kontrollierte Studie zu Remdesivir kürzlich für mehr Verwirrung als Aufklärung sorgte, wird mit der ACTT-Studie nun erstmalig ein belastbarer Datensatz zur Verfügung gestellt, der eine definitive Aussage zum Stellenwert von Remdesivir bei COVID-19 ermöglicht“, lautet das Fazit des deutschen Experten Prof. Dr. Clemens Wendtner aus den neuen Daten. Er ist Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin sowie Leiter der dortigen Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen am München Klinik Schwabing. „Die ACTT-Studie konnte ausreichend Patienten rekrutieren und ist daher bezüglich des primären Endpunktes belastbar und aussagekräftig“, betont er.

Dr. Anthony Fauci, Direktor des National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID), sprach gestern auf einer Pressekonferenz auf Basis der ersten Meldungen bereits vom „Behandlungsstandard“ für Patienten mit COVID-19 (wie  Medscape.com hat berichtet). Er verwies aber auch auf die erforderliche Bewertung durch Experten. Und laut New York Times sei sogar mit einer baldigen FDA-Zulassung für die Anwendung in Notfallsituationen (Emergency Use Authorization) zu rechnen.

Vorläufige Daten des NIAID zeigen Benefit

Die Forscher am NIAID untersuchen Remdesivir im Rahmen der Adaptive COVID-19 Treatment Trial (ACTT). Bislang gibt es allerdings nur ein Protokoll im Studienregister ClinicalTrial.gov und die Pressemeldung mit vorläufigen Ergebnissen.

„In der randomisierten ACTT-Studie wurden 1.063 Patienten mit unterschiedlichem Schweregrad der COVID-19-Erkrankung über 10 Tage mit Remdesivir oder mit Placebo behandelt“, informiert Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer. Er ist Leiter der Infektiologie, Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln und Leiter einer klinischen Prüfung von Remdesivir in Deutschland. Das Zwischenergebnis zeige einen Vorteil für die Patienten, die mit Remdesivir therapiert worden seien.

 
Damit ist zum ersten Mal die Wirksamkeit einer Substanz gegen COVID-19 in einer nach höchsten Standards durchgeführten Studie nachgewiesen worden. Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer
 

„Dies manifestiert sich in einer schnelleren Erholung (11 Tage versus 15 Tage) sowie in einer tendenziell niedrigeren Sterblichkeit (8 versus 11,6%)“, ergänzt Fätkenheuer. Damit sei „zum ersten Mal die Wirksamkeit einer Substanz gegen COVID-19 in einer nach höchsten Standards durchgeführten Studie“ nachgewiesen worden.

Der Experte rechnet jetzt mit einer baldigen Zulassung, verweist aber auf unklare Punkte: „Eine der wichtigsten Frage ist die, ob alle Patienten gleichermaßen von der Behandlung profitieren, oder ob die Wirksamkeit je nach Schweregrad der Erkrankung unterschiedlich ist. Davon wird entscheidend abhängig sein, welchen Patienten das Medikament verabreicht werden sollte.“ Denn es sei absehbar, dass nicht genügend Wirkstoff für alle Patienten zur Verfügung stehe.

Enttäuschende Ergebnisse aus chinesischer RCT

Die positiven Aussichten wrden etwas getrübt durch die nahezu zeitgleich von Wang und seinen Koautoren veröffentlichte randomisierte, doppelt verblindete, placebo-kontrollierte Studie aus Hubei, China. Eingeschlossen waren Erwachsene mit SARS-CoV-2-Infektion, die stationär behandelt werden mussten. 237 Patienten wurden zwischen dem 6. Februar und dem 12. März 2020 aufgenommen und nach dem Zufallsprinzip einer Behandlungsgruppe zugeordnet. 158 bekamen Remedesivir und 79 Placebo; 1 Patient zog seine Zustimmung zurück.

 
Eine der wichtigsten Frage ist die, ob alle Patienten gleichermaßen von der Behandlung profitieren, oder ob die Wirksamkeit je nach Schweregrad der Erkrankung unterschiedlich ist. Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer
 

Remdesivir war nicht mit statistisch signifikanten Unterschieden in der Zeit bis zur klinischen Besserung verbunden (Hazard Ratio: 1,23; 95%-Konfidenzintervall: 0,87-1,75). Unerwünschte Ereignisse wurden unter Verum bei 102 (66%) von 155 Patienten versus 50 (64%) von 78 in der Placebo-Gruppe beobachtet. 18 (12%) Patienten versus 4 (5%) Patienten brachen die Therapie deshalb vorzeitig ab.

In einem begleitenden Kommentar schreibt Prof. Dr. John Norrie von der University of Edinburgh [3]: „Die Studie war gut konzipiert – eine doppelblinde, plazebokontrollierte, multizentrische randomisierte Studie – und gut durchgeführt, mit hoher Protokolltreue und ohne Folgeverluste.“ Sie sei aufgrund zu weniger Patienten jedoch statistisch „underpowered“ gewesen, was bedeute, dass sie nicht zu schlüssigen Ergebnissen geführt habe.

RCTs seit Beginn der COVID-19-Pandemie gefordert

Zum Hintergrund: Remdesivir kommt aus den Labors von Gilead Sciences. Das Nukleotid-Analogon wurde u.a. zur Therapie von Infektionen mit dem Ebola-Virus entwickelt. In einer randomisiert-kontrollierten Studie schnitt Remdesivir schlechter ab als verschiedene Antikörper gegen Ebola – und wurde nicht weiter bei dieser Erkrankung untersucht.

Doch bei SARS-CoV-2 gibt es neue Hoffnung. „Wir haben diese Substanz schon länger in der Literatur gehabt. Es ist klar, gegen Coronaviren wirkt sie in der Zellkultur und auch in Tiermodellen“, erläuterte vor kurzem Prof. Dr. Christian Drosten von der Charité Berlin im NDR-Podcast.

Gilead unterstützt Compassionate-Use-Programme – auch in Deutschland. Bekanntlich erhalten Patienten mit schweren Erkrankungen und ohne therapeutische Alternativen dabei noch nicht zugelassene Arzneimittel.

Mitte April veröffentlichten Ärzte im NEJM bereits Details zur Therapie eines 35-jährigen SARS-CoV-2-Patienten. Sein Zustand habe sich nach der Anwendung von Remdesivir schnell verbessert, heißt es im Fallbericht. Bald darauf wurden Ergebnisse aus einem Compassionate-Use-Programm mit 61 Patienten publiziert (wie  Medscape hat berichtet ). Alle erhielten den neuen Arzneistoff.

Während einer Nachbeobachtungszeit von durchschnittlich 18 Tagen besserte sich bei 36 Patienten (68%) die Sauerstoffversorgung. Unter ihnen waren 17 von 30 Patienten (57%), die keine mechanische Beatmung mehr benötigten und extubiert werden konnten. Insgesamt 25 Patienten (47%) wurden entlassen; 7 Patienten (13%) starben. Mehrere Wissenschaftler kritisierten die Veröffentlichung u.a. wegen einer fehlenden Kontrollgruppe und wegen eines möglichen Bias bei der Rekrutierung von Patienten.

Sie forderten schon damals aussagekräftige RCTs. An diesem Punkt sind wir, sobald alle Daten des NIAID veröffentlicht werden.

 

Kommentar

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