Prostatakrebs gehört zu den häufigsten malignen Erkrankungen bei Männern. Ärzte diagnostizierten schätzungsweise 1,3 Millionen neue Fälle weltweit im Jahr 2018. 10 bis 20% der Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakrebs entwickeln innerhalb von 5 Jahren ein kastrationsresistentes Prostatakarzinom, und mindestens 84% von ihnen haben zum Zeitpunkt der Diagnose bereits Metastasen. Trotz etlicher Fortschritte in der Onkologie ist die Prognose dieser Subgruppe schlecht.
Ein Blick auf andere Krebserkrankungen könnte helfen: Beim Ovarial- und Mammakarzinom der Frau hat sich die Hemmung der DNA-Reparatur bekanntlich als Strategie bewährt. Krebszellen mit BRCA1/2-Mutationen teilen sich rasch, was auch zu Schäden am Erbgut führt. Zur DNA Damage Response (DDR) trägt das Enzym PARP, die Poly(ADP-Ribose)-Polymerase, bei. Patientinnen mit entsprechender Gensignatur profitieren von PARP-Inhibitoren wie Olaparib (Lynparza®).
Jetzt zeigen Ergebnisse der Phase-3- Studie PROfound, dass der Wirkstoff auch für Männer, deren Prostatakarzinom BRCA1-, BRCA-2- oder ATM-Mutationen trägt, einen Mehrwert bietet. Unter Olaparib kam es zu einer statistisch signifikanten und klinisch relevanten Verbesserung des Gesamtüberlebens, verglichen mit Enzalutamid oder Abirateron.
Die Ergebnisse hat Prof. Dr. Johann de Bono vom Institute of Cancer Research, London, zusammen mit Kollegen im NEJM veröffentlicht [1]. Erste Ergebnisse wurden bereits im Herbst 2019 auf dem ESMO-Kongress präsentiert.
Auch beim Prostata-Ca geht es in Richtung personalisierter Therapien
„Ich sehen in der Studie den Beginn der individualisierten oder personalisierten Therapie beim Prostatakarzinom. Das ist ein sehr positiver Aspekt“, sagt Prof. Dr. Dr. Jens Rassweiler im Gespräch mit Medscape. Er ist Klinikdirektor Urologie der SLK-Kliniken Heilbronn GmbH und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Urologie.

Prof. Dr. Dr. Jens Rassweiler
In anderen Bereichen der Urologie kenne man die Strategie bereits, etwa beim PD-L1-positiven Blasenkarzinomen; diese sprächen bekanntlich auf Checkpoint-Inhibitoren wie Nivolumab an. Aber bei Prostatakrebs sei lange Zeit eher empirisch behandelt worden. Rassweiler: „Zuvor hatten wir nur gesehen, dass eine Hormonausschaltung wirkt, Patienten dann aber plötzlich kastrationsresistent wurden.“
Ein Blick in die klinische Praxis: „Zur Umsetzung der neuen, therapeutischen Strategie brauchen wir molekulare Tumorboards, um bei unterschiedlichen Tumoren Genmuster nachzuweisen und dann Therapien beginnen zu können“, ergänzt Rassweiler. „Und wir dürfen nicht vergessen, dass wir hier von einer kleinen Gruppe an Patienten sprechen, vielleicht 10% bis 20%. Aber Patienten mit sehr fortgeschrittenem Verlauf profitieren durchaus.“
Bislang gibt es keine Zulassung von Olaparib beim Prostatakarzinom in Europa. „Off-label lässt sich das Therapieprinzip – zusammen mit einem Gentest – aber einsetzen“, so Rassweiler. Er hält einen baldigen Zulassungsantrag aufgrund der Daten bei der European Medicines Agency für recht wahrscheinlich. In den USA läuft die Zulassung schon über ein beschleunigtes Verfahren („Priority Review“).
Neue Indikationen für Olaparib
Zum Hintergrund: Olaparib ist der 1. Vertreter der PARP-Inhibitoren. Er ist in Europa und in den USA bei Patienten mit Platin-sensitivem Rezidiv eines BRCA-mutierten hochgradig serösen epithelialen Eierstock-, Eileiter- oder Peritoneal-Karzinoms zugelassen. Eine weitere Indikation ist der HER2-negative Brustkrebs. Vor Behandlungsbeginn muss in allen Fällen eine Mutation in den Genen BRCA1 oder BRCA2 nachgewiesen werden.
Aufgrund von Daten einer Phase-3-Studie hat die US Food and Drug Administration auch grünes Licht für Pankreaskarzinome mit BRCA-Mutation gegeben. Schon lange ist bekannt, dass auch manche Prostatakarzinome BRCA-Mutationen tragen, und dass diese Signatur mit einer ungünstigen Prognose assoziiert ist. Es lag nahe, Olaparib auch für diese Indikation zu untersuchen. Dieses Ziel wurde mit PROfound weiterverfolgt.
Phase-3-Studie vergleicht Olaparib mit antiandrogenen Wirkstoffen
Forscher um de Bono starteten eine randomisierte, offene Phase-3-Studie, in der Olaparib bei Männern mit metastasiertem, kastrationsresistentem Prostatakrebs untersucht wurde. Alle Patienten hatten unter Arzneistoffen zur Hormontherapie, etwa Abirateron oder Enzalutamid, eine Krankheitsprogression erlitten. Aufgenommen wurden nur Männer mit Veränderungen in Genen, welche eine direkte oder indirekte Rolle bei der DNA-Reparatur spielen.
In der Kohorte A (245 Patienten) gab es mindestens eine Veränderung in BRCA1, BRCA2 oder ATM. Bei der Kohorte B (142 Patienten) war mindestens 1 von 12 DDR-Genen verändert. Alle Patienten wurden nach dem Zufallsprinzip im Verhältnis 2:1 mit Olaparib (300 mg, zweimal täglich) oder einer vom Arzt gewählten Enzalutamid-Therapie (160 mg einmal täglich) oder Abirateron-Therapie (1.000 mg einmal täglich) als Kontrollgruppe behandelt.
Als primären Endpunkt definierten die Forscher das progressionsfreie Überleben in Kohorte A per Bildgebung gemäß einer verblindeten, unabhängigen, zentralen Überprüfung.
In Kohorte A war das bildgebungsbasierte progressionsfreie Überleben in der Olaparib-Gruppe signifikant länger als in der Kontrollgruppe (Median 7,4 Monate gegenüber 3,6 Monaten; Hazard Ratio für Progression oder Tod 0,34; 95% -Konfidenzintervall 0,25 bis 0,47; p<0,001). Ein signifikanter Nutzen wurde auch in Bezug auf die Ansprechrate und die Zeit bis zum Fortschreiten der Schmerzen beobachtet.
Das mediane Gesamtüberleben in Kohorte A betrug 18,5 Monate in der Olaparib-Gruppe und 15,1 Monate in der Kontrollgruppe; 81% der Patienten in der Kontrollgruppe, bei denen eine Progression auftrat, wechselten zu Olaparib.
Die Kohorten A und B wurden von den Autoren als Gesamtpopulation betrachtet und gemeinsam mit der Kontrollgruppe verglichen. Hier wurde unter Olaparib für das bildgebungsbasierte, progressionsfreie Überleben ein Vorteil gefunden (im Median 5,8 versus 3,5 Monate, HR: 0,49; 95% KI 0,38-0,63; p < 0,001).
Unter den Patienten, die ausgewertet werden konnten, lag die Ansprechrate bei 22% (A/B; 30 von 138 Patienten) versus 4% (3 von 67 Patienten) in der Kontrollgruppe. Nach 6 Monaten waren 85% der Patienten in der Olaparib-Gruppe waren frei von einer Schmerzprogression, verglichen mit 75% in der Kontrollgruppe. Laut einer Zwischenanalyse lag das Gesamtüberleben bei 17,5 versus 14,3 Monaten.
Anämie und Übelkeit waren die wichtigsten toxischen Wirkungen bei Patienten, die Olaparib erhielten.
Frühere Hinweise aus Phase-2-Studie
Zuvor lagen bereits Ergebnisse aus TOPARP-B, einer Phase-2-Studie zur Dosisfindung, vor. Von 771 gescreenten Patienten mit metastasiertem, kastrationsresistentem Prostatakarzinom hatten 161 Mutationen im Bereich der DNA Damage Response. 98 Personen wurden behandelt. Sie erhielten randomisiert 400 mg oder 300 mg Olaparib zweimal täglich.
Das mediane Follow-up betrug 24,8 Monate. Der zusammengesetzte Endpunkt bestand aus einem radiologisch bestätigten Ansprechen, einer Abnahme des Prostata-spezifischen Antigens (PSA) von 50% oder mehr (PSA50) gegenüber dem Ausgangswert sowie aus einem Rückgang der Zahl an zirkulierenden Tumorzellen (von ≥ 5 Zellen pro 7,5 ml Blut zu Beginn der Studie auf < 5 Zellen pro 7,5 ml Blut).
Der zusammengesetzte Endpunkt wurde bei 25 (54,3%) von 46 Patienten in der 400 mg-Kohorte versus 18 (39,1%) von 46 Patienten in der 300 mg-Kohorte erreicht.
Zu radiologisch bestätigtem Ansprechen kam es bei 8 (24,2%) von 33 versus 6 (16,2%) von 37 Patienten.
Eine PSA-Verringerung von 50% oder mehr wurde bei 17 (37,0%) von 46 versus 13 von 43 Patienten beobachtet.
Zum Rückgang der Zahl an zirkulierenden Tumorzellen im Sinne des Endpunkts kam es bei 15 (53,6%) von 28 versus 13 (48,1%) von 27 Patienten.
Die häufigste Nebenwirkung des Grades 3 bis 4 in beiden Kohorten war Anämien bei 15 (31%) von 49 Patienten in der 300-mg-Kohorte und 18 (37%) von 49 in der 400-mg-Kohorte.
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Diesen Artikel so zitieren: Start in die individualisierte Therapie beim Prostatakarzinom: Olaparib bewährt sich als Option für ausgewählte Männer - Medscape - 30. Apr 2020.
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