TWILIGHT-Studie bei Diabetikern nach Koronarintervention: ASS bei dualer Plättchenhemmung nicht zu lang verordnen!  

Patrice Wendling

Interessenkonflikte

24. April 2020

Bei der Behandlung von Diabetikern gibt es viele Besonderheiten, doch im Falle einer Ticagrelor-Monotherapie nach einer perkutanen Koronarintervention (PCI) scheinen sie denselben Benefit zu haben wie andere Hochrisikopatienten.

Ein Absetzen von ASS nach 3 Monaten bei bestehender Ticagrelor-Medikation verringerte die Zahl klinisch relevanter Blutungen und auch der ischämischen Komplikationen im Vergleich zur Einnahme beider Substanzen über 1 Jahr. Das ist das Ergebnis der TWILIGHT-DM-Studie. Sie wurde im Rahmen des virtuellen ACC 2020 vorgestellt und gleichzeitig im Journal of the American College of Cardiology veröffentlicht [1].

Ticagrelor-Monotherapie als Strategie gegen erhöhte Blutungsrisiken

„Sind wir denn bereit, das auch umzusetzen? Ich glaube schon“, sagte der Hauptautor der Studie Dr. Dominick Angiolillo vom College of Medicine der University of Florida in Jacksonville. „Wir haben eine Menge Daten, nicht nur aus der TWILIGHT-Studie, sondern auch aus mehreren anderen Studien, die keine Anzeichen für Schädigungen erkennen lassen und die Blutungen gehen zurück. Ich würde es also auf jeden Fall begrüßen, wenn dies in Europa und in den USA Einzug in die Leitlinien hielte und auch auf dem Medikament selbst ausgewiesen würde“, fügte er hinzu.

 
Ich würde es auf jeden Fall begrüßen, wenn dies in Europa und in den USA Einzug in die Leitlinien hielte. Dr. Dominick Angiolillo
 

Die Ergebnisse seien „aussagekräftig und robust und zeigen insbesondere, dass sich die Vorteile der Ticagrelor-Monotherapie, die sich zuvor in der primären TWILIGHT-Studie und auch in einer Untergruppe mit akutem Koronarsyndrom (ACS) gezeigt hatten, auch auf Hochrisikopatienten mit Diabetes erstrecken“, erklärte Dr. Sammy Elmariah, Direktor des Forschungsinstituts für interventionelle Kardiologie am Massachusetts General Hospital in Boston, per E-Mail gegenüber Medscape.

Diabetiker haben nach einer PCI bekanntermaßen ein erhöhtes Risiko sowohl für ischämische Komplikationen als auch für Blutungen, und eine KHK tritt häufiger auf.

Tatsächlich hatten fast 70% der Diabetes-Untergruppe eine Mehrgefäßerkrankung, und die durchschnittliche Gesamt-Stentlänge betrug 40 mm. Doch selbst in dieser eindeutig risikobehafteten Kohorte nehme die Zahl der ischämischen Ereignisse nicht zu, sondern bleibe mit der Ticagrelor-Monotherapie im Vergleich sogar unter den DAPT-Zahlen (DAPT = duale Antiplättchen-Therapie), stellte Elmariah fest.

„Vorrangig zu beantworten ist jetzt die Frage nach der optimalen Dauer der Monotherapie. Angesichts des günstigeren Sicherheitsprofils von Ticagrelor (im Vergleich zur DAPT) könnten längere Anwendungszeiträume von über 12 Monaten ein sicheres Mittel zur Verringerung des langfristigen ischämischen Risikos bedeuten.“

 
Angesichts des günstigeren Sicherheitsprofils von Ticagrelor (…) könnten längere Anwendungszeiträume … ein sicheres Mittel zur Verringerung des langfristigen ischämischen Risikos bedeuten. Dr. Sammy Elmariah
 

Vergleich mit Ergebnissen aus THEMIS

Der Ko-Vorsitzende der Sitzung, Prof. Dr. Deepak Bhatt vom Bostoner Brigham und Women's Hospital, überlegte, wie die neuen Ergebnisse mit den THEMIS-Daten in Einklang gebracht werden könnten. Er schlug vor, dass eine längerfristige Therapie bei Diabetes-Patienten mit Ticagrelor plus ASS gerechtfertigt sein könnte.

„Könnte man Ihre Studie extrapolieren und sagen: Vielleicht könnte eine längerfristige Ticagrelor-Therapie über den Zeitraum von 12 bis 15 Monaten hinaus bei Patienten mit Diabetes, insbesondere bei Patienten mit ACS oder PCI oder beiden, tatsächlich angebracht sein?“, fragte Bhatt.

„Auf jeden Fall“, antwortete Angiolillo. Die aktuellen Ergebnisse sowie die THEMIS-Daten und eine von Bhatt angeführte Diabetes-Analyse der PEGASUS-Studie, die eine geringere Mortalität gezeigt habe, sprächen zudem für einige „spezifische Vorteile von Ticagrelor“ für Diabetiker.

„Einer davon könnte mit der 2-mal täglichen Gabe des Medikaments zusammenhängen, und wie wir wissen, haben Patienten mit Diabetes einen höheren Thrombozytenumsatz“, sagte er.

TWILIGHT-DM: Details zur Studie

Die TWILIGHT-DM konzentrierte sich auf 2.620 Hochrisikopatienten mit Diabetes (Durchschnittsalter 64,8 Jahre) aus der TWILIGHT-Hauptstudie, die 3 Monate lang mit Ticagrelor plus ASS behandelt worden waren. Wenn sie ereignisfrei und kooperativ waren, erhielten sie für weitere 12 Monate randomisiert Ticagrelor plus ASS oder Ticagrelor plus Placebo.

Über eine 1-jährige Nachbeobachtung betrug in der Intention-to-treat-Kohorte die Rate für Blutungen der BARC-Grade 2, 3 oder 5 in der Gruppe Ticagrelor plus Placebo 4,5% und bei Ticagrelor plus ASS 6,7% (Hazard Ratio 0,65; p = 0,01).

Für den primären Endpunkt wurde im Vergleich zu 4.499 nicht diabetischen Patienten kein signifikanter Zusammenhang gefunden (p = 0,23), „was die Konsistenz zwischen den diabetischen und nicht diabetischen Kohorten unterstützt“, sagte Angiolillo.

Patienten mit Diabetes, die einer Ticagrelor-Monotherapie zugeteilt wurden, wiesen auch bei anderen Blutungsdefinitionen einen signifikanten Rückgang auf: BARC 3 oder 5 (1,1 % versus 1,3 %), TIMI-Minor- oder -Major-Blutungen (4,5 % versus 6,7 %), GUSTO-Klassifikation „mäßig bis schwer“ (0,7 % versus 2,3%) und ISTH-Kriterien „major“ (1,4 % versus 3,1 %). Ein positiver Zusammenhang war nur bei der GUSTO- Klassifikation erkennbar (p = 0,03).

In der Per-Protokoll-Analyse der ischämischen Ereignisse war die Ticagrelor-Monotherapie mit einer nicht signifikanten 23-prozentigen Reduktion für die 1-Jahres-Rate bei der Gesamtmortalität, der Myokardinfarkt- oder der Schlaganfallrate im Vergleich zur DAPT verbunden (4,6% versus 5,9%; HR 0,77; p = 0,14; p für Interaktion = 0,05).

Die Zahlen lagen für die meisten der anderen ischämischen Ereignisse unter einer Ticagrelor-Monotherapie niedriger, ohne dass ein signifikanter Zusammenhang zu sehen gewesen wäre:

  • kardiovaskulär bedingter Tod, Myokardinfarkt oder ischämischer Schlaganfall (4,4% versus 5,5%)

  • Tod jeglicher Ursache (1,3% versus 2,0%)

  • kardiovaskulär bedingter Tod (1,2% versus 1,5%)

  • Myokardinfarkt (3,1% versus 4,1%)

  • definitive/wahrscheinliche Stentthrombose (0,5% versus 0,7%)

  • ischämischer Schlaganfall (0,6% versus 0,4%).

In einer explorativen Datenanalyse der NACE (net adverse clinical events), definiert als BARC 3 oder 5, Tod, Myokardinfarkt oder Schlaganfall, betrugen die Raten 5,4% für Ticagrelor plus Placebo und 8,7% für Ticagrelor plus ASS (HR: 0,61; p = 0,001), woraus sich für die Ticagrelor-Monotherapie eine NNT (number needed to treat) von 30 ergibt, um eine NACE zu verhindern.

Bei Subgruppenanalysen waren die Ergebnisse für ACS-Patienten gegenüber Patienten mit stabiler KHK und Patienten mit oder ohne Insulinpflicht konsistent. Die Randomisierung stratifizierte die Patienten jedoch nicht nach dem Diabetes-Status und nicht nach Multimorbidität.

Weitere Einschränkungen bestehen darin, dass die Serum-Glukose und der HbA1c-Wert nicht bestimmt wurden, dass Patienten mit ST-Hebungsinfarkt aus der Studie ausgeschlossen wurden und die Ergebnisse möglicherweise nicht auf Patienten übertragbar sind, die mit anderen oralen P2Y12-Antagonisten, insbesondere Clopidogrel, behandelt wurden.

Möglicherweise stärkere Blutungen unter ASS

Bei der Diskussion fragte die Podiumsteilnehmerin Dr. Jacqueline Tamis-Holland vom Mount Sinai/St. Luke's Hospital in New York City, warum bei den diabetischen Patienten hinsichtlich der ischämischen Endpunkte ein größerer Benefit zu verzeichnen sei.

„Dies ist letztlich auf die potenzielle Schädigung durch Blutungen zurückzuführen“, sagte Angiolillo und bemerkte, dass es zwischen den beiden Gruppen einen deutlichen Unterschied bei BARC-3 oder -5 Blutungen gab. Es gäbe auch Hinweise in der Literatur, wonach Diabetes-Patienten durch die magensaftresistente ASS-Galenik eine stärkere Blutungsneigung entwickeln könnten, die vornehmlich mit der Integrität der Magen-Darm-Schleimhaut erklärt werde.

„Diese Patienten bluten also häufiger und stärker und wir wissen, dass ein enger Zusammenhang zu ischämischen Ereignissen besteht“, sagte er.

„Das ergibt Sinn“, sagte Tamis-Holland, „vermutlich war das schon immer die Frage: Stoppt man bei einer Blutung alle Thrombozytenfunktionshemmer und erhöht dadurch das Ischämierisiko?"

Vermindertes Ansprechen auf Clopidogrel bei Diabetes

Die Ko-Vorsitzende der Sitzung Dr. Michelle O'Donoghue, ebenfalls vom Brigham and Women's Hospital, merkte an, dass die Ärzte bei der Einstellung einer ASS-Therapie im Rahmen einer Doppeltherapie zurückhaltender sind als bei der Dreifachtherapie, und fragte: „Würden Sie davor warnen, Clopidogrel als Monotherapie zu verwenden, wenn sie sich zum Absetzen von ASS entscheiden?“

„Unbedingt“, antwortete Angiolillo. Bei Diabetes-Patienten gäbe es ein vermindertes Ansprechen auf Clopidogrel, was mit um etwa 30 % bis 40 % weniger aktiven Metaboliten einhergehe.

„Wenn Sie also auf jeden Fall eine Monotherapiestrategie verfolgen, insbesondere bei Patienten mit Diabetes, sollte die Wahl nicht auf Clopidogrel fallen“, sagte er.

 
Wenn Sie also auf jeden Fall eine Monotherapiestrategie verfolgen, insbesondere bei Patienten mit Diabetes, sollte die Wahl nicht auf Clopidogrel fallen. Dr. Dominick Angiolillo
 

Noch zu klären: Wie lange sollten Diabetiker Ticagrelor und ASS erhalten?

Bei einem späteren Medien-Briefing sagte Prof. Dr. Claire Duvernoy von der Universität von Michigan in Ann Arbor und Mitglied im ACC-Vorstand: „Wir wissen jetzt besser, für welche Patienten eine sichere Monotherapie möglich ist. Wir wissen jetzt etwas über ACS-Patienten und über Patienten mit komplexen PCI und jetzt auch über Diabetiker, die ja eine wachsende Patientengruppe darstellen. Deshalb halte ich diese Erkenntnisse für äußerst wichtig.“

 
Wir wissen jetzt besser, für welche Patienten eine sichere Monotherapie [mit Ticagrelor] möglich ist. Prof. Dr. Claire Duvernoy
 

Sie stimmte der Aussage zu, dass eine der wichtigsten offenen Fragen die optimale Dauer einer Doppeltherapie mit Ticagrelor betrifft.

„Können wir das weiter verkürzen und beispielsweise auf 1 Monat heruntergehen?“, fragte Duvernoy. „Die andere Frage ist, können wir jetzt Chirurgen überzeugen, Patienten unter einer Ticagrelor-Monotherapie zu operieren, wenn wir gerade erst an den Punkt angelangt sind, an dem sie widerwillig Patienten unter einer ASS-Monotherapie operieren?“

Die 3-monatige Anwendung von Ticagrelor wurde in Zusammenarbeit mit den Zulassungsbehörden konzipiert und berücksichtigt das Thema der Adhärenz, aber „ich denke, dass auch eine kürzere Dauer der dualen Therapie möglich ist“, sagte Angiolillo.

Hinsichtlich des Zögerns aufseiten der Chirurgie bemerkte er, dass es vor 20 Jahren ein klares Nein zu der Idee gab, Patienten unter Clopidogrel zu operieren, und dass jetzt ein spezifisches Gegenmittel für Ticagrelor mit bisher positiven Resultaten entwickelt werde.

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com  übersetzt und adaptiert.

 

Kommentar

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