Bei Renitenz in die Psychiatrie? Scharfe Kritik an Sachsens Plänen, Corona-Quarantäne-Verweigerer wegzusperren

Heike Dierbach

Interessenkonflikte

27. April 2020

Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) hat gegen die Pläne des Bundeslandes Sachsen protestiert, Corona-Quarantäne-Verweigerer zwangsweise in psychiatrischen Kliniken unterzubringen [1]. „Psychiatrische Kliniken sind kein Ort, um Fehlverhalten psychisch Gesunder zu ahnden“, sagt DGPPN-Präsident Prof. Dr. Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité, „sie wurden finanziert und gebaut, um Menschen mit psychischen Erkrankungen medizinische Hilfen anzubieten.“

 
Psychiatrische Kliniken sind kein Ort, um Fehlverhalten psychisch Gesunder zu ahnden. Prof. Dr. Andreas Heinz
 

Sachsen hatte bereits 22 Betten in 4 psychiatrischen Krankenhäusern freigeräumt. Nach weiteren Protesten zog Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) den Plan aber inzwischen zurück.

Überwachung in der Klinik durch die Polizei?

„Falls es im Einzelfall dazu kommen sollte, dass sich Menschen den Anordnungen widersetzen, ist es notwendig, die angeordneten Maßnahmen mit Zwang durchzusetzen“, hatte die sächsische Sozialministerin Petra Köpping (SPD) den Plan zunächst begründet, „dazu ist es möglich, diese Menschen mit einem richterlichen Beschluss in einem geschlossenen Teil eines Krankenhauses unterzubringen.“ Dies sei aber nur das „allerletzte Mittel“, das vermutlich nur in Einzelfällen notwendig sei. Die Überwachung in den Kliniken sollte die Polizei übernehmen.

Doch schon das Ansinnen ist für die DGPPN stigmatisierend: „Es gibt in der Bevölkerung ohnehin immer noch Ängste, dass man bei nicht konformem Verhalten in die Psychiatrie ‚weggesperrt‘ wird“, sagt Heinz gegenüber Medscape, „diese werden durch solche Vorschläge verstärkt.“

 
Man mag sich nicht vorstellen, was es da für die therapeutische Arbeit bedeutet hätte, wenn jemand auf der Station von der Polizei bewacht wird. Prof. Dr. Andreas Heinz
 

Tatsächlich gibt es sehr hohe Hürden, bevor jemand gegen seinen Willen in einer Psychiatrie untergebracht werden darf: Er muss psychisch krank sein, sich oder andere gefährden und zudem wegen der Erkrankung nicht ausreichend einsichtsfähig sein. Es braucht 2 verschiedene Gutachter und einen richterlichen Beschluss. „Und selbst dann versuchen die Kliniken, die Atmosphäre offen zu gestalten und Zwangsmaßnahmen soweit es geht zu vermeiden“, betont Heinz. „Man mag sich nicht vorstellen, was es da für die therapeutische Arbeit bedeutet hätte, wenn jemand auf der Station von der Polizei bewacht wird.“

Verweise auf die Geschichte und den Fall Mollath

Auch in den sozialen Medien hatte es harte Kritik an dem Plan in Sachsen gegeben. Kommentare erinnerten an den Missbrauch von Psychiatrien in der NS-Zeit oder den Fall Gustl Mollath. Schließlich twitterte Kretschmer: „Wir nehmen den Erlass zurück. Er hat bei vielen Menschen falsche Sorgen geweckt. Sachsen ist bisher gut durch diese schwere Zeit gekommen. Bleiben wir vernünftig und zusammen.“

Alle Bundesländer stehen allerdings vor der Frage, wo sie Quarantäne-Verweigerer unterbringen. Das Infektionsschutzgesetz nennt explizit „abgeschlossene“ Krankenhäuser oder Stationen als geeigneten Ort. Es bedarf aber in jedem Fall einer richterlichen Anordnung.

Dennoch sind Kliniken bisher offenbar für die meisten Länder nicht die erste Wahl. Hamburg und Schleswig-Holstein erwägen, den Ausreise-Gewahrsam am Hamburger Flughafen zu nutzen, in Nordrhein-Westfalen wurden Hallen vorbereitet. Bisher gibt es aber bundesweit nur wenige Berichte über Menschen, die trotz positivem Testbefund die Quarantäne verlassen.

Die Gründe der Verweigerer sind vielschichtig

Aber wie ist aus fachlicher Sicht der richtige Umgang mit uneinsichtigen Patienten, die ja mit ihrem Verhalten andere einem Ansteckungsrisiko aussetzen? „Man muss erstmal sehen, dass die Gründe vermutlich sehr vielschichtig sind“, sagt Heinz, „und dann sollte der erste Schritt immer das Gespräch sein.“

Natürlich könne man auch Strafen, etwa Geldstrafen, einsetzen, „aber auch die sind wirkungsvoller in der Kombination mit einem Gespräch.“ Dass es jemand zu Hause nicht aushalte, bedeute nicht zwangsläufig, dass ihm das Infektionsrisiko völlig egal ist. „Er hat aber vielleicht andere starke Bedürfnisse, die damit kollidieren.“ Bei manchen spielten möglicherweise auch Verschwörungstheorien eine Rolle, so dass sie die Bedrohung durch die Infektion nicht sähen.

Ganz neu ist das Problem Quarantäne-Verweigerung in der Versorgung nicht: Auch Tuberkulose-Patienten müssen bisher schon eine Quarantäne in Deutschland einhalten, und nicht alle befolgen das. Auch sie müssen mit Zwangsmaßnahmen rechnen – Deutschland hält dafür 2 Kliniken in Bayern und in Nordrhein-Westfalen vor. Bei vielen dieser Patienten sind allerdings psychische Komorbiditäten der Grund für ihr Verhalten.

 
Wir müssen Gesetze für die öffentliche Gesundheit entwickeln, die eher auf Unterstützung als auf Sanktionen setzen. Dr. Wendy E. Parmet
 

Auch in den USA ist der richtige Umgang mit (Zwangs-)Quarantäne derzeit ein Thema. Im New England Journal of Medicine betonen die Autoren um Dr. Wendy E. Parmet, Northeastern University School of Law, Boston, USA, die Isolation dürfe immer nur ein Mittel von mehreren Maßnahmen sein: „Wenn wir COVID-19 effektiv begegnen wollen, brauchen wie neue juristische Mittel. Jetzt, wo die Krankheit in unseren Gemeinden angekommen ist, müssen wir Gesetze für die öffentliche Gesundheit entwickeln, die eher auf Unterstützung als auf Sanktionen setzen.“

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....