Ältere Menschen, Männer und Patienten mit Bluthochdruck, Adipositas oder Diabetes sind offenbar besonders gefährdet, schwer an COVID-19 zu erkranken oder gar zu sterben. Diese auch hierzulande schon häufiger registrierten Zusammenhänge sind jetzt noch einmal von der weltweit bislang größten Beobachtungsstudie zu dem Thema bestätigt worden.
US-Wissenschaftler um Dr. Safiya Richardson von den Feinstein Institutes for Medical Research in Manhasset und der Donald and Barbara Zucker School of Medicine at Hofstra/Northwell in Hempstead im Bundesstaat New York haben dafür die Daten aus den elektronischen Gesundheitsakten von 5.700 Patienten aus dem Großraum New York analysiert. Ihre Ergebnisse stellen die Forscher im Journal of the American Medical Association (JAMA) vor [1].
Die Probanden der Studie waren zwischen dem 1. März und dem 4. April 2020 wegen einer schweren COVID-19-Erkrankung in eines von 12 Krankenhäusern in New York City, auf Long Island und im Westchester County aufgenommen worden, die zum Gesundheitsdienstleister Northwell Health gehören. Die Infektion mit SARS-CoV-2 wurde bei allen Patienten mithilfe der Polymerase-Kettenreaktion, kurz PCR, bestätigt.
Eine vergleichbare Studie aus Deutschland existiert bisher nicht
„Die Stärke dieser US-Studie ist die große Zahl an Probanden, auch unterschiedlicher ethnischer Gruppen“, kommentiert Prof. Dr. Thomas Kamradt, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI) und Leiter des Instituts für Immunologie am Universitätsklinikum Jena, im Gespräch mit Medscape. Das mache die Untersuchung sehr viel aussagekräftiger als eine vergleichbare, aber deutlich kleinere Studie aus China, die ähnliche Ergebnisse zu Tage geführt habe. Eine entsprechende Studie aus Deutschland gibt es bislang nicht.
„Die vielleicht größte Schwäche der Studie von Richardson und ihrem Team ist, dass sie mit extrem heißer Nadel gestrickt wurde“, gibt Kamradt allerdings auch zu bedenken. Bislang liegen nur von knapp der Hälfte der Probanden die Ergebnisse vor, da sich die anderen am Ende der Studie noch immer in stationärer Behandlung befanden – mit unklarem Ausgang ihrer Erkrankung. „Insbesondere die Ergebnisse zur Mortalität sind daher noch mit Vorsicht zu behandeln“, sagt Kamradt.
Nur knapp 4 von 10 schwerkranken Patienten waren Frauen
Wie Richardson und ihre Kollegen berichten, wiesen die 5.700 Teilnehmer ihrer Studie ein mittleres Alter von 63 Jahren auf. Nur 39,7% von ihnen waren Frauen. Die häufigsten Begleiterkrankungen, an denen die Probanden litten, waren Bluthochdruck (mit einer Prävalenz von 56,6%), Adipositas (41,7%) und Diabetes (33,8%).
Bei den Diabetes-Patienten war die Wahrscheinlichkeit am höchsten, dass sie auf die Intensivstation verlegt oder künstlich beatmet werden mussten oder wegen Nierenversagens eine Dialyse erhielten. Die Gründe, aus denen die genannten Vorerkrankungen das Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 erhöhen, sind Experten zufolge noch weitgehend unklar.
Einige der bereits entlassenen Patienten mussten erneut ins Krankenhaus
Nur knapp ein Drittel aller 5.700 Teilnehmer der US-Studie (30,7%) hatte bei der Aufnahme ins Krankenhaus Fieber. 17,3% wiesen mit mehr als 24 Atemzügen pro Minute eine erhöhte Atemfrequenz auf. 27,8% erhielten zusätzlichen Sauerstoff. Bei 2,1% konnte eine weitere Virusinfektion der Atemwege nachgewiesen werden. „60% der Probanden hatten eine Lymphopenie, also zu wenige Lymphozyten im Blut“, ergänzt der DGfI-Präsident Kamradt. „Das scheint ein typisches Merkmal für SARS-CoV-2 Infektionen zu sein und wurde auch schon aus anderen Fallserien berichtet.“
45 der US-Patienten (2,2%), die bereits nach Hause entlassen worden waren, wurden im Beobachtungszeitraum erneut in eine Klinik eingewiesen – im Schnitt nach 3 Tagen. „Leider erfährt man in der Studie nichts über die Gründe für die neuerlichen stationären Aufnahmen, obwohl das sicherlich ein interessanter Aspekt gewesen wäre“, bedauert Kamradt.
Etwa jeder 7. Patient wurde auf die Intensivstation verlegt
Ein Outcome erhielten Richardson und ihre Kollegen bisher für 2.634 Patienten, die zum Endpunkt der Studie entweder als gesund aus dem Krankenhaus entlassen worden oder aber gestorben waren. 14,2% dieser Probanden mit einem mittleren Alter von 68 Jahren mussten auf die Intensivstation verlegt werden. „Mit aller Vorsicht können wir diese Zahl vielleicht für die Berechnung der hierzulande benötigten Intensivbetten nutzen“, sagt Kamradt. Nur 33,5% der intensivmedizinisch versorgten US-Patienten waren Frauen.
12,2% der 2.634 Probanden mussten künstlich beatmet werden. 3,2% erhielten eine Nierenersatztherapie in Form einer Dialyse. 21% der Patienten starben. Dabei war auffällig, dass in jeder Altersgruppe – die jeweils eine Zeitspanne von 10 Jahren umfasste – prozentual stets deutlich mehr Männer als Frauen waren. Unter den Klinikpatienten, die jünger als 20 Jahre waren, gab es keine Toten.
„Auch das sind 2 Beobachtungen, die wir bereits in anderen Ländern gemacht haben“, sagt Kamradt. Erklären könne man die Unterschiede zwischen den Geschlechtern bislang allerdings nicht. Man kenne sie aber auch von anderen Krankheiten. Auch an einer Sepsis beispielsweise würden mehr Männer als Frauen sterben.
Dass Kinder und Jugendliche mit COVID-19 offensichtlich besser fertig werden als Erwachsene, liege möglicherweise daran, dass deren Immunsystem generell stärker sei als das älterer Menschen, sagt der Immunologe.
Sehr viele der künstlich beatmeten Patienten starben
Von allen Probanden, die im Verlauf der Studie künstlich beatmet werden mussten (1.151 bzw. 20,2%), waren am 4. April 3,3% wieder zu Hause. 24,5% waren gestorben, und 72,2% lagen noch immer im Krankenhaus. Das mittlere Alter dieser größten Gruppe lag bei 65 Jahren.
Von den insgesamt 320 künstlich beatmeten Probanden, für die bereits ein endgültiges Ergebnis vorliegt, da sie sich zum Studienende nicht mehr im Krankenhaus befanden, starben 88% – für Kamradt „ein hoher Anteil“. Der deutsche Experte geht allerdings ähnlich wie die US-Studienautoren davon aus, dass sich dieses Ergebnis in einer Follow-up-Studie, bei der die Outcomes von allen 5.700 Probanden vorliegen, noch nach unten korrigieren könnte.
Safiya Davidson und das gesamte Team hätten einen entscheidenden frühen Einblick in die Reaktion an vorderster Front auf den Ausbruch von COVID-19 in New York gegeben, wird Prof. Dr. Kevin Tracey, Präsident und CEO der Feinstein Institutes, in einer Pressemitteilung der Forschungseinrichtung zitiert. „Diese Beobachtungsstudie und andere randomisierte klinische Studienergebnisse aus den Feinstein Institutes“, so hofft Tracey, „werden die Versorgung anderer Menschen, die mit COVID-19-Ausbrüchen konfrontiert sind, verbessern.“
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Diesen Artikel so zitieren: COVID-19 im Großraum New York: Forscher stellen die weltweit größte Studie zu Verlauf und Risikofaktoren vor - Medscape - 30. Apr 2020.
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