COVID-19: Leere Praxen und Existenzangst bei Ärzten. Was bringen zusätzliche Mittel der Selbstverwaltung wirklich?

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

22. April 2020

Seit COVID-19 stehen viele Arztpraxen leer. Wie unsere US-Schwesterseite   Medscape.com berichtet, hat die Pandemie etwa im US-Bundesstaat Georgia zu deutlich geringeren Patientenzahlen geführt. Viele Menschen gehen nicht mehr zum Arzt.

„Das geschah fast über Nacht“, berichtet der US-Mediziner Dr. Donald Fordham, ein Hausarzt in Demorest im Nordosten Georgias. Fordhams Einschätzung nach folgen die Menschen einfach dem „Bleibt zu Hause“-Aufruf – auch was den Gang zum Arzt angeht. Hinzu komme die Sorge, sich in einer medizinischen Einrichtung anzustecken. „Die Angst in der Gesellschaft ist spürbar“, sagt er.

Deutschland: Hausärzte in leeren Praxen

Und in Deutschland? Auch hier zeigen sich solche Auswirkungen der COVID-19-Pandemie. „Primär bekommen wir gemeldet, dass die Praxen eher leer sind“, berichtet Manfred King, Sprecher des Hausärzteverbandes Baden-Württemberg. „Die Kontaktsperren wirken sich eher kontraproduktiv aus, weil kranke Patienten aus Unsicherheit eher nicht in die Praxis gehen.“

 
Die Kontaktsperren wirken sich eher kontraproduktiv aus, weil kranke Patienten aus Unsicherheit eher nicht in die Praxis gehen. Manfred King
 

Leerer sind auch die Hausarztpraxen im Bereich Nordrhein: Die meisten Patienten kämen nicht mehr in die Praxen, sondern riefen erst mal an, so Monika Baaken, Sprecherin des Hausärzteverbandes Nordrhein. Wenn möglich, würden Patienten am Telefon beraten, zudem böten eine Reihe von Ärzten Videosprechstunden an. Untersuchungen, die nicht dringend notwendig seien, würden auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Dies gelte vor allem für ältere Patienten.

Kein Einzelfall: Auch im Kammerbezirk Westfalen-Lippe setzen Hausärzte vermehrt auf Behandlungen via Telefon oder Video. Reicht das nicht aus, können die Patienten in die Praxis kommen oder der Arzt macht einen Hausbesuch.

In der ohnehin nicht einfachen Situation für die Praxen war die Entscheidung des G-BA, die AU-Ausnahmeregelung zunächst nicht zu verlängern, bundesweit auf erhebliches Unverständnis in der Ärzteschaft gestoßen. Daraufhin wurde sie revidiert. Am 20. April teilte der G-BA-Vorsitzende Josef Hecken mit, dass die Sonderregelung noch einmal bis vorerst 4. Mai verlängert wird.

Diabetesversorgung durch Corona-Pandemie gefährdet

Nicht nur Hausärzte berichten über leere Wartezimmer. Auch Endokrinologen und Diabetologen beobachten einen starken Rückgang der Patientenzahlen in Praxen, Ambulanzen und Notambulanzen. Die Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG) warnt vor einer gefährlichen Unterversorgung von chronisch Erkrankten und Personen mit akuten Beschwerden.

 
Der gesundheitspolitische Fokus hat sich (…) so sehr auf die COVID-19-Patienten gerichtet, dass nun chronisch und akut Erkrankte Gefahr laufen, unter die Räder zu geraten. Prof. Dr. Monika Kellerer
 

„Der gesundheitspolitische Fokus hat sich in den vergangenen Wochen so sehr auf die COVID-19-Patienten gerichtet, dass nun chronisch und akut Erkrankte Gefahr laufen, unter die Räder zu geraten“, sorgt sich DDG-Präsidentin Prof. Dr. Monika Kellerer. „Die öffentliche Verunsicherung ist groß. Viele Menschen nehmen wichtige Arzttermine nicht mehr wahr oder bleiben bei akuten Beschwerden zu Hause – aus Rücksicht auf das Gesundheitssystem, aufgrund falsch verstandener Ausgangsbeschränkungen oder aus Angst vor Ansteckung mit dem Coronavirus“.

Niedergelassene Ärzte stark von wirtschaftlichen Ausfällen betroffen

Ein Blick auf die Folgen: Zahlen oder Schätzungen dazu, wie es in den Praxen aussieht und wie viele Praxen mit finanziellen Einbußen rechnen müssen, hat der Virchowbund nicht, räumt dessen Sprecher Klaus Greppmeir auf Nachfrage ein: „Manche Praxen sind regelrecht überlaufen, bei anderen gibt es viele Terminabsagen, das Bild, das sich da zeigt, ist sehr heterogen“, so Greppmeir.

 
Manche Praxen sind regelrecht überlaufen, bei anderen gibt es viele Terminabsagen, das Bild, das sich da zeigt, ist sehr heterogen. Klaus Greppmeir
 

„In welchem Ausmaß Arztpraxen in Baden-Württemberg betroffen sind und wie viele das sind, können wir nicht sagen und auch nicht, ob es sich eher um Hausarztpraxen handelt oder um spezielle Facharztpraxen”, erklärt Kai Sonntag, Sprecher der KV Baden-Württemberg, im Gespräch mit Medscape. „Was wir aber wissen, ist, dass natürlich Praxen von wirtschaftlichen Ausfällen betroffen sind. Manche sicherlich gravierender, andere nicht”. Der Sprecher des Hausärzteverbandes Baden-Württemberg King jedenfalls rechnet für viele Praxen mit einem großen finanziellen wirtschaftlichen Schaden, auch wenn sich dieser nicht sofort, sondern womöglich erst in späteren Quartalen zeige.

Um Honorareinbußen in Gesundheitseinrichtungen während der Pandemie abzufedern, gilt seit dem 27. März das COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz. Es schafft auch Rahmenbedingungen für den Ausgleich COVID-19-bedingter finanzieller Belastungen bei niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten.

Ein Schutzschirm für Praxen

Der Schutzschirm soll Betroffenen einen Honorarausgleich von 90% des GKV-Honorars für Kollektivpatienten der Praxis im Vorjahresquartal sichern.  „Wir sind dabei, das jetzt auch für das zweite Quartal zu übertragen”, sagt Sonntag. Selektivverträge mit Kassen – wie beispielsweise die sogenannten Hausarztverträge – fallen allerdings nicht unter den Schutzschirm, auch keine Privatleistungen.

Sofortmaßnahmen gibt es auch zu den Selektivverträgen. So hat die AOK Baden-Württemberg gemeinsam mit ihren Vertragspartnern der Haus-und Facharztverträge unlängst beschlossen, seit dem 1. März 2020 Fernbehandlungen per Video oder Telefon entsprechend zu vergüten. Die Vereinbarungen gelten bis zum 30. Juni 2020.

Für die ambulante Versorgung von Patienten mit Verdacht auf COVID-19 gibt es ebenfalls zusätzliche Mittel. Wie die KBV mitteilt, werden seit dem 1. Februar alle ärztlichen Leistungen, die aufgrund des klinischen Verdachts auf eine Infektion oder einer nachgewiesenen Infektion erforderlich sind, in voller Höhe extrabudgetär bezahlt. Die Fälle müssen dazu mit der Ziffer 88240 gekennzeichnet werden.

COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz nur „erster Schritt“

Auf den Handlungsbedarf hatte auch die Freie Ärzteschaft in einer Pressemitteilung Ende März bereits hingewiesen. In Arztpraxen würden nicht dringend notwendige Untersuchungen und Behandlungen abgesagt, damit genug Kapazitäten für Corona-Fälle vorhanden seien. Auch könnten Behandlungen nicht stattfinden, weil das Personal erkrankt oder in Quarantäne sei oder die Kinder zu Hause betreuen müsse.

 
Die Vertragsarztpraxen brauchen Umsatzgarantien auf dem Niveau des jeweiligen Vorjahresquartals. Wieland Dietrich
 

„Das verursacht Einnahmeausfälle“, betont Wieland Dietrich, Vorsitzender der Freien Ärzteschaft. „Die Vertragsarztpraxen brauchen Umsatzgarantien auf dem Niveau des jeweiligen Vorjahresquartals.“ Notwendig sei auch eine Aufwertung der GOÄ für die erschwerten Behandlungsbedingungen und erweiterten Hygienemaßnahmen.

Mit dem COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz sei ein „erster Schritt” erfolgt, erklärt Virchowbund-Sprecher Greppmeir, doch es bestehe „Nachbesserungsbedarf im Detail”. So werde im COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz zwar eine sinkende Fallzahl abgegolten, nicht aber ein sinkender durchschnittlicher Fallwert.

Dr. Dirk Heinrich, Vorsitzender des Virchowbundes, erwartet „gravierende Honorarminderungen”, weil unter COVID-19-Bedigungen nicht nur weniger Patienten behandelt würden, sondern auch viele Leistungen nicht erbracht werden könnten.

Das betrifft z.B. Vorsorgeuntersuchungen, U-Untersuchungen bei Kinderärzten, Heimbesuche, ambulante Operationen, und vieles andere mehr. „Dadurch sinkt der sogenannte ‚Fallwert‘, also die Leistungsmenge pro Patient und damit das durchschnittliche Honorar pro Patient“ erklärt Heinrich in einer Pressemitteilung. „Auch nach der Corona-Pandemie sind alle haus- und fachärztlichen Praxen für die Versorgung der Bevölkerung erforderlich. Daher müssen jetzt die Weichen gestellt werden, dass die einzelnen Praxen nicht auf der Strecke bleiben.“

US-Ärzte hoffen auf das Paycheck Protection Program

Noch ein Blick in die USA: In Georgias pädiatrischen Praxen gingen Patientenbesuche um 40 bis 70% zurück, sagt Dr. Terri McFadden, Kinderärztin an der Emory School of Medicine und Präsidentin des Georgia-Chapters der American Academy of Pediatrics. „Kleine Praxen und Einzelpraxen haben Mühe, über die Runden zu kommen.“ Sowohl in städtischen als auch ländlichen Gebieten seien die Praxen „fast leer“.

 
Kleine Praxen und Einzelpraxen haben Mühe, über die Runden zu kommen. Dr. Terri McFadden
 

Ein Sprecher der American Medical Association erklärte, man höre von Ärzten im ganzen Land von plötzlichem finanziellem Druck auf ihre Praxen. Eine Gruppe von 27 Ärzteorganisationen in Georgia hat deshalb das Gesundheitsministerium des Bundesstaates schriftlich darum gebeten, Medicaid-Zahlungen zu beschleunigen oder vorzuziehen.

Kleine und unabhängige Praxen, die in einigen Regionen des Staates die einzigen Anbieter von Medicaid-Dienstleistungen sind, berichten von einem Rückgang ihres Patientenvolumens um bis zu 75%, heißt es im Schreiben. Halte diese Entwicklung in den nächsten 3 Monaten an, „werden viele Medicaid-Patienten aufgrund der dauerhaften Schließung dieser Praxen den Zugang zur Gesundheitsversorgung verlieren.“

Ärzte kommen möglicherweise für das Paycheck Protection Program (PPP) infrage: ein Hilfsprogramm der USA, das finanzielle Auswirkungen der Pandemie ausgleichen soll. Das Programm autorisiert Darlehen an kleine Unternehmen. Der Hausarzt Fordham sagt, er versuche, sein Personal zu halten. Deshalb wolle er sich für das PPP bewerben. Fordham: „So etwas habe ich noch nie gesehen. Zuerst dachte ich: Bin das nur ich? Aber ich habe mit anderen Ärzten gesprochen, und sie machen dasselbe durch.“
 

Kommentar

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