Eigentlich sollte es ein großer Wurf werden: Schwer und komplex erkrankte Patienten sektorübergreifend von Fachärzten verschiedener Fachrichtungen gemeinsam und damit besser als bisher zu versorgen. Und zwar durch die so genannte Ambulante Spezialfachärztliche Versorgung (ASV) nach § 116b des V. Sozialgesetzbuchs (SGB V). Diese neue Möglichkeit der Zusammenarbeit wurde 2012 mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz eröffnet. Nun stellt sich heraus: Die hohen Erwartungen werden nicht erfüllt.
Nach Auskunft der ASV-Servicestelle arbeiten in Deutschland bisher erst 351 Teams (Stand März 2020). Die Kosten halten sich im Rahmen. 2013 gaben Krankenkassen noch rund 180 Millionen Euro für die ASV aus. Das vorläufige Rechnungsergebnis ist für 2019 nur geringfügig angestiegen: auf gut 267 Millionen Euro. Warum die ASV schwächelt, soll jetzt eine Studie im Auftrag des Innovationsfonds klären.
Eine Spurensuche: Warum lahmt die ASV?
Zum Hintergrund: Im Rahmen der ASV können Patienten mit gastrointestinalen Tumoren und Tumoren der Bauchhöhle, urologischen und gynäkologischen Tumoren ohne Subspezialisierung, rheumatologischen Erkrankungen Erwachsener, Tuberkulose und atypischer Mykobakteriose, mit Mukoviszidose, Marfan-Syndrom und Pulmonaler Hypertonie versorgt werden. Vertragsärzte und Klinikärzte behandeln gemeinsam, ambulant, spezialisiert und zu deutschlandweit gleichen Bedingungen. Abgerechnet wird direkt mit den Kostenträgern, und zwar ohne Mengenbegrenzung, extrabudgetär und zu festen Preisen. Die KVen sind nur als Abrechnungsdienstleiter mit im Boot.
Diese Bedingungen dürften eigentlich kein Hindernis sein. Aber warum lahmt die ASV? „Wir werden die Hürden ermitteln und Vorschläge unterbreiten, wie sie zu überspringen sind“, sagt der wissenschaftliche Leiter der Studie, Prof. Robert Dengler von der Hochschule für Ökonomie & Management (FOM) in München, zu Medscape. „Wir gehen von vielen potentiellen Hindernissen aus.“
Hohe Hürden schrecken Ärzte ab
So klagen viele Ärzte mit Interesse an der ASV über große Hürden. Zum Beispiel braucht jedes ASV-Team von allen Fachgruppen wenigstens einen Arzt, selbst wenn diese Leistung zur Patientenversorgung nie benötigt wird. „Dies erschwert manchen potentiellen Teilnehmern die Gründung eines SV-Teams, vor allem im ländlichen Raum“, schreibt Dengler in einer Studie, die Medscape vorliegt.
Darum fragen sich viele Ärzte, ob sich der Aufwand wirklich lohnt. „Denn selbst dann, wenn man ihn erbringt, dann kommt es ja darauf an, wie viele Patienten rekrutiert werden können“, erläutert Dengler eine seiner Arbeitshypothesen. „Die Fixkosten für die Abrechnungssoftware oder das Personal sind ja immer dieselben, egal, ob Sie als Arzt einen oder 100 Patienten in der ASV haben.“
Für viele Ärzte sei außerdem unklar, wie die Bereinigung der Abrechnung laufe. Denn was für die ASV ausgegeben wird, muss der Gesamtvergütung entnommen werden. Da es in der ASV aber keine Mengenbegrenzungen und keine Regelleistungsvolumina gibt, können die zu bereinigenden Beträge schnell in die Millionen gehen. „Aber dadurch verändert sich möglicherweise der Punktwert, weil weniger Regelleistungsvolumen zur Verfügung steht“, sagt Dengler. „Und weil dieser Prozess für die meisten Ärzte nicht transparent ist, haben sie vielleicht Angst, dass die Teilnahme an der ASV am Schluss zu ihren Ungunsten ausfällt.“
Ärzte würden auch befürchten, dass die fehlende Mengenbegrenzung bei steigenden ASV Zahlen wieder abgeschafft werde. Wenn die Ausgaben für die ASV in die Höhe schnellen sollten, dürften die Kassen im GBA Druck machen und die ASV kippen. Dengler: „Manche Ärzte haben mir gesagt: Die Abschaffung der Mengenbegrenzung wurde uns schon oft versprochen und dann doch nicht eingehalten, irgendwann hat es dann doch wieder Budgets gegeben.“
Umfangreiche Mixed-Methods Studie
Details dazu sollen im Rahmen einer Studie erforscht werden. Auch dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) war aufgefallen, dass die Rekrutierung in die ASV bislang hinter anfänglichen Erwartungen zurückgeblieben ist. Daraufhin schrieb er die Untersuchung im Rahmen des Innovationsfonds aus. Das Projekt wird mit 830.000 Euro gefördert. Beteiligt sind die FOM Hochschule für Oekonomie & Management München, der Bundesverband ASV, das Wissenschaftliche Institut der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (WINHO) sowie das Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) im Bremen. Die Studie läuft vom Januar 2020 bis zum Dezember 2021.
„Wir machen eine Mixed-Methods Studie aus verschiedenen Methoden als qualitative Leitfadeninterviews mit Teamleitern, Selbsthilfegruppen und Kliniken“, erklärt Dengler. Außerdem eine Analyse von Kassenabrechnungsdaten. Auch werden die erbrachten Hinzu kämen Analysen anhand von Versichertendaten. Quantitative Umfragen unter 1.200 Patienten sowie Interviews mit beteiligten und unbeteiligten Ärzten und 2 Experten-Workshops sind auch vorgesehen. Am Schluss steht ein Abschlussbericht an den GBA. Dengler: „Unter Umständen müsste dann die Richtlinie, in der der GBA Näheres zur ASV regelt, geändert werden.“
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Die Ambulante Spezialfachärztliche Versorgung blieb hinter den Erwartungen zurück – eine Studie soll Gründe ermitteln - Medscape - 22. Apr 2020.
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