Nach Expertenwarnung: Keine Schnelltests auf Antikörper gegen SARS-CoV-2 mehr in Apotheken, doch Internethandel boomt

Dr. Angela Speth

Interessenkonflikte

23. April 2020

Dieses Kratzen im Hals vorige Woche, dazu Husten und leichtes Fieber – ob das COVID-19 war? Wenn ja, wäre man immun und diese lästige Angst los, sich anzustecken, so denken derzeit viele. Und um sich rasch und unkompliziert Gewissheit zu verschaffen, bestellen sie dann im Internet einen Selbsttest. Die Labor-Utensilien auf dem Küchentisch – was ist von Do-it-yourself bei den Corona-Antikörpertests zu halten?

 
Von den derzeit verfügbaren Selbsttests auf Antikörper gegen das Virus SARS-CoV-2 ist allen medizinischen Laien strikt abzuraten. Prof. Dr. Martin Schulz
 

„Von den derzeit verfügbaren Selbsttests auf Antikörper gegen das Virus SARS-CoV-2 ist allen medizinischen Laien strikt abzuraten“, urteilt Prof. Dr. Martin Schulz gleich im ersten Satz des Gesprächs mit Medscape. Unmissverständlich macht Schulz, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker, seine Ablehnung klar: „Diese Schnelltests sind nicht verlässlich genug, es gibt zu viele Fehlerquellen und das wiederum kann gesundheitliche Risiken nach sich ziehen.“

Apotheken droht bei Verkauf eine hohe Geldstrafe

Doch nicht nur das: Das Regierungspräsidium Tübingen hat mittlerweile die Abgabe der Tests an Apothekenkunden oder Patienten für rechtswidrig erklärt. Nun raten Juristen der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) in einem aktuellen Schreiben (21.4.2020) ebenfalls dringend von einem Verkauf der Schnelltests ab, berichtet das Portal Apotheke Adhoc.

Prof. Dr. Martin Schulz

Ein Verstoß könne als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu 30.000 Euro geahndet werden. Ebenso ist es untersagt, Kunden direkt in der Apotheke zu testen. Die Anwendung sei ausschließlich Ärzten vorbehalten, weil es sich nach dem Infektionsschutzgesetz bei COVID-19 um eine „bedrohliche übertragbare Krankheit“ handelt. Da Experten außerdem die Aussagekraft der Tests bezweifeln, sei es gut, wenn die Apotheken sich zurückhalten, wird ein Verbandssprecher zitiert

Auch die Bevölkerung insgesamt wird unisono vor dem Selbermachen gewarnt, etwa vom Gesundheitsministerium, von Krankenkassen, Ärzteverbänden aller Art, Behörden wie dem Paul-Ehrlich- oder dem Robert Koch-Institut.

Goldene Zeiten für Online-Händler

Doch offenbar treffen die Warnungen häufig auf taube Ohren, denn statt in den Apotheken vor Ort boomt das Geschäft dann eben im Internet: Nach Recherchen des Norddeutschen Rundfunks stammen fast alle Schnelltests aus China, meist aus der Stadt Hangzhou, wo mehrere Hersteller ihren Sitz haben. Händler aus der ganzen Welt vertreiben sie dann teils unter eigenem Markennamen, hauptsächlich über Online-Shops, zum scheinbar recht günstigen Preis von etwa 30 bis 40 Euro.

 

Versteht sich, dass die Kassen die Kosten nicht übernehmen. Ein Hersteller habe den NDR-Reportern mitgeteilt, innerhalb kürzester Zeit Hunderttausende dieser Tests verkauft zu haben. Auch in Deutschland gebe es eine hohe Nachfrage. So lägen einer Firma schon eine Million Bestellungen vor, eine weitere wolle künftig 10 Millionen Testkits pro Monat ausliefern.

„Dass solche Tests eine Verlockung darstellen, ist verständlich und nachvollziehbar“, betont Schulz, der auch als Honorarprofessor an der Freien Universität Berlin tätig ist. „Angst und Sorge sind groß, die Menschen wollen Sicherheit haben. Und zu wissen, dass man immun ist, würde eine enorme Erleichterung bedeuten und hätte ja auch erhebliche Auswirkungen auf den Alltag.“

 
Es kursieren ja noch andere Coronaviren. Wer kann da sicher sein, ob tatsächlich Antikörper gegen das aktuelle SARS-CoV-2 angezeigt werden? Prof. Dr. Martin Schulz

Vielfältige Probleme der Selbsttests

Doch lang ist die Kette der Vorbehalte und Fehlinterpretationen:

  • Zunächst die Methode selbst: Wie bei einer Blutzuckermessung für Diabetiker ist Vollblut nötig, man muss sich also mit einer Lanzette in die Fingerbeere piksen. „Dabei kann man viel verkehrt machen, zum Beispiel die Hygiene vernachlässigen oder zu wenig Blut entnehmen“, gibt Schulz zu bedenken. Wie bei einem Schwangerschaftstest soll man dann nach 10 bis 15 Minuten an einer blauen Linie ablesen können, ob man Antikörper gegen das neue Coronavirus entwickelt hat.

  • Keine Validierung: Wie das Paul-Ehrlich-Institut informiert, wird in Europa die Marktzulassung für In-vitro-Diagnostika (IVD), zu denen die COVID-19-Tests gehören, über eine Richtlinie geregelt, wonach die Hersteller sie als „IVD niedrigen Risikos“ selbst zertifizieren können, ohne unabhängige Evaluierung. Erst wenn ab Mai 2022 die künftige IVD-Verordnung gilt, müssen sie von einem EU-Referenzlabor und einer weiteren Stelle geprüft werden. „Die jetzigen Tests bekommen also ziemlich problemlos das CE-Zeichen als Medizinprodukt, deshalb besagt dieses Siegel wenig“, resümiert Schulz.

  • Fake-Tests: Noch kritischer fällt das Urteil gegen das DIY-Labor zu Hause deshalb aus, weil im Internet nachweislich Fälschungen kursieren, auch die WHO habe ausdrücklich davor gewarnt. „Hier haben Kriminelle leichtes Spiel, weil sie die Angst der Menschen ausbeuten können“, sagt Schulz.

  • Zeitliche Verzögerung: Wann genau die gegen SARS-CoV-2 gerichteten und per ELISA sichtbar gemachten Immunglobuline gebildet werden, ist unklar und variabel. Frühestens eine Woche nach Erkrankungsbeginn? Oder erst nach 14 Tagen? Einigermaßen gesichert ist nur, dass in der Frühphase IgM entstehen, später folgen IgG. Fällt der Test also negativ aus, liegt das möglicherweise daran, dass es für einen Nachweis schlicht noch zu früh ist, weil trotz Infektion noch kaum Antikörper vorliegen.

  • Sensitivität und Spezifität: Diese Werte wurden von den Herstellern häufig nur mit kleinen Probenmengen ermittelt, wie Schulz berichtet. Doch selbst wenn die Angaben stimmen, etwa die Sensitivität tatsächlich 85% beträgt, so tritt in immerhin 15 von 100 Fällen ein falsch-negatives Ergebnis auf. Das bedeutet: Eine Infektion hat stattgefunden, ohne dass Antikörper detektiert wurden. Und umgekehrt: Bei einer Spezifität von beispielsweise 95% sind 5 von 100 Resultate falsch-positiv, zeigen also Antikörper an, obwohl die Testperson gar nicht erkrankt war.

  • Kreuzreaktivität: „Es kursieren ja noch andere Coronaviren“, erläutert Schulz. „Wer kann da sicher sein, ob tatsächlich Antikörper gegen das aktuelle SARS-CoV-2 angezeigt werden?“ Dann erscheint deshalb ein (falsch) positives Resultat, weil etwa ein harmloseres Coronavirus der Auslöser war.

  • Zweitinfektion nicht ausgeschlossen: Doch selbst gesetzt den Fall, der Test weist korrekt Antikörper bei stattgefundener COVID-19 nach, so ist damit noch keineswegs gesagt, ob die betreffende Person gegen eine erneute Ansteckung gefeit ist. „Bislang ist unsicher, inwieweit eine durchlebte Infektion zu einer Immunität führt und wenn ja, wie lange der Schutz anhält“, so Schulz.

All diese Einschränkungen können zu Verhaltensweisen führen, die erhebliche Risiken für die Allgemeinheit mit sich bringen. Zum Beispiel, wenn die Testpersonen bei einem falsch negativen Ergebnis glauben, nicht erkrankt zu sein, obwohl sie bereits ansteckend sind. Bei (falsch-positivem) Antikörper-Nachweis dürften sie annehmen, sie wären sowohl immun als auch nicht (mehr) infektiös. Sie werden sorglos, missachten Hygiene-Empfehlungen, etwa sich oft die Hände zu waschen, kümmern sich nicht um Kontaktsperren und halten wenig Abstand zu Mitmenschen. Liegt eine Kreuzreaktion vor, könnten medizinische Laien glauben, sie wären erkrankt, und sich grundlos ängstigen.

 
Bislang ist unsicher, inwieweit eine durchlebte Infektion zu einer Immunität führt und wenn ja, wie lange der Schutz anhält. Prof. Dr. Martin Schulz
 

Deutsche Labors haben Kapazitäten für verlässliche PCR-Tests

Fazit: Die derzeit vertriebenen Antikörper-Schnelltests gegen das SARS-CoV-2-Virus sind nur bedingt geeignet, eine Infektion zu erkennen. „Untersuchungen auf Antikörper können für epidemiologische Zwecke, beispielsweise in ganzen Landkreisen, sinnvoll sein. Eine gewisse Berechtigung hat auch die Anwendung in der ärztlichen Praxis, aber nur als Teil eines Gesamtpaketes“, sagt Schulz. Dazu gehören der klinische Eindruck, also Symptome wie Husten und Fieber, der Verdacht, dass der Patient Kontakt mit Infizierten hatte, und der Labortest per hoch-sensitiver Real-Time Polymerase-Kettenreaktion (RT-PCR).

Diese Nukleinsäure-Amplifikations-Technik gilt als Goldstandard zum direkten Nachweis des viralen Erbguts, der RNA. In deutschen Labors wird die PCR bereits in großer Zahl gemacht, aber die Kapazitäten seien noch nicht ausgeschöpft, betont der Fachverband der Akkreditierten Labore in der Medizin. Mit anderen Worten: Es besteht gar keine Notwendigkeit, auf Do-it-Yourself-Verfahren auszuweichen.
 

Kommentar

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