Todesfälle und Arrhythmien: Experten warnen vor übereilter Off-label-Nutzung von Chloroquin und Co bei COVID-19

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

21. April 2020

Hochdosiertes Chloroquin und das sehr ähnliche Hydroxychloroquin, die in niedrigeren Dosen gegen Malaria, aber auch gegen verschiedene rheumatische Erkrankungen eingesetzt werden, zeigten gegen COVID-19 in 2 aktuellen randomisierten Studien nicht die gewünschte Wirkung.

Die eine Studie wurde aufgrund von Todesfällen bei Patienten mit Tachykardie abgebrochen, die andere zeigte nach einer Post-hoc-Analyse keinen Benefit für die Patienten.

Studienabbruch wegen Todesfällen unter hochdosiertem Chloroquin

Dr. Mayla G. S. Borba und Kollegen der Universität des Staates Amazonas, Manaus, Brasilien, initiierten eine der ersten randomisierten kontrollierten Studien mit 440 an COVID-19 erkrankten Patienten mit schwerem akuten respiratorischen Syndrom (SARS) [1]. Bereits nach 81 aufgenommenen Teilnehmern brachen die Forscher aber die Studie ab, denn es kam zu 2 Todesfällen in der Chloroquin (CQ)-Hochdosis-Gruppe. Von den 81 Patienten waren lediglich 5 älter als 75 Jahre, die alle in die Hochdosis-Gruppe aufgenommen waren.

Angelegt war die Studie mit einer Hochdosis-Gruppe (10 Tage je 2 x 600 mg = 12.000 mg) und einer Niedrigdosis-Gruppe (6 Tage je 1 x 450 mg = 2.700 mg) über insgesamt 28 Tage. Als nach 6 Tagen die Vergleichsdaten vorlagen, waren bereits 11 der randomisierten Patienten gestorben, davon 7 aus der Hochdosis- und 4 aus der Niedrigdosis-Gruppe.

Bei 2 der Patienten aus der Hochdosis-Gruppe kam es vor dem Tod zu einer ventrikulären Tachykardie, die die Autoren auf eine jeweils dokumentierte Verlängerung der QTc-Strecke zurückführten. Zu einer solchen Verlängerung über 500 msec kam es unter Hochdosis bei etwa 25%, unter Niedrigdosis nur bei etwa 10% der Patienten. Die Studie wurde daraufhin abgebrochen.

Alle Studienteilnehmer hatten parallel Azithromycin und die meisten von ihnen bis zum Nachweis von SARS-CoV-2 auch das Influenzamedikament Oseltamivir erhalten. Beide Wirkstoffe führen möglicherweise ebenfalls zu einer Verlängerung der QTc-Strecke, so dass die Kombination mit hochdosiertem Chloroquin hier zu einem besonders hohen Risiko geführt haben könnte.

Die Viruslast im Rachenraum der Patienten war nach 5 Behandlungstagen nicht bemerkwert gefallen. Nur bei einem Patienten fiel der Test auf SARS-CoV-2 negativ aus. Aufgrund dieser mangelhaften Wirkung und dem hohen Risiko der Tachykardie sprechen sich die brasilianischen Autoren ausdrücklich gegen die Behandlung von COVID-19-Patienten mit Chloroquin aus, obwohl frühere in vitro-Studien eine vielversprechende Wirksamkeit des als Malariamedikament zugelassenen Wirkstoffes zeigten.

Wirkung blieb weit hinter den Erwartungen zurück

Zu einem ähnlichen Schluss kommen 2 Experten in ihren Gutachten einer randomisierten kontrollierten Studie mit Hydroxychloroquin (HQC) aus China [2]. Dr. Wei Tang und Kollegen, Ruijin Hospital in Shanghai, randomisierten 150 Patienten mit COVID-19 in 2 Gruppen. Beide Gruppen erhielten über 28 Tage eine Standardtherapie, die eine Gruppe zusätzlich HQC in Dosen von 1.200 mg an 3 Tagen und danach 800 mg an den folgenden 11 Tagen. Die große Mehrheit der Patienten wies mildere Krankheitsverläufe auf. Das mittlere Alter lag bei 46 Jahren.

Innerhalb der 28 Tage besserte sich der Zustand aller Patienten, aber der Unterschied zwischen den Gruppen war nur gering und nicht signifikant (Kaplan-Meier-Ableitung am Tag 28: 85,4% in der HQC-Gruppe vs 81,3% in der Kontrolle, p=0,341). Nebenwirkungen wurden unter Hydroxychloroquin bei 30% und in der Kontrollgruppe bei 8% der Fälle dokumentiert.

Fragliche Post-hoc-Analyse in Publikation ohne Peer Review

Nach einer Post-hoc-Analyse ergänzten die Autoren, dass sich nach einer Bereinigung um alle zusätzlich gegebenen antiviralen Therapeutika eine signifikante Reduktion der COVID-19-Symptomatik in der HQC-Gruppe gegenüber der Kontrollgruppe ergeben hatte (Hazard Ratio von 8,83 mit 1,09 bis 71,3 im 95%igen Konfidenzintervall).

Darüber hinaus berichteten sie für die HQC-Gruppe eine signifikant höhere Reduktion des C-reaktiven Proteins (CRP) als in der Kontrollgruppe (6.986 vs. 2.723 mg/L).

Kritik an der Studie

Prof. Dr. J. Michelle Kahlenberg, Rheumatologin an der Universität Michigan, Ann Arbor, USA, sagte dazu gegenüber Medscape , dass laut der Publikation 89% der Patienten zusätzlich mindestens ein antivirales Therapeutikum erhalten hätten. Dadurch blieben von den 150 nur noch etwa 17 Patienten, auf die sich diese Aussage stützen könnte.

Wie diese 15 Patienten auf die beiden Studiengruppen verteilt seien, werde nicht beschrieben. Somit relativiere sich die Aussagekraft dieser Ad-hoc-Analyse. Zum Unterschied der Gruppen in den CRP-Werten schreibt sie, dass dieser aufgrund der Wahl unüblicher Einheiten größer scheine als er sei.

Auch Prof. Dr. Christopher V. Plowe, Direktor des Global Health Institutes der Durham University, North Carolina, USA, beurteilt die Studie gegenüber Medscape skeptisch: Er bemängelt, dass die Randomisierung nicht realistisch sei, da in die HQC-Gruppe mehr Patienten mit Kurzatmigkeit und Husten eingeteilt wurden und das Durchschnittsalter um 4 Jahre höher lag als in der Kontrollgruppe. Außerdem weist er darauf hin, dass keinerlei EKG-Untersuchungen gemacht wurden, um die QTc-Strecken der Patienten zu dokumentieren.

Beide Experten sprechen sich übereinstimmend gegen die Wahl von Hydroxychloroquin bzw. Chloroquin als Medikament gegen COVID-19 in der Praxis aus.

Experten raten aus mehreren Gründen von (H)QC-Einsatz bei COVID-19 ab

Ebenso spricht sich auch Prof. Dr. Iain McInnes, Glasgow/UK, der Präsident des diesjährigen Kongresses der Europäischen Rheumaliga EULAR, gegen die übereilte Off-label-Nutzung von HQC aus, allerdings aus einem anderen Grund: Hydroxychloroquin werde nicht nur von Patienten mit Malaria, sondern auch solchen mit verschiedenen rheumatischen Erkrankungen wegen seiner dort belegten Entzündungshemmung dringend benötigt. So lange nicht randomisierte kontrollierte Studien eine eindeutig positive Wirkung von HQC auf den Verlauf von COVID-19 belegen, sollte im Vordergrund stehen, die Versorgung von Rheumapatienten mit HQC sicherzustellen, sagte er im Vorfeld des EULAR-Kongresses .
 

Kommentar

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