Der schnellste Weg zur COVID-19-Impfung: Deutsche Forscher testen RNA-Vakzine – die größten Hürden liegen nicht im Labor

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

28. April 2020

Derzeit befinden sich mindestens 97 Impfstoff-Kandidaten gegen SARS-CoV-2 in der wissenschaftlichen Pipeline, berichtet der Verband forschender Arzneimittelhersteller. In den USA und in China sollen laut Medienberichten bereits Tests an Freiwilligen genehmigt sein. Am Wochenende sorgten Meldungen für Unruhe, nach denen eine der ersten freiwilligen Teilnehmerinnen an einer Impfstoff-Studie in Großbritannien, eine junge Wissenschaftlerin, gestorben sei. Die Meldungen entpuppten sich als Fakenews.

Auch in Deutschland hat das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) jetzt grünes Licht für die erste klinische Prüfung eines Impfstoffs gegeben [1]: einem Projekt des Mainzer Biotechnologieunternehmens BioNTech in Zusammenarbeit mit dem New Yorker Pharmakonzern Pfizer.

Mit RNA-Impfstoffen schneller zur Immunreaktion

„Präklinische Untersuchungen deuten darauf hin, dass sich Spike-Proteine als Ziel des Immunsystems eignen“, sagt Prof. Dr. Uğur Şahin, Vorstandsvorsitzender von BioNTech, Mainz, bei einer Online-Pressekonferenz. Das Verfahren, mit RNAs zu arbeiten, sei gut etabliert und habe mehrere Vorteile: „Wir induzieren im Körper eine starke Immunantwort und können auch große Mengen der Vakzine qualitätsgesichert in kurzer Zeit herstellen“, so Şahin.

Hinzu komme, dass wohl kaum mit einem Wirkverlust der Vakzine durch Virus-Mutationen zu rechnen sei: „Man kennt zwar Polymorphismen in zirkulierenden SARS-CoV-2; diese sind im Bereich der Spikeproteine eher selten. Wir gehen davon aus, dass sich das Virus bis zur Verfügbarkeit eines Impfstoffs nicht gravierend verändern wird.“

Details seien noch zu klären. Ziel der kombinierten Phase-1- und Phase-2-Studie sei nun zunächst, 4 verschiedene RNA-basierte Vakzine zu untersuchen [2]. Sie kommen alle aus der Pipeline von BioNTech. Die RNAs enthalten genetische Informationen für das Spikeprotein von SARS-CoV-2 oder für Teile davon. Im Körper soll es zur Genexpression und zur Protein-Biosynthese kommen. Die wiederum die Immunreaktion generiert. Die 4 Impfstoffkandidaten im Überblick:

  • Nucleosid-modifizierte mRNA: 2 Impfstoffe, jeweils mit der größeren Spike-Sequenz,

  • Uridin-haltige mRNA: 1 Impfstoff, mit kleinerer Rezeptor-Bindungsdomäne,

  • selbstamplifizierende mRNA: 1 Impfstoff, mit kleinerer Rezeptor-Bindungsdomäne.

Die Forscher erwarten, dass sowohl über die Spike-Proteine als auch über die Rezeptor-Bindungsdomäne die Bildung von Antikörpern induziert werden kann, die dann wiederum das Virus bei etwaigen Infektionen neutralisieren.

Der Dosis-Eskalationsteil der Studie umfasst rund 200 gesunde Probanden im Alter zwischen 18 und 55 Jahren. Sie erhalten 1 µg bis 100 µg RNA, um Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffs zu überprüfen.

 
Wir gehen davon aus, dass sich das Virus bis zur Verfügbarkeit eines Impfstoffs nicht gravierend verändern wird. Prof. Dr. Uğur Şahin
 

Nach erfolgreichem Abschluss dieses Teils ist geplant, weitere Probanden der gleichen Altersspanne zu impfen. In dieser 2. Phase sollen auch Personen mit erhöhtem Infektionsrisiko oder mit erhöhtem Risiko für einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung eingeschlossen werden.

Prof. Dr. Klaus Cichutek, Präsident des PEI in Langen, sieht als Herausforderung, dass „die Immunantwort bei Menschen über 60 oft schwächer ausfällt“. Dies sei u.a. ein Thema der Prüfungen der Phase 2. Auch eine Phase-3-Studie zur Sicherheit und Wirksamkeit könne hierzu Informationen liefern. Mögliche Risiken wie infektionsverstärkende Antikörper (ADE, antibody dependent enhancement) habe man dabei im Blick.

Unterschiedliche Strategien der Immunisierung

Neben BioNTech und Pfizer verfolgen weitere Konzerne die Idee, auf der Basis von Nukleinsäuren Immunität zu erzeugen. Dazu gehören lauf VFA CureVac, Moderna, Inovio, Arcturus, LineaRx/Takis, Anges, Translate Bio/Sanofi sowie das Konsortium OPENCORONA unter Leitung des schwedischen Karolinska-Instituts.

„Das Paul-Ehrlich-Institut geht nach derzeitigem Erkenntnisstand davon aus, dass weitere klinische Prüfungen von COVID-19-Impfstoffkandidaten in Deutschland in den nächsten Monaten beginnen werden“, heißt es in der Meldung.

Die klassische Herangehensweise, SARS-CoV-2 heranzuzüchten und zu inaktivieren, wird ebenfalls untersucht. Kürzlich haben chinesische Forscher in einem Preprint erste Ergebnisse aus Tierversuchen veröffentlicht. Basis waren Isolate aus einem Patienten mit COVID-19. Die Viren wurden isoliert, in Vero-Zellen vermehrt und chemisch inaktiviert. Sie erzeugten neutralisierende Antikörper gegen weltweit zirkulierende SARS-CoV-2-Stämme – und zwar in Mäusen, Ratten und nicht-menschlichen Primaten. In diesem Bereich arbeiten auch Novavax, Greffex, die University of Queensland sowie Sanofi zusammen mit GSK.

 
Das PEI geht … davon aus, dass weitere klinische Prüfungen von COVID-19-Impfstoffkandidaten in Deutschland in den nächsten Monaten beginnen werden.  Paul-Ehrlich-Institut
 

Auch vektor-basierte Vakzine sind Thema der weltweiten Forschung. Deren Basis sind u.a. das Modifizierte Vaccinia-Virus Ankara (MVA), das Adenovirus Serotyp 26 sowie der Masernimpfstoff. Forscher tauschen bei diesen Viren native Gene gegen Gene aus, die für Oberflächen-Proteine von SARS-CoV-2 kodieren. Auch hier könnte man in kurzer Zeit große Mengen des Impfstoffs produzieren. Das wird u.a. am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung untersucht. Auch das Unternehmen Janssen arbeitet in diesem Bereich.

Die Immunisierung mit abgeschwächten, sprich attenuierte Lebendviren, ist die älteste Strategie. Bei SARS-CoV würde dies in der aktuellen Situation aber zu lange dauern, um diesen Ansatz bis zur Marktreife zu entwickeln, heißt es.

Von der wissenschaftlichen zur politischen Dimension

Bleibt als Fazit: Forschende Hersteller rechnen frühestens Ende 2020 mit Vakzinen. Şahin selbst macht dazu keine Angaben.

Bis es einen Impfstoff gebe, könne es keine Entwarnung und damit auch keine Lockerungen ohne gleichzeitige Auflagen wie eine Maskenpflicht geben, sagt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. In verschiedenen Medien wird er zitiert: „Für eine Impfpflicht wäre ich sehr offen.“ Impfgegner wiederum lancieren eine Petition mit dem Titel „Zwangsimpfungen gesetzlich untersagen“. Bislang haben mehr als 116.000 Bürger der Forderung online zugestimmt.

 
Die große Story ist, wie viele Millionen von Dosen wir davon produzieren können. Paul Hudson
 

David Loew, Executive Vice President von Sanofi Pasteur, sieht in der FAZ aber ganz andere Probleme: „Sagen wir mal, dass die Hälfte der Bevölkerung geimpft wird, sind wir also bei 8 Milliarden Dosen“, so Loew. „Das sind gigantische Volumina, die man sich kaum vorstellen kann.“ Sanofi Pasteur produziere über alle Impfstoffe hinweg mit 12.000 Mitarbeitern eine Milliarde Dosen im Jahr.“ Über forschende Unternehmen sagt Loew: „Auch wenn einige an der Börse mehrere Milliarden Euro wert sind, haben sie noch nie hunderte von Millionen von Dosen produziert.“

Das bestätigt auch Sanofi-CEO Paul Hudson. Nicht die Entwicklung sei die größte Herausforderung. „Die große Story ist, wie viele Millionen von Dosen wir davon produzieren können.“

Loew wiederum hält Spannungen für recht wahrscheinlich: „Wer als erster den Impfstoff hat, kommt als erster aus der Wirtschaftskrise.“ 2 Beispiele: „Die Vereinigten Staaten werden sagen: Wir haben das finanziert, wir brauchen das jetzt für uns. Bei den Chinesen wird es ähnlich sein“, spekuliert der Executive Vice President von Sanofi Pasteur.

 
Besonders wichtig ist es, zunächst die Beschäftigten im Gesundheitswesen zu schützen, um die gesundheitliche Versorgung sicherzustellen.  Dr. Klaus Reinhardt
 

Deshalb hält es Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, für notwendig, „schon jetzt geeignete Konzepte für eine gestaffelte Verteilung“ zu entwickeln. „Besonders wichtig ist es, zunächst die Beschäftigten im Gesundheitswesen zu schützen, um die gesundheitliche Versorgung sicherzustellen.“ Anschließend müssten Risikogruppen versorgt werden, danach die Allgemeinbevölkerung. Und Cichutek fordert, man brauche „mehr als einen zugelassenen Impfstoff und mehr als einen Hersteller“.

mRNA-Impfstoffe – die Hoffnungsträger gegen das neue Coronavirus: Das steckt dahinter …

Antivirale Schutzimpfungen gegen sich rasch genetisch verändernde Erreger wie Influenzaviren oder gegen neue „Emerging Diseases“ wie Zika und SARS waren bislang eher eingeschränkt erfolgreich. RNA-Impfstoffe werden als neue Hoffnungsträger seit einigen Jahren erforscht. Das Besondere: Sie bestehen aus Messenger-RNA (mRNA) statt aus Viruspartikeln oder deren Bruchstücken. Die im Labor synthetisierte mRNA enthält dabei eine präzise Bauanleitung für erregerspezifische Antigene – die dann die Immunreaktion provozieren.

Bei der Impfung wird die in Nanopartikel verpackte mRNA intramuskulär oder subkutan injiziert. In den Körperzellen dient sie als Kopiervorlage für die Synthese der ausgewählten Virus-Antigene. Wenn die mRNA-modifizierten Körperzellen daraufhin vorübergehend die Bruchstücke des zu bekämpfenden Virus präsentieren, lernt die Immunabwehr der Geimpften, im Falle einer tatsächlichen Infektion auch vor dem natürlichen Erreger zu schützen.

RNA-Impfstoffe könnten sich als Pandemieimpfstoffe besonders eignen. Denn sie lassen sich im Vergleich zu konventionellen Impfstoffen sehr viel schneller und in erheblich größeren Mengen herstellen. Zudem bergen RNA-Impfstoffe keine Infektionsrisiken, sie wirken schon in niedrigen Dosen und es kann so auf Wirkverstärker (Adjuvanzien) in der Regel verzichtet werden.

Ein Manko: Es gibt zurzeit noch keine zugelassenen RNA-Impfstoffe. Aber es laufen mehr als 2 Dutzend klinische Studien der Phasen 1 und Phase 2 mit der neuen Technologie. Indikationen sind u. a. Krebs, monogenetische Erbleiden und Infektionen mit Tollwut-, Zika-, Chikungunya-, Cytomegalie- und Influenza-Viren.

Zurzeit wollen laut WHO-Liste 11 Pharmafirmen und Forschungseinrichtungen RNA-Impfstoffe gegen das Pandemie-Virus SARS-CoV-2 entwickeln, einige von ihnen wollen zugleich ihre mRNA-Plattformen zur Zulassung bringen. Unter ihnen sind die beiden deutschen Biotech-Unternehmen BioNTech und CureVac, die erste klinische Studien von RNA-Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 starten.

 

Kommentar

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