Der jährliche Kongress der American College of Cardiology (ACC20/WCC virtual) fand erstmals ausschließlich online statt, nachdem das übliche Meeting wegen der COVID-19-Pandemie abgesagt worden war [1]. Ein halbes Jahr zuvor hatten beim AHA-Kongress im November 2019 noch die potenziellen Verwerfungen durch die ISCHEMIA-Studie für Diskussionsstoff gesorgt und seit damals kursierte immer wieder die Frage, wann sie wohl veröffentlicht werden würde.
Jetzt hat das New England Journal of Medicine diesem ein Ende gemacht: Am letzten ACC-Tag wurde – nach Abschluss des Peer-Reviews – die vollständige ISCHEMIA-Studie publiziert [2].
Berühmt (und viel diskutiert) war die Studie geworden, weil sie ergeben hat, dass ein frühzeitiges invasives Management bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer KHK keine besseren klinischen Ergebnisse bringt als eine konservative medikamentöse Behandlung – dies nach einem durchschnittlichen Beobachtungszeitraum von 3 Jahren.
Neben der aktuellen Publikation von ISCHEMIA, die mit einer Fülle bisher unbekannter Einzelheiten und mindestens einer aussagekräftige Alternativanalyse aufwartet, veröffentlichte das NEJM auch einige weitere Ergebnisse, über die zumindest in Auszügen bereits im November berichtet worden war.
Dazu gehört z.B. die parallel laufende ISCHEMIA-CKD-Substudie, welche die beiden therapeutischen Strategien bei Patienten mit fortgeschrittener chronischer Niereninsuffizienz einschließlich Dialysepatienten (die aus der Hauptstudie ausgeschlossen waren) vergleicht. Auch eine Analyse des Gesundheitszustands bei Angina pectoris, sowie umfangreiche Daten-Supplements für beide Untersuchungen finden sich in der Publikation sowie ein Editorial, für das verschiedene bekannte Kardiologen gezeichnet haben.
Auf der Basis der Berichte fassten die Autoren des Editorials Prof. Dr. Elliott M. Antman und Prof. Dr. Eugene Braunwald vom Brigham and Women's Hospital, Lehrkrankenhaus der Harvard Medical School in Boston, den aktuellen Stand so zusammen [3]: „Wenn die leitlinienbasierte Behandlung strikt eingehalten wird, können Patienten mit stabiler ischämischer Herzerkrankung, die dem Profil der ISCHEMIA-Patienten entsprechen und keine inakzeptablen Angina-pectoris-Zustände aufweisen, zunächst konservativ behandelt werden. Eine invasive Strategie, welche die Beschwerden durch eine Angina pectoris vor allem bei häufigen Anfällen wirksamer lindert, ist jedoch zu jedem Zeitpunkt ein gangbarer Weg.“
Patienten mit stabiler KHK und einer fortgeschrittenen chronischen Nierenkrankheit haben ein mehr als dreifach höheres Risiko für klinische Ereignisse wie Patienten ohne Nierenbeteiligung. „Aber anscheinend senkt eine initiale invasive Strategie bei diesen Patienten weder die Ereignisraten noch lindert es die Anginasymptomatik“, schreiben sie weiter. „Daher können Patienten mit stabiler KHK und chronischer Nierenkrankheit in der Regel konservativ behandelt werden.“
Neu beim ACC.20/WCC
Diese Einschätzung wird durch eine von mehreren Follow-up-Untersuchungen im Dunstkreis der ISCHEMIA-Studie gestützt, die ebenfalls auf dem ACC.20/WCC vorgestellt wurden. Dabei handelt es sich um eine gepoolte Analyse von ISCHEMIA- und ISCHEMIA-CKD-Patienten, welche die verschiedenen Stadien der basalen Nierenfunktion von „normal“ bis „Nierenversagen“ berücksichtigt.
Weder eine initiale invasive Strategie noch der konservative Therapieansatz taten sich in irgendeiner durch die Nierenfunktion definierten Subgruppe nennenswert hervor, und ihre relativen primären und sekundären Outcomes zeigten dies jeweils in beiden Studien.
Die Wahrscheinlichkeit, frei von Anginabeschwerden zu bleiben, war jedoch bei einem frühzeitig invasiven Ansatz höher. „Dieses Ergebnis hing stark mit der ursprünglichen Häufigkeit der Anginaanfälle zusammen. Der Benefit war bei Patienten mit täglichen oder wöchentlichen Schmerzanfällen infolge der Angina am größten und bei Patienten ohne Anginabeschwerden zu vernachlässigen“, sagte der Hauptautor der ISCHEMIA-CKD Dr. Sripal Bangalore vom New York University Langone Health bei der Vorstellung der gepoolten Daten.
„Darüber hinaus ist die Wahrscheinlichkeit, durch eine invasive Intervention anginafrei zu werden, bei eingeschränkter Nierenfunktion geringer.“
Es würden zu wenige Studien an Herzpatienten mit Nierenfunktionsstörungen durchgeführt, so die an der Präsentation teilnehmende Dr. Alice K. Jacobs von der Boston University School of Medicine, die nicht an der ISCHEMIA-Studie beteiligt war, dabei seien doch Koronarerkrankungen die Haupttodesursache bei Patienten mit chronischer Nierenkrankheit und diese Patienten hätten auch ein erhöhtes KHK- und Mitralinsuffizienzrisiko.
Solche Patienten seien „in aller Regel schwierig zu behandeln. Bei einem invasiven Ansatz muss man immer darauf gefasst sein, bei nicht dialysepflichtigen Patienten eine akute Nierenschädigung auszulösen. Und auch das Blutungsrisiko und die medizinische Therapie nach den Leitlinien sind nicht immer optimal“. Das läge zum Teil daran, dass sie sich nicht für eine Therapie mit Renin-Angiotensin-Inhibitoren eigneten und „manchmal auch nicht für eine duale Plättchenhemmung“, sagte Jacobs.
„Jetzt haben wir also endlich einige randomisierte Untersuchungsdaten, die wir in unsere klinischen Überlegungen miteinbeziehen können.“
Insgesamt ähnelten die basalen Ergebnisse nach durchschnittlich etwa 2 Jahren in der ISCHEMIA-CKD denen der Hauptstudie – und wurden sogar vielfach an denselben Zentren parallel durchgeführt. Teilnehmer waren 777 Patienten mit fortgeschrittener Niereninsuffizienz (eGFR < 30 ml/min/1,73 m2) oder mit dialysepflichtiger terminaler Niereninsuffizienz.
Konsistente Ergebnisse
Der ähnliche Gesamtnutzen aus der ISCHEMIA-Hauptstudie mit 5.179 Patienten betraf den primären Endpunkt der Wirksamkeit, der sich aus kardiovaskulär bedingtem Tod, Myokardinfarkt, Klinikeinweisung aufgrund einer instabilen Angina pectoris oder Herzinsuffizienz sowie einer Reanimation nach Herzstillstand zusammensetzte. Sekundäre Endpunkte waren kardiovaskulär bedingter Tod oder Myokardinfarkt als gemischter Endpunkt und die anginabedingte Lebensqualität.
Die große Gleichheit zwischen invasiven und konservativen Ansätzen bei den primären und sekundären Endpunkten erstreckte sich über sämtliche Schweregrade der Ischämie und auch andere Ausgangsmerkmale.
Eine schwerere und ausgedehntere KHK erhöhte das Risiko für Tod und Myokardinfarkt, doch wurde auch dieses Risiko durch den invasiven Ansatz über 4 Jahre nicht signifikant gesenkt, selbst in der Untergruppe mit schwerer Dreigefäßerkrankung oder bei Zweigefäß-Erkrankung mit proximaler linksventrikulärer Beteiligung nicht, sagte der Hauptprüfarzt der ISCHEMIA-Studie Dr. David J. Maron von der Stanford University School of Medicine in Kalifornien anlässlich einer Präsentation, die sich auf die pathologische Anatomie und die Schweregrade der Ischämien in der Studie konzentrierte.
Bei einer Diskussion über die Ergebnisse erkundigte sich Jacobs, ob vielleicht die Einrichtung einer 50%-Schwelle für die Definition einer signifikanten KHK in der Studie „die Ergebnisse in irgendeiner Form beeinflusst oder verwässert hat“.
„Wir werden uns das sehr genau ansehen“, antwortete Maron. „Ich halte es für durchaus möglich, dass die Einbeziehung von Personen mit einem Stenosegrad von unter 70% unsere Fähigkeit, einen Unterschied aufzuzeigen, beeinträchtigt haben könnte. Aber das wissen wir noch nicht genau.“
Es seien weitere Analysen geplant, die sich mit Patienten mit einer Kombination aus schwerer Ischämie und Mehrgefäßerkrankung, mit den Crossover-Raten von anatomischer Erkrankung und Ischämie-Schweregrad sowie mit Risikofaktor-Zielen und Outcomes befassen, stellte er fest.
Die Untersucher haben beim National Institutes of Health einen erneuten Zuschuss zur Erweiterung des Nachbeobachtungszeitraumes auf 10 Jahre beantragt.
Neue Daten
Das Editorial von Antman und Braunwald bezieht sich unter anderem auf eine viel diskutierte Unregelmäßigkeit bei mindestens einem Endpunkt in ISCHEMIA, und zwar auf die Umkehrung des Verhältnisses bei den Myokardinfarkten zwischen den beiden Strategien während der ersten 4 Jahre.
Darin heißt es: „Die Kaplan-Meier-Kurven zeigten in den ersten 6 Monaten der Studie in der invasiven Therapiegruppe eine Tendenz zu häufigeren Myokardinfarkten (vorwiegend prozeduraler Art) im Vergleich zur konservativen Therapiegruppe. Doch im weiteren Verlauf der Studie kreuzten sich die Kurven, und es kam in der Gruppe mit der konservativen Behandlung zu mehr Myokardinfarkten (vorwiegend spontan).“
Nach 4 Jahren war die Inzidenz des prospektiv definierten primären Endpunkts „in der konservativ behandelten Gruppe höher als in der invasiv behandelten (13,9% vs. 11,7%). Es ist möglich, dass die ISCHEMIA-Studie beendet wurde, bevor sich ein signifikanter Unterschied zugunsten der invasiven Therapie einstellte.“
Doch bei einer Analyse der Myokardinfarktraten nach einer sekundären Definition „unterschieden sich die Anzahl und das Muster der Myokardinfarkte, was zu Ergebnissen führte, die während der gesamten Nachbeobachtungszeit die konservative Strategie begünstigten“, heißt es in dem Artikel. Diese sekundäre Infarktanalyse war zuvor noch nicht diskutiert worden.
„Obwohl hinsichtlich der Interpretation der ISCHEMIA-Ergebnisse eine gewisse Unsicherheit besteht, weil der Unterschied in den Ergebnissen zwischen den beiden Behandlungsansätzen durch die Ergebnisse zum Myokardinfarkt bedingt ist und diese Ergebnisse von der in der Analyse verwendeten Definition abhängen, scheint der invasive Ansatz während des 4-jährigen Follow-up mit keinen klinisch bedeutsamen Unterschieden beim Outcome verbunden zu sein“, so die Autoren weiter. „Dieses Ergebnis hebt die Bedeutung der modernen krankheitsmodifizierenden Pharmakotherapie bei der KHK hervor.“
Erkenntnisse durch die nach Nierenfunktion gepoolten Kohorten
Die breite Heterogenität beim Outcome in den beiden Studien betraf auch das gesamte Spektrum der Nierenfunktion in der gepoolten ISCHEMIA- und ISCHEMIA-CKD-Analyse, erläuterte Bangalore in seinem Vortrag.
Die Analyse umfasste die 5.179 ISCHEMIA-Patienten mit stabiler Angina pectoris und mäßiger bis schwerer Ischämie und einer eGFR von mindestens 30 ml/min/1,73 m2 sowie die 777 Patienten in ISCHEMIA-CKD mit mäßiger oder schwerer Ischämie und einer eGFR unter 30 ml/min/1,73 m2 oder Dialysepflicht.
Die gepoolten Kohorten wurden nach der Stadienteilung 1 bis 5 der Niereninsuffizienz über die glomeruläre Filtrationsrate stratifiziert, d.h. von Stadium 1 mit einer eGFR von mindestens 90 ml/min/1,73 m2 (1.889 Patienten) bis zu Stadium 5 oder Dialyse mit eGFR-Werten unter 15 ml/min/1,73 m2 (467 Patienten).
Die Ereignisraten standen unabhängig vom Behandlungsansatz in einem umgekehrten Verhältnis zur Nierenfunktion. Je schlechter die Nierenfunktion war, desto signifikant häufiger kam es zu Ereignissen der primären und sekundären kombinierten Endpunkte aus der ISCHEMIA- Hauptstudie und auch die Gesamtmortalität und die Myokardinfarktrate allein nahmen zu (p < 0,001 für alle).
„Wir beobachteten einen exponentiellen Anstieg bei den kardiovaskulären Ereignissen bei zunehmend eingeschränkter Nierenfunktion“ und einen ähnlichen Zuwachs bei den verfahrensbedingten Komplikationen und Blutungen, sagte Bangalore. „Es gab über das gesamte Spektrum der Niereninsuffizienz keine Evidenzen für eine aussagekräftige Heterogenität des Behandlungseffekts beim klinischen Outcome.“ Dies galt sowohl für primäre als auch für sekundäre Endpunkte.
Es gab jedoch einen „signifikanten und anhaltenden Benefit beim invasiven Ansatz bei der Lebensqualität mit Blick auf die anginabedingten Beeinträchtigungen“, der mit der Abnahme der Nierenfunktion und dem Nachlassen der Anginasymptomatik schwächer wurde, sagte er.
„Es dürfte nicht überraschend sein, dass sich mit zunehmender Niereninsuffizienz auch das kardiovaskuläre Outcome verschlechtert und die Komplikationen zunehmen“, so Jacobs. „Und es erscheint auch plausibel, dass sich die Lebensqualität und die Angina pectoris unter einer terminalen Niereninsuffizienz nicht signifikant verändern“, fügte sie hinzu. „Die Patienten müssen 3-mal wöchentlich zur Dialyse. Ihre Lebensqualität muss eingeschränkt sein und das ist wahrscheinlich nicht der Angina geschuldet.“
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Diesen Artikel so zitieren: ISCHEMIA-Studie jetzt endlich im NEJM publiziert – und die Debatten reißen nicht ab … - Medscape - 24. Apr 2020.
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