Leere Klinik-Betten wegen COVID-19: Kliniken wollen Regelversorgung wieder aufnehmen. Wie lange bremst die Politik noch?

Christian Beneker

Interessenkonflikte

29. April 2020

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) fordert vom Bundesgesundheitsministerium (BMG), den Länden und der Bundesregierung eine Erlaubnis, um „die drastisch zurückgestellten Krankenhausbehandlungen wieder aufnehmen zu dürfen“ [1]. Grund dafür sind große Kapazitäten an freien Betten – und damit verbunden wirtschaftliche Sorgen einiger Häuser.

150.000 freie Betten in Deutschland bereiten Klinken Kopfzerbrechen

Die Corona-Pandemie zeigt mitunter überraschende Seiten: Stille Flure, im Park flanierende Ärzte, entspannte Gesichter in den Notaufnahmen – so schildert ein Krankenhausmitarbeiter die Situation in seinem Haus. In manchen Kliniken herrscht offenbar deutlich weniger Hektik als gewohnt.

 
Die derzeitige Situation in den Krankenhäusern erlaubt eine vorsichtige, schrittweise Wiederaufnahme der Regelversorgung. Dr. Gerald Gaß
 

Kein Wunder: Nach Angaben der deutschen Krankenhausgesellschaft zählen Krankenhäuser hierzulande momentan 150.000 freie Betten und 10.000 freie Intensivplätze. Auf Bitten des Bundesgesundheitsministers und der daraus folgenden Verordnungen der Länder haben die Krankenhäuser flächendeckend ihre Kapazitäten für Corona-Patienten zu einem großen Teil geräumt und die Zahl ihrer Intensivbetten drastisch aufgestockt.

Was einerseits den Erfolg der Strategie gegen das Corona-Virus gelten kann, macht den Krankenhäusern nun Sorgen: Es fehlen die Patienten. Unterbliebene Behandlungen sind riskant für die Patienten und riskant für die Erlöse. Darum fordert die DKG, die Beschränkungen langsam wieder zurückzunehmen.

„Die derzeitige Situation in den Krankenhäusern erlaubt eine vorsichtige, schrittweise Wiederaufnahme der Regelversorgung“, erklärte jüngst der Präsident der DKG, Dr. Gerald Gaß. „Die Krankenhäuser haben in den vergangenen Wochen sehr eindrucksvoll bewiesen, dass sie in kürzester Zeit in der Lage waren, sehr verantwortungsbewusst auf die Corona-bedingten Anforderungen zu reagieren.“

Wenige COVID-19-Patienten, große freie Kapazitäten

Tatsächlich zeigen stichprobenartige Nachfragen, dass jede Menge Krankenhaus-Kapazitäten brach liegen. „Bis zum vergangenen Freitag haben wir rund 800 Operationen abgesagt“, berichtet etwa Axel Dittmar, Sprecher des Klinikums Bielefeld. Das Haus hält an seinen 3 Standorten indessen mindestens 40 Intensivplätze vor.

„Die Zahl ist noch erweiterbar“, sagt Dittmar. „Aber derzeit versorgen wir nur 18 positive Corona-Patienten im Haus, von denen 4 Patienten beatmet werden müssen. Außerdem haben wir derzeit 22 Patienten mit Verdacht auf eine Corona-infektion.“

Dittmars Fazit: „Finanziell kommen wir noch klar. Trotzdem muss man Lockerungen je nach Standort der Häuser erwägen. Aus der Sicht des Klinikums Bielefeld wäre eine langsame Lockerung zu vertreten.“

Auch im Städtischen Klinikum Dresden stehen Betten leer, wie die Unternehmenssprecherin Viviane Piffczyk sagt. „Wir halten derzeit 15 Intensivbetten vor, 22 könnten es in der Eskalationsstufe sein. Aber zum Stichtag 20. April versorgen wir insgesamt 8 Corona-Patienten, von denen einer beatmet wird. Eine Woche zuvor waren es noch 16 Corona-Patienten, von denen 6 beatmet wurden.“ Wie viele OPs in Dresden abgesagt wurden, habe die Klinikleitung nicht gezählt, sagt Piffczyk. „Wir haben sie ja nur aufgeschoben und wollen sie in diesem Jahr noch nachholen.“

Ähnlich im Klinikum Dortmund. Dort liegt die Auslastung bei den OPs bei rund 55%, erklärt der Vorsitzende der Geschäftsführung, Rudolf Mintrop. Das Klinikum hält 40 Intensivbetten für Corona-Patienten vor und 30 auf Normalstationen, eine Zahl, die erweiterbar ist. „Derzeit sind 9 Patienten auf der Intensivstation, davon 7 beatmet; weitere 17 auf der Normalstation“, sagt Mintrop. Eine seriöse Gewinn- und Verlustrechnung lasse sich derzeit noch nicht aufmachen. „Ich rechne mit Verlusten, deren Höhe ich nicht beziffern kann. Verluste nicht nur aus stationärer Versorgung, sondern auch aus Ambulanzen, die nur im Notbetrieb arbeiten. Wahlleistungserlöse und Parkhauseinnahmen, die wegfallen, und so weiter.“

Er gehe von einem vorsichtigen Weg in die neue Normalität der Krankenversorgung aus – „unter Beibehaltung von genügend Kapazität bei einem Anstieg der stationären COVID-Patienten“, so Mintrop. „Wir müssen nicht 500 bis 600 Betten leer stehen haben für rund 30 COVID-Patienten. Andererseits möchten wir die Corona-infektiösen Patienten von den übrigen auf eigenen Stationen getrennt halten.“

Bald wieder Normalität in Krankenhäusern? Das letzte Wort haben die Länder

Auf taube Ohren trifft die Forderung der Krankenhausgesellschaft nicht. „Wir werden die hohe Zahl von 10.000 freien Intensivbetten auf Dauer nicht vorhalten können und müssen“, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in der vergangenen Woche. „Ich verstehe die Forderung, die Zahl der Operationen wieder hochzufahren.“

 
Ich verstehe die Forderung, die Zahl der Operationen wieder hochzufahren. Jens Spahn
 

Er verwies aber auch auf die sehr schwierige Balance „in der neuen Normalität der Krankenhäuser“. Das Hochfahren der OP-Zahlen sei nur „schrittweise und mit der nötigen Vorsicht“ möglich. „Wir wollen ab Mai zirka 25 bis 30 Prozent der Intensivbetten für Covid19-Behandlungen vorbehalten“, sagte Spahn. Der Gesundheitsminister verwies auch auf das neue bundesweite Register für Intensiv-Betten, an das die Krankenhäuser ihre Kapazitäten melden müssen. „Damit werden wir Schritt für Schritt genauer werden in der Steuerung“, sagt Spahn.

Nun sind die Länder am Zug. Sie könnten die Verordnungen, die Bettenzahl in den Intensivstationen aufzustocken und frei zu halten, zurücknehmen. Die Versorgung würde dadurch nicht gefährdet, betont die Krankenhausgesellschaft. Die Kliniken würden auch weiter die notwendigen Intensivkapazitäten ausbauen und vorhalten, unabhängig davon, ob schrittweise die Regelversorgung wieder aufgenommen würde, versichert Gaß. „Sollten erste Lockerungen der Kontaktverbote die Infektionszahlen wieder steigen lassen, könnten die Krankenhäuser darauf sehr schnell reagieren.“

 
Sollten erste Lockerungen der Kontaktverbote die Infektionszahlen wieder steigen lassen, könnten die Krankenhäuser darauf sehr schnell reagieren. Dr. Gerald Gaß
 

Alles, was jetzt an Lockerungen komme, müsse mit umfangreichen Tests auf Infektionen beobachtet werden, so Gaß weiter. So könne schnell erkannt werden, wie stark die Zahl der Erkrankten steige. „Aus den Daten ließe sich ablesen, mit welcher Belastung in den Kliniken mit Zeitversatz gerechnet werden müsse. Wenn die Lage auf dem aktuellen Niveau verharrt, gibt es keinen Grund, weiter die extrem hohen Leerstände in den Kliniken zu akzeptieren.“

Neue Empfehlungen für Kliniken

Der Berufsverband der deutschen Chirurgen (BDC) hat mit der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und dem Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA) hat aktuell eine Stellungnahme veröffentlicht mit Empfehlungen zur Wiederaufnahme sogenannter „planbarer Operationen“ in Krankenhäusern. Sie soll den Kliniken, die schwerpunktmäßig COVID-19 infizierte Patienten behandeln, dabei unterstützen, die Kapazitäten für planbare Eingriffe wieder schrittweise zu erhöhen. Sie enthält Prinzipien und Überlegungen die laut DGCH, DGAI, BDC und BDA angelehnt an Publikationen und Verlautbarungen nationaler und internationaler Fachgesellschaften, Krankenhäusern als Leitfaden dienen können, um weiterhin die Sicherheit von Patienten, Personal und Bevölkerung zu gewährleisten.

 

Kommentar

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